Hamburg. Hamburger Senat will acht Berufsgruppen begünstigen. Opposition kritisiert Willkür und sieht Gleichheitsgrundsatz verletzt.

Die Pläne des Senats, bei der Vergabe von Sozialwohnungen künftig acht ausgesuchte Berufsgruppen zu bevorzugen, sind auf zum Teil heftige Kritik gestoßen. Der Sozialverband Deutschland (SoVD) sprach von einem „Geschmäckle“ und Ansätzen einer Diskriminierung. „Hier soll ein Verdrängungswettbewerb in Gang gesetzt werden zu Lasten derer, die am wenigsten haben“, sagte der erste Vorsitzende des SoVD in Hamburg, Klaus Wicher.

Für die Linkspartei „knallen die Pläne der rot-grünen Koalition vielen §-5-Schein-Inhabern die Tür vor der Nase zu“, weil andere Berufsgruppen als „vermeintlich sozialverträglichere Menschen bevorzugt werden sollen“, so die stadtplanungspolitische Sprecherin Heike Sudmann. Der Stadtentwicklungsexperte der Grünen-Bürgerschaftsfraktion, Olaf Duge, hielt dagegen: „Es wird keine bevorzugte Vergabe von Sozialwohnungen an bestimmte Berufsgruppen geben. Der Kooperationsvertrag dient ausschließlich der besseren Sichtung von berechtigten Interessenten zur besseren Auswahl zwecks einer sozial verträglichen Durchmischung der Sozialwohnungsbestände.“

Acht Profiteure in acht Quartieren

Der Senat will ab 2020 in acht neuen Quartieren für die Folgeunterbringung von Flüchtlingen acht Berufsgruppen bei der Vergabe von Sozialwohnungen bevorzugen. Profitieren sollen laut Senat die Zöllner, Krankenhaus- und Pflegepersonal, Polizisten, Studenten, Auszubildende, Hochbahner sowie Angestellte der allgemeinen Verwaltung und der Finanzämter auch dann, wenn sie in Einzelfällen über den Einkommensgrenzen liegen, die zum Bezug einer Sozialwohnung berechtigen (wir berichteten).

Dafür wird eine Kooperationsvereinbarung mit den Wohnungsunternehmen geschlossen, die zunächst für die Bauprojekte Suurheid in Rissen, Hörgensweg und Duvenacker in Eidelstedt, Rehagen in Hummelsbüttel, Poppenbütteler Berg in Poppenbüttel, Mittlerer Landweg in Billwerder sowie Elfsaal und Haferblöcken in Jenfeld gilt. Begründet hatte der Senat seine Pläne unter anderem mit dem „Ziel der Durchmischung und Stabilisierung der neuen Quartiere“ und dem Bestreben, den begünstigten Berufsgruppen „die Anmietung bezahlbaren Wohnraums zu erleichtern“.

Staat solle Betroffene besser bezahlen

Klaus Wicher vom SoVD
Klaus Wicher vom SoVD © SoVD

Auffallend an der Auswahl der profitierenden Berufsgruppen sei, so Wicher, dass es sich zum weitaus größten Teil um Bedienstete des Staates handele. „Wenn diese Gruppen zu wenig verdienen, um sich eine Wohnung in Hamburg leisten zu können, wäre es doch naheliegend, wenn der Staat sie besser bezahlen würde.“

Der Vorrang der Bedürftigen mit §-5- und Dringlichkeitsscheinen müsse bestehen bleiben, sagte auch Sudmann. Auch sei es keinesfalls ausgemacht, dass Angestellte der Finanzverwaltung stabilisierender in ein Quartier wirken als zum Beispiel Verkäuferinnen oder Freiberufler, die nicht zum begünstigten Personenkreis gehören sollen.

AFD und FDP monieren Diskriminierung

Die sozialpolitische Sprecherin der FDP-Bürgerschaftsfraktion, Christel Nicolaysen: „Die Bevorzugung einzelner Berufe bei der Vergabe von Sozialwohnungen gefährdet den sozialen Frieden. Die Botschaft an alle Lagerarbeiter, Friseure, Kellner, Kassierer oder Zahnarzthelfer ist doch: ‚Ihr seid uns weniger wert.' Soziale Leistungen sollten nach festen Kriterien für alle gleich gelten – das betrifft auch die Sozialwohnungen. Der Senat macht Klientelpolitik vom Feinsten.“

Auch der AfD-Bürgerschaftsabgeordnete Detlef Ehlebracht lehnte für seine Fraktion die Privilegierung bestimmter Berufsgruppen ab, „da nicht plausibel ist, warum ausgerechnet eine Berufsgruppe bevorzugt wird und eine andere nicht. Unserer Ansicht nach kollidiert dies mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz und führt zu einer Spaltung der Gesellschaft.“

SoVD: Staat hat zu wenig Einfluss auf die Mieten

Wicher erklärte es immerhin für diskutabel, bei akut von sozialer Schieflage bedrohten Wohnquartieren durch Eingriffe in die Belegung gegenzusteuern. Offenbar wolle die rot-grüne Koalition die Fehler bei den Großsiedlungen der 1970er-Jahre vermeiden, als Quartiere wie Mümmelmannsberg, Steilshoop oder zuletzt auch Allermöhe zu trauriger Berühmtheit kamen. „Doch dann muss es für Eingriffe in die Wohnungsbelegung klare Kriterien geben, die sehr öffentlich dargelegt werden und allgemein akzeptiert sind“ sagte der SoVD-Landesvorsitzende.

Wicher bemängelte, dass der Staat derzeit generell zu wenig Möglichkeiten habe, die Belegung von Wohnungen zu steuern und Einfluss auf die Mietenentwicklung zu nehmen. Dafür müsste die Stadt ähnlich wie die österreichische Hauptstadt Wien selbst Grundstücke kaufen, selber bauen oder die Grundstücke kostenfrei an stadteigene Gesellschaften weitergeben. Auch müsste die Bindungsfrist für Sozialwohnungen wieder auf die früher üblichen 30 Jahre heraufgesetzt werden. Derzeit laufen die Sozialwohnungen nach 15 Jahren aus der Bindung an günstige Mieten.

Insgesamt müsse die Bautätigkeit ausgeweitet werden, auch durch Kooperationen mit den Gemeinden im Speckgürtel. „Wenn die Stadt 10.000 Wohnungen pro Jahr baut und davon, wie vorgesehen, wegen des Drittelmixes 3333 Sozialwohnungen, dann laufen immer noch jährlich mehr Sozialwohnungen aus der Bindung als neue hinzukommen“, sagte Wicher. Nötig seien mindestens 5000 neue Sozialwohnungen im Jahr. Ihr Bestand ist in Hamburg von rund 400.000 in den 1980er-Jahren auf jetzt noch 78.000 Sozialwohnungen gesunken.