Hamburg. Zu Besuch beim “Stahlgewitter“. Zum Tag der Architektur werden 68 Führungen durch interessante Bauwerke in Hamburg geboten.

Stahlgewitter. Immer wieder spricht Volkwin Marg von einem Stahlgewitter, wenn er über die Elbbrücken blickt. Klingt martialisch, nach Kriegsfilm oder Rechtsrock. Aber der Architekt meint das gar nicht so. Im Gegenteil. Stahlgewitter, das sei Ausdruck seiner Hochachtung. Vor dem Ort, der Architektur, der Aneinanderreihung von Metall und Beton. Er sei gewissermaßen Fan der alten Bogenbrücken über die Norderelbe: „Sehen Sie sich nur die Träger an, alles genietet, das macht heute keiner mehr.“

Volkwin Marg mag inzwischen 82 Jahre alt sein, als Großvater – seine Enkelin ist bei der Baustellenbegehung an den Elbbrücken dabei – möglicherweise auch altersmilde. In seinem Metier besitzt er jedoch nach wie vor die Begeisterungsfähigkeit eines Jungspunds. Erstaunlicherweise auch an einem Ort, der sich nicht gerade aufdrängt. Schon gar nicht für einen wie ihn.

Ballung an Stahlbrücken

Marg, 1936 in Königsberg geboren, in Danzig groß geworden, in Ludwigslust zur Schule gegangen und nach West­berlin getürmt, hat schon ganz andere, viel größere Projekte ergattert, angefangen beim Berliner Flughafen Tegel. Eines der größten deutschen Architekturbüros Gerkan, Marg und Partner (gmp) trägt auch seinen Namen. Und doch faszinieren ihn die Elbbrücken.

Eigentlich will der Stararchitekt über seine Baustelle reden, den filigranen Stahl-und-Glasröhren-Neubau, in dem später die U- und S-Bahnen an der Station Elbbrücken halten sollen. Da es das Neue aber nicht ohne das Alte gibt, rückt er seinen eigenen Entwurf zunächst in den städtebaulichen und architektonischen Kontext. Marg redet vom Genius loci, dem geistigen Klima des Ortes. Und das sei eben: ein Stahlgewitter, und zwar ein ansehnliches. „Diese Ballung an Stahlbrücken finden Sie nirgendwo sonst in Deutschland.“

Daran knüpfe seine stählerne Neuinterpretation der Elbbrücken an. Von der Seite betrachtet, lehnt sich die Konstruktion an die Bögen der alten Elbbrücken, in der Planerlyrik würde es heißen: Der künftige Bahnhof trete in den Dialog mit dem Vorhandenen. Im Profil ähnelt das Dach einer Ellipse.

"Wie eine gläserne Wurst“

Überhaupt, das Dach: eine aufwendige Sache. Die außen liegende Kon­struktion aus Stahl unterstreiche die optische Präsenz, die kreuzförmige Anordnung ergibt ein rostartiges, im Innern spinnennetzartiges System. Und wäre die Verglasung nicht nach innen gehängt – der Clou –, der ganze Bau würde aussehen „wie eine gläserne Wurst“, so Marg.

Der „Tagesspiegel“ schrieb über den Mann, dessen Bauten international Städte prägen und der sich zuletzt erfolglos für den Erhalt des City-Hofs sowie die historisierende Rekonstruktion der vier Hochhäuser eingesetzt hatte: „Die hanseatische Untertreibung“ sei ihm eigen, „der Sinn fürs Gediegene im Sinne des Brauch- und Haltbaren“. Marg dränge sich mit seinen Entwürfen nicht in den Vordergrund. An den Elbbrücken will er sich einmal mehr an diesem Anspruch messen lassen.

Und doch darf der neue Bahnhof, wenn es nach seinem Schöpfer geht, mehr sein als nur Mittel zum Zweck. U-Bahnhof, S-Bahnhof und die gläserne, „Skywalk“ genannte Verbindung sollen eben nicht nur die Summe der Einzelteile ergeben, das wäre ein Umsteigebahnhof, sondern auch ein städtebauliches Ensemble prägen.

