Hamburg. Otmar Kury verzichtet nach zehn Jahren auf den Posten des Kammer-Präsidenten. „Ich bin nicht amtsmüde“, sagt er. Aber ...

Er ist einer der renommiertesten Strafverteidiger Deutschlands. Sein Rechtsrat wird nicht nur in unserem Lande, sondern weltweit geschätzt; sein Engagement für seine Mandanten gilt als herausragend. 40-Stunden-Wochen? Mitnichten. Rechtsanwalt Otmar Kury ist keiner, der sich einen frühen Feierabend oder geregelte Wochenenden gönnt. Über seinen anspruchsvollen Beruf hinaus ist der 62-Jährige seit zehn Jahren auch Präsident der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer, in der die aktuell etwa 10.540 Anwälte in Hamburg organisiert sind. Jetzt könnte er sich erneut zur Wiederwahl für dieses Ehrenamt stellen, doch nun, ist Kury überzeugt, muss Schluss sein.

„Ich bin nicht amtsmüde“, betont der Anwalt. „Aber ich halte den Wechsel für notwendig. Ich finde es enorm wichtig, dass Ämter, die einer demokratischen Wahl folgen, nach einer gewissen Zeit an andere Personen übergehen. Damit werden stets auch Möglichkeiten zur Veränderung eröffnet und damit der Weg zu neuen Ideen, die wichtig sind für eine erfolgreiche Arbeit.“ Sein Nachfolger wird am 2. Mai gewählt.

Hamburg „sehr attraktiver Rechtsstandort“

Hamburg sei für Anwälte ein „sehr attraktiver Rechtsstandort. Rechtsrat wird nachgesucht durch Unternehmen, Handel, Behörden und natürlich Privatleute“, sagt Kury, dessen Aufgabe als Kammerpräsident es unter anderem ist, die Kammer nach innen und außen zu vertreten und rechtspolitische Schwerpunkte zu setzen. Es sei „beeindruckend“, so der gebürtige Badener, „dass man hier für jedes Rechtsgebiet hoch qualifizierte Spezialisten findet.

Hamburg ist der einzige Bezirk, in dem die Zulassungszahlen noch immer leicht steigen. Das liegt auch daran, dass Hamburg eine schöne Stadt ist, mit einer liberalen Grundhaltung.“ Allerdings gebe es auch durchaus Grund für Kritik an der Justiz, betont Kury. „Grundsätzlich ist festzustellen, dass eine große Zahl der Verfahren zu lange dauert. Hier besteht eine Gefahr für den Rechtsstaat, wenn das Vertrauen in eine effektive Justiz in Gefahr gerät zu erodieren.“

Diese Kritik beziehe sich überwiegend auf Zivilverfahren, stellt der Anwalt klar. Was nach wie vor ein Problem sei: „Die Gerichte teilen nicht regelmäßig mit, wann mit einer Verhandlung gerechnet werden kann. Deshalb können Anwälte ihre Mandanten nicht mit einem Mindestmaß an Informationen befrieden.“ Darüber hinaus, kritisiert Kury, gebe es Verfahrensverzögerungen auch „durch häufigen Richterwechsel und gelegentlich inadäquat umständlichen Umgang mit Sachverständigen sowie eine sonderlich anmutende Kommunikationsverneinung“.

Genauigkeit und strenge Rechtstreue

Man könne aber nicht sagen, betont Kury, „dass Richter oder Staatsanwälte zu langsam oder zu wenig arbeiten. Eher das Gegenteil ist der Fall. Sie haben alle viel zu tun.“ Der Rechtsstaat verlange „Genauigkeit und strenge Rechtstreue. Und das erwarten auch wir Anwälte. Und deshalb ist die Forderung nach mehr Mitteln für die Justiz die einzige, die grundsätzliche Problem lösen kann.“

