Hamburg/Pjöngjang. Welche Erfahrungen macht man in einer Diktatur? Der Hamburger Fußballprofi Philipp Heerwagen lebte vier Tage in einer anderen Welt.
Bali, Florida, Griechenland und Mallorca – das sind vier der typischen Urlaubsziele, zu denen es auch in dieser Sommerpause die Hamburger Fußballprofis gezogen hatte. Philipp Heerwagen, Torwart beim FC St. Pauli, dagegen wagte sich nach Nordkorea, in jenes abgeschottete Land von Diktator Kim Jong-un also, der nicht erst seit seinem jüngsten Treffen mit US-Präsident Donald Trump weltweit im Gespräch ist.
Vier Tage verbrachte Heerwagen in Nordkorea, schoss ungezählte Fotos und brauchte danach erst einmal einige Tage, um seine sehr speziellen Eindrücke und Erfahrungen sacken zu lassen, zu sortieren und für sich selbst zu verarbeiten. Jetzt berichtet er im Abendblatt erstmals ausführlich über seine Erlebnisse in Nordkorea.
Für die Anreise hatte der 35-Jährige ganz bewusst den deutlich beschwerlicheren Weg mit dem Zug aus Chinas Hauptstadt Peking gewählt. „Ich wollte unbedingt etwas vom Land in China und natürlich auch in Nordkorea sehen. Das wäre mit dem Flugzeug ja gar so nicht möglich gewesen“, sagt Heerwagen. Für die rund 1300 Kilometer war er rund 24 Stunden in einem Liegewagen unterwegs, inklusive einer rund zwei Stunden langen Grenzkontrolle.
„Für die 230 Kilometer in Nordkorea bis zur Hauptstadt Pjöngjang brauchte der Zug danach genauso lange wie vorher für die knapp 1100 Kilometer in China. Das lag daran, dass der Zug nur mit rund 30 Kilometern pro Stunde fahren konnte, weil die Schienen so marode sind, dass sie kein höheres Tempo aushalten“, berichtet Heerwagen.
Die Zugfahrt von Peking nach Pjöngjang dauerte 24 Stunden
An der Grenze kontrollierten die Beamten penibel, welche Gegenstände die Passagiere nach Nordkorea einführen und ob diese auch alle im Formular angegeben waren. „Probleme aber gab es für mich nicht, obwohl ich zwei Kameras, einen Laptop und ein Tablet dabei hatte“, sagt Heerwagen. „Nachdem ich gesagt hatte, dass ich aus Deutschland komme, war alles ziemlich entspannt.“
Das Bummelzugtempo erlaubte intensive Einblicke in das nordkoreanische Landleben. „Auf den Reisfeldern arbeiteten sehr viele Menschen, Traktoren oder ähnliche technische Geräte waren kaum zu sehen. Und wenn doch, dann waren meistens Arbeiter dabei, die versuchten den Traktor zu reparieren“, erinnert sich Heerwagen. Die Landarbeiter haben Vorgaben zu erfüllen, wie viel sie mindestens ernten müssen. Ist dieser Wert erreicht, können sie alles, was sie darüber hinaus ernten, selbst behalten.
Am Bahnhof in Pjöngjang angekommen, fragte sich Philipp Heerwagen, wie es nun wohl weitergehen würde, und ging in der Masse der anderen Reisenden erst einmal Richtung Ausgang. Seine Frage beantwortete sich schnell, als er noch auf dem Bahnsteig mit seinem Namen angesprochen wurde. „Ein Einheimischer erklärte mir in sehr gutem Deutsch, dass er von diesem Zeitpunkt an mein Reiseleiter sei“, berichtet Heerwagen.
Einige Monate zuvor hatte St. Paulis Torwart seinen Trip über ein auf Nordkorea-Besuche spezialisiertes Reisebüro gebucht. Und natürlich war er vor Ort erwartet worden. Einen 1,93 Meter großen Mitteleuropäer in der Masse der Asiaten zu erkennen, war für den Reiseleiter kein wirklich großes Problem. „Im Hotel ist mir dann noch eine Reiseleiterin vorgestellt worden. Die beiden teilten sich von da an den Job, mir außerhalb des Hotels nicht mehr von der Seite zu weichen. Dazu kam dann auch noch ein Fahrer“, erzählt Heerwagen. Untergebracht war er in Nordkoreas bekanntestem Hotel, dem Koryo mitten in Pjöngjang. Markenzeichen des Hauses sind die zwei, jeweils rund 150 Meter hohen Zwillingstürme.
Vom nächsten Tag an erkundete der gut betreute Einzelreisende aus Hamburg die nordkoreanische Hauptstadt. „Man konnte beobachten, wie sich bewaffnete Soldaten hinter Wänden versteckten, wenn wir uns mit dem Wagen näherten. Sie wussten offenbar ganz genau, dass ein Tourist in diesem Auto sitzt“, sagt Heerwagen. Die wenigen Gäste des Landes sollen bloß nicht den Eindruck bekommen, dass das Militär das Stadtbild beherrscht.