Ein Ort zum Wohlfühlen

In ein paar Jahren wird der geplante Elbtower nebenan mehr als 200 Meter in den Himmel ragen, der östliche Teil der HafenCity dürfte eng bebautes Gebiet werden, und wenn Margs Bahnhof seinen Teil zum Quartier beitragen darf, umso besser. „Die Leute sollen sich hier, unter diesem luftigen Dach, wohlfühlen. Sie dürfen auch einfach nur zum Gucken kommen“, sagt Marg. Nicht grundlos fand eine Aussichtsplattform als Treffpunkt Platz im Bahnhofsneubau.

Kleine Details, die Marg beim Baustellenbesuch wichtig findet. Denn eigentlich deute die Plattform, die über dem Fluss endet und den Bahnhof vorerst zum Kopfbahnhof macht, den Sprung über die Elbe an. Nicht nur der Kleine, auch der Große Grasbrook sollte städtebaulich entwickelt werden, so Marg. „Dann wird aus dem Hüpfer über die Elbe auch ein echter Sprung.“

Leider, sagt der Architekt, fehle der Politik der Mut für diesen raumgreifenden Schritt, der auch die Hafenwirtschaft betreffen würde. Ausgelegt für eine U-4-Verlängerung per Brückenschlag in Richtung Harburg sei seine Konstruktion jedenfalls.

Der Bahnhof soll den „Geist des Ortes“ aufnehmen

Das große Ganze im Blick behalten, das Alte ehren, an den Elbbrücken schwärmt Volkwin Marg von den abgerissenen, steinernen Portalen, die einst die Brückenköpfe schmückten. Keine Frage, er hätte sie erhalten. Die Bauten des Büros gmp geben nicht nur Berlin oder Hamburg ein neues Gesicht, manchmal ergänzen sie auch nur stimmig. Besonders um den Stadionneu- und -umbau hat sich das Büro verdient gemacht. Brasilien, China, Polen und allen voran die Sanierung des Olympiastadions in Berlin. Dem Monumentalbau für die Spiele 1936 nahmen sie mit einem neuen Dach viel von seiner Schwere. Da ist er wieder, der Genius Loci.

An den Elbbrücken mit der Lage am Fluss, der dichten Quartiersbebauung und den historischen Brücken mit ihren Stahlbögen soll dem „Geist des Ortes“ Rechnung getragen werden. „Das verpflichtet“, sagt Marg. Zumal seit einigen Jahren auch vermeintlich profane Bauten einer Erwartungshaltung entsprechen müssen, die über reine Funktion hinausgeht, von einer „Renaissance der Bahnhöfe“ ist die Rede. Als Pendant zu den Brücken soll die lichte Haltestelle deshalb auch neue Blicke ermöglichen.

Grazile Pfeiler, die tonnenschwere Rolltreppen tragen, speziell beschichtete Materialien, die wirken wie Rost – bei einer Baustellenführung mit dem Architekten löst sich so mancher Verständnisknoten. Wer hätte gedacht, dass Stahlgewitter auch reinigend wirken können.

Das Programm zum Tag der Architektur:

Architektur bleibt“ lautet das Motto am diesjährigen Tag der Architektur und Ingenieurbaukunst am kommenden Wochen­ende 23./24. Juni.

68 kostenlose Führungen und Touren werden in Hamburg angeboten, und zwar in den Bereichen „Projekte“, „Zeitzeugen“und „Touren“.

Thematisch reichen die Besichtigungsmöglichkeiten vom Autobahntunnel Stellingen über die Sanierung des Finnlandhauses, Villen und Landhäuser in Ohlstedt bis zum Neubau des Kinder-UKE sowie der Tour zum Verlust des Altonaer Zentrums.

Interessant dürfte die Rubrik Zeitzeugen werden, in der Architekten und Stadtplaner Projekte besuchen, die sie vor mehr als 25 Jahren gebaut haben.

Der Baustellenbesuch an den Elbbrücken startet um 10.45 Uhr, 11.25 Uhr, 12.05 Uhr, 12.45 Uhr und 13.25 Uhr. Die Führungen dauern 40 Minuten und sind nicht barrierefrei. Anmeldung vor Ort (Zweibrückenstraße).

Das komplette Programm unter: https://www.akhh.de