Hamburg. 160 Wissenschaftler sind von Drittmittelbefristungen betroffen – etliche Hamburger Forscher mussten schon gehen.
Er war schon beim Arbeitsamt. Über 50? „Das wird schwierig“, habe der Berater dort gesagt. Zwei Jahrzehnte Erfahrung als Wissenschaftler, viele Kontakte ins Ausland, hohe Motivation – alles schön und gut, aber: „Ich sei wohl auf dem Arbeitsmarkt nur noch schwer vermittelbar, hieß es“, erzählt der Forscher, der seit zwölf Jahren an der Universität Hamburg arbeitet und anonym bleiben möchte, weil er „sehr negative Konsequenzen“ für seinen Ruf befürchtet. In der zweiten Jahreshälfte läuft sein Vertrag aus. Er sei der Hauptverdiener in seiner Familie, sagt der Wissenschaftler. „Finde ich keinen ähnlich bezahlten Job, bedeutet das für uns den sozialen Abstieg.“
Obwohl er bereits zum fünften Mal befristet angestellt ist, wie er sagt, habe er nicht mit dem Aus gerechnet. Im Sommer 2017 habe er mit Kollegen wieder einmal Drittmittel eingeworben und anschließend die Verlängerung seines Vertrags beantragt. Zwei Monate später sei der Bescheid der Verwaltung gekommen: abgelehnt.
„Wagenburg-Mentalität der Universität“
Der Forscher spricht von einer „Wagenburg-Mentalität der Universität“. Es gebe keine Warnungen, dass ein Problem bestehen könnte. „Die Uni entscheidet offenbar nicht nach Leistung und den persönlichen Umständen, sondern orientiert sich nur an der ökonomisch-rechtlichen Lage.“
Das Problem des Forschers ist kein Einzelfall. Aktuell sind an der Universität Hamburg 160 Wissenschaftler von einer Drittmittelbefristung gemäß des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (§ 2 Abs. 2) betroffen. „Bei diesen Mitarbeitern könnte die Uni Probleme mit der Verlängerung ihrer Arbeitsverträge sehen“, sagt der Informatiker Michael König. Er sitzt als ein Vertreter des akademischen Personals in einer Arbeitsgruppe, die von der Wissenschaftsbehörde eingesetzt wurde, um die Arbeitsbedingungen von prekär beschäftigten Forschern zu verbessern.
Vier Betroffene erhoben Entfristungsklagen
Das Gesetz erlaubt mehrere Befristungen, wenn Jobs überwiegend aus Drittmitteln finanziert werden. Allerdings stellte das Bundesarbeitsgericht 2016 fest, dass solche Anstellungen als „Kettenbefristungen“ beurteilt werden können. In diesen Fällen könnten die Betroffenen eine unbefristete Anstellung einklagen. Deshalb lege die Uni Hamburg ihren Ermessensspielraum seit Ende 2017 strenger aus, heißt es von Betroffenen. Die Uni sagt, sie verfolge „grundsätzlich das Ziel, Arbeitsverträge rechtssicher auszugestalten“.
In einer Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Martin Dolzer vom 8. Juni 2018 heißt es, die Uni habe seit Oktober 2017 in 13 Fällen Verträge nicht verlängert. Aktuell bestehe bei etwa 15 Beschäftigten das „Risiko einer unwirksamen Kettenbefristung“, teilt die Universität auf Anfrage mit.
Bisher haben vier Wissenschaftler Entfristungsklagen erhoben. Eine Klage war erfolgreich.
Aktuell betroffen ist das Team von Thomas Hanke am Institut für Deutsche Gebärdensprache. Zwei seiner Mitarbeiter scheiden zum Sonnabend aus, eine betroffene Person ist schwerbehindert. „Wir würden diese Person gerne weiterbeschäftigen, dürfen es aber nicht, obwohl das Geld da ist“, sagt Hanke. „Das ist tragisch.“ Für zwei weitere Mitarbeiter gehe es weiter, weil die Uni, die Fakultät und die Akademie der Wissenschaften als Drittmittelgeber gemeinsam eine Lösung fanden.
Die Forschung leidet
Es gebe immer mehr Großforschungsprojekte, die langfristig angelegt seien, sagt Michael König. „Deshalb könnte das Problem mit der Drittmittelbefristung verstärkt auftreten. Wenn die Politik langfristig angelegte Großforschungsprojekte will, sollte sie sich überlegen, wie die beteiligten Forscher langfristig angestellt werden können.“ Auch die Uni müsse hierfür Konzepte entwickeln. „Das Verhalten der Hochschule ist zwar nachvollziehbar, aber schmerzlich für die betroffenen Mitarbeiter“, sagt König. Zudem leide die Forschung.
„Der Uni-Verwaltung scheint nicht klar zu sein, dass der akademische Mittelbau einen ganz wesentlichen Beitrag leistet und man keine exzellente Forschung machen kann, wenn der Mittelbau ständig wechselt“, sagt Bernhard Mayer. Der 57 Jahre alte Mitarbeiter des Instituts für Meereskunde ist im 13. Jahr befristet angestellt – nun wurde sein Vertrag bis 2020 verlängert. Die Personalpolitik sei nicht nur problematisch für die soziale Lage der Betroffenen, sagt Mayer: „Mit ihren Entscheidungen greift die Verwaltung auch direkt in unsere Forschung ein.“
„Schwierige persönliche Situation“
Die Uni sagt, sie zeige in Drittmittelprojekten beschäftigten Mitarbeitern „frühzeitig Berufsentwicklungspfade“ inner- und außerhalb der Hochschule auf. Die Wissenschaftsbehörde (BWFG) spricht von einer „schwierigen persönlichen Situation“ für die Betroffenen. Die Personalplanung sei aber Sache der Hochschulen.
2020 soll das Wissenschaftszeitvertragsgesetz überarbeitet werden. „Diese Zeit haben wir nicht mehr“, sagt Thomas Hanke. Es müsse schneller gehen. „Dafür könnte sich Hamburg einsetzen.“ Um die Bewertung des Gesetzes kümmere sich federführend das Bundesforschungsministerium, sagt dazu die BWFG. Sie selbst sei im „engen Austausch mit den Hochschulen“ über Erfahrungen mit dem Gesetz. Grundsätzlich seien „Dynamik und Flexibilität“ im Mittelbau wichtig für Hochschulen, um auch dem Nachwuchs eine Perspektive zu bieten.