Hamburg. Prozess der Woche: Eine Frau kassiert für 13 Monate zu Unrecht Geld vom Staat. Tiefe Reue für Fehlverhalten.
Sie hat ihre Tränen getrocknet und die Schultern gestrafft. Sie hat den Rücken gerade gemacht und ein paarmal tief durchgeatmet. Sabine M. (Name geändert) gibt sich alle Mühe, sich zusammenzureißen. Doch es geht nicht. Die 43-Jährige beginnt wieder zu schluchzen. Für sie, die so gern alles perfekt machen möchte, ist eine Welt zusammengestürzt, vor Längerem schon, als sie arbeitslos wurde. Und am Ende ihrer Krise steht ein Auftritt vor dem Strafgericht. Es ist für Sabine M. ein sehr schwerer Gang.
Für 13 Monate kassierte sie zu Unrecht Geld
13 Monate lang, so wirft es die Staatsanwaltschaft der Angeklagten vor, habe sie in Hamburg Arbeitslosengeld und Wohngeld bezogen, obwohl sie nicht mehr in der Hansestadt wohnte, sondern nach Berlin umgezogen war. Dem Einwohnermeldeamt teilte sie ihre neue Anschrift mit, nicht aber dem Jobcenter. Im Gegenteil: Dreimal hatte die 43-Jährige in offiziellen Schreiben versichert, an ihrer Wohnsituation habe sich „nichts geändert“. Dabei hätte sie dort, wo sie tatsächlich lebt, auch das Wohngeld beziehen müssen.
5950 Euro zu Unrecht kassiert
Für 13 Monate hat sie demnach insgesamt 5950 Euro zu Unrecht kassiert. Sich korrekt um die behördlichen Angelegenheiten zu kümmern, habe sie „schlicht nicht geschafft, weil es mir nicht gut ging“, erklärt die Angeklagte unter Tränen. Arbeitslos geworden und von öffentlichen Mitteln abhängig zu sein, sei für sie ein persönliches Drama. „Es war in meinem Kopf drin: diese innere Abwehr gegen den Bezug von staatlichen Leistungen.“
Dabei hatte sie, nachdem sie 2011 erstmals ihren Job verloren hatte, wirklich alles unternommen, um wieder arbeiten zu können. Unter anderem machte sie eine Ausbildung zur Arzthelferin, musste diese aber wegen einer Latexallergie abbrechen. Einen anderen Job musste sie ebenfalls aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Hinzu kam, dass Sabine M. schon einmal mit dem Gesetz in Konflikt kam.
Bereits Mitbewohnerin bestohlen?
Laut Urteil hatte sie eine Frau, mit der sie in Hamburg in einer Wohngemeinschaft lebte, beklaut. Dies hatte Sabine M. stets bestritten. Auch weil sie sich zu Unrecht beschuldigt sah, hatte sie ihre Zelte in Hamburg abgebrochen, war nach Berlin gezogen und hatte sich dort vollkommen vergraben. „Das ging sogar so weit, dass ich meine Post nicht mehr geöffnet habe“, schildert die Angeklagte das Ausmaß ihrer Krise.
Doch das Chaos, das bei ihr im Schriftverkehr herrschte, ist Vergangenheit. Stattdessen hat die 43-Jährige jetzt Ordnung geschaffen, mit Hilfe etlicher Aktenordner, in denen sie jedes Schreiben sammelt und jede Zahlung akribisch dokumentiert. Die Akten scheinen nicht nur Stütze im Schriftverkehr, sondern auch im Prozess zu sein. Nervös umklammert Sabine M. die Ecken eines Ordners und blättert immer wieder in den Schriftstücken. Hätte sie früher so sorgfältig Buch geführt, wäre ihr einiges erspart geblieben.
Arbeit als Pflegekraft
Ein behördliches Schreiben aus Hamburg, in dem rund 13.000 Euro an Arbeitslosen- und Wohngeld zurückgefordert werden, hatte sie nicht geöffnet und rechtskräftig werden lassen. Dabei hätte sie korrekterweise nur das Wohngeld zurückerstatten müssen, wie eine Zeugin vom Jobcenter auf Nachfrage erläutert. Das Arbeitslosengeld werde aus Bundesmitteln erstattet – gleichgültig, in welchem Bundesland jemand wohnt. Dass sie nun gut 7000 Euro zu viel zahlen muss, findet Sabine M. nur folgerichtig: „Ich habe den Fehler gemacht. Ich fühle mich besser, wenn ich alles bis auf den letzten Cent zurückgezahlt habe“, beteuert die Angeklagte, die mittlerweile eine Fortbildung absolviert hat und als Pflegekraft arbeitet. Auch ihre Wohnsituation hat sich geändert. Die 43-Jährige ist zu ihrer Mutter gezogen und stottert gewissenhaft ihre Schulden ab. „Erst wenn alles bezahlt ist“, betont Sabine M., „habe ich wirklich den Kopf wieder frei.“
Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu 20 Euro
Der Staatsanwalt spricht in seinem Plädoyer von einem „in vielerlei Hinsicht unüblichen Fall“. Insbesondere sei positiv, dass die Angeklagte schon einen erheblichen Teil des zu viel kassierten Geldes zurückgezahlt hat. In ihrem letzten Wort hat die Angeklagte nur eines zu sagen, aber das mit Inbrunst: „Ich möchte nie wieder vom Jobcenter abhängig sein!“
Das Urteil lautet letztlich auf eine Geldstrafe von 110 Tagessätzen zu 20 Euro. Zwar habe Sabine M. wegen ihrer Arbeitslosigkeit Anspruch auf Arbeitslosen- und Wohngeld gehabt, betont die Richterin in der Urteilsbegründung. „Ihnen ist aber der Fehler unterlaufen, die Ansprüche nicht dort geltend zu machen, wo Sie wohnen. Sie haben nicht doppelt kassiert, sondern nur falsch kassiert.“ Die Rückforderung, die Sabine M. hat rechtskräftig werden lassen, liege weit über dem tatsächlich eingetretenen Schaden. Außerdem zahle die Angeklagte ja fleißig Geld zurück. „Mehr kann man nicht erwarten, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Und wenn Sie sich geschickter benommen hätten, wären Sie jetzt schuldenfrei.“