Zwei Reiseleiter begleiteten ihn auf jedem Gang aus dem Hotel
Auch mit der U-Bahn konnte Philipp Heerwagen in Pjöngjang fahren – natürlich ebenfalls in Begleitung. „Es war alles sehr sauber und wirkte ziemlich nostalgisch. Die U-Bahn-Wagen schienen aus dem alten Ost-Berlin zu kommen. Ich empfand es ja als schön, dass so etwas Historisches erhalten bleibt. Aber dort ist es der neueste Stand“, erzählt er.
„Auf den Stationen befinden sich eine Art Litfaßsäulen, in die wie in China die neueste Zeitung eingehängt ist. Dort informieren sich immer viele Menschen über das Geschehen.“
Von einer Informationsflut aber kann nicht ansatzweise die Rede sein, ohne Internet und soziale Medien. „Immerhin hatte ich in meinem Hotelzimmer einen internationalen Sender – offenbar im Gegensatz zu den Reiseleitern, obwohl sie im selben Hotel untergebracht waren. Sie fragten mich jeden Tag, was denn in der weiten Welt so passiert sei“, berichtet Heerwagen. Seine Begleiter wohnten im anderen Turm des Hotels, dort wurden ganz offenbar nur die nationalen Sender in die Fernsehgeräte eingespeist.
Gespräche über die politische Lage sehr zurückhaltend
So kamen sie auch ins Gespräch über die politische Lage, das allerdings recht einseitig. „Sie fragten mich, wie ich die Dinge sehe. Wenn ich dann nach ihrer Meinung gefragt habe, waren sie sehr zurückhaltend. Es kam nur heraus, dass sie grundsätzlich eine Wiedervereinigung mit Südkorea gut finden würden, sie aber strikt gegen den Einfluss der USA in Südkorea seien.“
Die Abneigung gegen die USA kam naturgemäß auch im Kriegsmuseum in Pjöngjang stark zum Ausdruck. „Es gab dort in Form von Wachsfiguren gefallene amerikanische Soldaten, an denen bereits die Krähen picken. Dieses Bild empfand ich als sehr irritierend“, sagt Heerwagen.
Wesentlich entspannter und weniger bedrückend ging es in der mit mehreren Kunstrasenplätzen ausgestatteten Fußballschule zu, die Heerwagen besuchen konnte. Das hatte er schon vor der Abreise mit den Beamten der nordkoreanischen Botschaft abgesprochen. Mit Kindern, die 12, 13 Jahre alt sind, absolvierte Heerwagen dort ein Training. „Wir haben Torschüsse, Freistöße, Elfmeter und auch Lattenschießen geübt. Die Kinder waren technisch sehr gut ausgebildet, konnten sicher mit Innen- und Außenrist sowie mit Vollspann schießen“, erzählt St. Paulis Torwart. „Die Jungs und Mädchen konnten kein Englisch oder Deutsch, aber wir haben uns sofort verstanden. Daran hat man sehr gut gesehen, welch verbindende Kraft der Sport und speziell der Fußball haben.“
Zurück im Alltag von Pjöngjang sind Heerwagen zwei Dinge noch stark in Erinnerung geblieben. Von 22 Uhr an waren nicht nur die Nebenstraßen nicht mehr beleuchtet, sondern auch große Gebäude wie der Bahnhof. „Von meinem Hotelzimmer im 34. Stockwerk konnte ich das sehr gut sehen.“ Und dann gab es morgens noch die aus rund 40 Personen bestehende „Motivations-Brigade“, die mit Fahnen am Straßenrand die Werktätigen auf dem Fußweg zur Arbeit politische Parolen zuriefen, um sie zu einem produktiven Tag zu animieren.
Gähnende Leere im Terminal am Flughafen Pjöngjang
Zurück ging es für Philipp Heerwagen per Flugzeug nach Peking. „Vom Flughafen in Pjöngjang gehen in der Woche nur wenige Maschinen – entweder nach Peking oder nach Wladiwostok. Und das auch nicht täglich“, hat Heerwagen erfahren. Gähnend leer war es denn auch im Terminal, der für den tatsächlichen Andrang viel zu groß dimensioniert ist. Aber womöglich ändert sich dies ja alles in den kommenden Jahren, wenn es denn doch zur Wiedervereinigung mit Südkorea kommen sollte.
Über China, Südkorea und Japan flog Heerwagen nach Kalifornien, um sich dort noch ein bisschen zu erholen, bevor er jetzt am Montagmorgen wieder die Trainingsarbeit beim FC St. Pauli aufnehmen musste. Jetzt ist er also wieder in seinen Torwart-Alltag eingetaucht, hechtet nach Bällen und gibt Anweisungen an seine Mitspieler. Seine Eindrücke aus Nordkorea aber werden für immer in seinem Gedächtnis haften bleiben.