Hinzu komme, dass die Justiz sich „bestens selber finanzieren könnte, wenn das Geld, das sie durch Gerichtskosten und Geldstrafen einnimmt, zur Finanzierung des Justizhaushaltes genutzt würde. Solche Gelder fließen aber in den allgemeinen Haushalt“, bemängelt Kury. Wenn gelegentlich Kritik geäußert werde, dass insbesondere im Strafprozess einzelne Anwälte mit angeblich unnötigen Anträgen Verfahren verzögerten, hält der Kammerpräsident dem entgegen: „Im Strafprozess gehört es zu den Aufgaben der Verteidigung, alle Erwägungen vorzutragen, und seien sie noch so anstrengend, damit ein Gericht ein gutes und richtiges Urteil fällen kann. Dann spielt die Zeit nicht die entscheidende Rolle.“

Kritisch setzt sich Kury mit dem Buch des Journalisten und Juristen Joachim Wagner auseinander, der in seinem Werk „Vorsicht Rechtsanwalt. Ein Berufsstand zwischen Mammon und Moral“ unter anderem sagt, es werde unter Anwälten rüde um Mandatsverhältnisse gekämpft – etwa indem sich Anwälte bei Häftlingen im Untersuchungsgefängnis anbiedern und aus Gefälligkeit Kassiber oder Handys ins Gefängnis schmuggelten. „ Das Buch ist zwar eine Zumutung", sagt Kury dazu. „Man muss aber sagen, dass Herr Wagner eine fleißige Analyse geliefert hat, die auch manches Problem anspricht. Verärgerung und Ablehnung nützt nichts; man muss sich mit den Dingen, die er bemängelt, beschäftigen. Und dort, wo nach unserer eigenen Einschätzung die Kritik berechtigt ist, muss korrigiert werden.“

G20-Gipfel war auch für Kury ein Einschnitt

Dass die Rechtsanwaltskammer auch mit dem eigenen Berufsstand sehr kritisch umgeht, hat man beim G20-Gipfel gesehen: Da hatte Kury als Kammerpräsident „mit aller Schärfe" Äußerungen des Anwaltes Andreas Beuth zu den schweren Ausschreitungen verurteilt. Beuth hatte nach einer Krawallnacht, in der insbesondere im Schanzenviertel randaliert und gebrandschatzt wurde, gesagt: „Wir als Autonome (…) haben gewisse Sympathien für solche Aktionen. Aber doch bitte nicht im eigenen Viertel, wo wir wohnen. Also, warum nicht in Pöseldorf oder Blankenese?“ Dazu hatte Kury in einer Stellungnahme geschrieben, dass „diese widerwärtige Sympathiebekundung und die verdeckte, bösartige Aufforderung, solche Taten (auch) in anderen Stadtteilen zu begehen“, die Hamburger Rechtsanwälte „bis in das Herz beschämen“. Eine Presseerklärung in dieser Deutlichkeit hatte es zuvor noch nicht gegeben.

Gewalt mit Entschiedenheit entgegentreten

„Mich selbst“, so Kury, „haben die Vorgänge anlässlich des G20-Gipfels erneut darin bestärkt, jeder Form von Gewalt mit Entschiedenheit entgegenzutreten.“ Generell, mahnt der Jurist, solle man „sich immer wieder der unschätzbaren Werte, die unsere Verfassung vorhält, bewusst sein. Dazu zählen die ganz wesentlichen Freiheiten in allen Bereichen unseres gesellschaftlichen und kulturellen Lebens wie Willkürverbot, Recht auf Gehör, freie Rede und freie Meinungsäußerung. Und schließlich erwarte ich in einem Gemeinwesen von jedermann Rechtstreue. Das gilt vor allem auch für die politischen Diskussionen und für einige sogenannte neuen Parteien, die sich nicht schämen, unverhohlenen Rassismus zu betreiben und den inneren Frieden damit gefährden.“

Als sehr wichtiges und bewegendes Erlebnis im Rahmen seiner Präsidentschaft der Anwaltskammer nennt Kury eine Reise von 15 Mitgliedern des Vorstandes nach Israel und insbesondere den Besuch der Shoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. „Uns wurde die hohe Ehre zuteil, in der Halle der Erinnerungen auf dem Gelände der Holocaust-Gedenkstätte unter anderem einen Kranz niederlegen zu dürfen und ein Wort des Gedenkens und der Mahnung zu sprechen.“ Hier gelobten die Anwälte, dafür einzutreten, „dass Willkür, Rechtlosigkeit, Rassismus und Antisemitismus nichts in unseren Köpfen zu suchen hat“.