Hamburg . Borreliose-Gefahr: Im Duvenstedter Brook und Wohldorfer Wald sind die Blutsauger besonders aktiv. 120.000 Neuerkrankungen jährlich.

Sie sind drei Millimeter groß und gefährlich: Zecken (Ixodes ricinus) lauern zwischen Grashalmen und Laub und warten nur darauf, Blut zu saugen. Bei Menschen können die Stiche der Mini-Vampire Krankheiten auslösen, die in Hamburg und Norddeutschland in den vergangenen Jahren offenbar häufiger diagnostiziert werden.

Die Barmer Ersatzkasse warnt jetzt bundesweit vor einer Infektionszunahme der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), einer Entzündung des Gehirns und der Hirnhäute. Noch stärker als FSME ist die Lyme-Borreliose verbreitet, die ebenfalls per Zeckenstich übertragen wird. Auch bei dieser Krankheit steigen die Fallzahlen in Hamburg über einen längeren Zeitraum an. „Man hat den Eindruck, dass die Borreliose in Hamburg gegenüber früheren Jahrzehnten häufiger aufzutreten scheint“, sagte Franz Jürgen Schell, medizinischer Sprecher der Asklepios-Kliniken. Wissenschaftliche Belege gebe es jedoch dafür nicht.

Jährlich bis zu 120.000 Neuerkrankungen

Borreliose hat viele Symptome. Ein erstes kann die sogenannte Wanderröte sein. Später können Entzündungen an Gelenken, an Herz sowie weiteren Organen, Nerven und Haut auftreten. Oft haben die Patienten eine Odyssee hinter sich, bis endlich ein Mediziner jene Krankheit diagnostiziert, die in den 1950er-Jahren erstmals in Lyme (USA) beschrieben wurde. Antibiotika sind als Therapie in jedem Stadium das Mittel der Wahl.

Einzelne Hamburger Ärzte berichten derzeit darüber, dass sie in diesen Tagen etwas häufiger als sonst Borreliose bei ihren Patienten diagnostizieren. Weil diese Erkrankung im Gegensatz zu anderen Bundesländern in der Hansestadt nicht gesetzlich meldepflichtig ist, fehlen jedoch amtliche Zahlen. Das Robert-Koch-Institut verweist auf Studien, die von jährlich bis zu 120.000 Neuerkrankungen in Deutschland berichten. Der Bundesverband der Patientenorganisation Borreliose und FSME Deutschland spricht von einer Zunahme der Borreliose-Fälle um 45 Prozent im Vergleich von 2016 zu 2017.

Infektionen im Norden auf hohem Level

Zwar ist Süddeutschland vom Infektionsrisiko regional stärker betroffen. Aber nach Asklepios-Angaben befinden sich die Infektionen im Norden bereits auf einem stabilen und „für Norddeutschland doch recht hohen Level“.

Im ersten Halbjahr 2018 hat das Hamburger Labor Medilys 172 Borreliosefälle festgestellt. Im gesamten Vorjahr waren es rund 550. Diese Zahl ist aber nicht aussagekräftig, weil das Labor lediglich für die Hälfte der Hamburger Kliniken tätig ist.

Dass der Gemeine Holzbock in diesem Sommer besonders blutrünstig ist, berichtet der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). „Unsere Biologen haben festgestellt, dass die Zecken in diesem Jahr sehr aktiv sind“, sagt Nabu-Sprecherin Ilka Brodmann. Auslöser sei das warme Wetter bereits im Mai. Zecken kämen vor allem im Buschwerk und in ungemähten Wiesen und Wegesrändern vor. „Diese Voraussetzungen findet man in Hamburg besonders gut im Duvenstedter Brook, im Wohldorfer Wald und im Klöven­steen.“

Nicht jeder Zeckenstich löst Borreliose aus

So umtriebig diese Spinnentiere sind – nicht jeder Zeckenstich löst Borreliose oder Frühsommer-Meningoenzephalitis aus. Zehn bis 35 Prozent der Tiere tragen Borrelien in sich. Weitaus seltener sind Zecken mit FSME befallen. In deutschen FSME-Risiko-Gebieten, zu denen Hamburg nicht gehört, haben bis zu fünf Prozent der Blutsauger das Virus in sich.

Vergleichsweise gering ist daher die Zahl der FSME-Erkrankungen. In Hamburg gab es 2017 lediglich eine dokumentierte FMSE-Infektion, sagt Frank Liedtke, Landesbeschäftsführer der Barmer in Hamburg. Allerdings sei die Zahl der FSME-Erkrankungen im Jahr 2017 bundesweit um 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Wie Privatdozent Gerhard Dobler vom Nationalen Konsillabor für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr sagt, wächst die Zahl der Fälle in Norddeutschland. Niedersachsen sei „tendenziell etwas häufiger“ betroffen.

Die Barmer gibt Urlaubern eine Warnung mit auf den Weg: „Die Gefahr, in klassischen Urlaubsgebieten von Zecken infiziert zu werden, bleibt für die Hamburger bestehen“, betont Liedtke. In Bayern, Baden-Württemberg, Südhessen, im südöstlichen Thüringen und in Sachsen bestehe ein Risiko, durch Zeckenstiche mit dem FSME-Virus infiziert zu werden. Wer sich der Gefahr nicht aussetzen wolle, könne sich mit Impfungen schützen.

Hamburger Senat lehnt Meldepflicht ab

Während FSME in allen Bundesländern meldepflichtig ist, gilt das für Borreliose nicht. Wie Ute Fischer vom Bundesverband der Patientenorganisation Borreliose und FSME sagt, „weigerten“ sich Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen „vehement“ gegen eine Meldepflicht. Der Hamburger Senat begründet die Ablehnung der gesetzlichen Meldepflicht damit, dass „von einer an Borreliose erkrankten Person keine Gefährdung ihrer Umgebung“ ausgehe.

Um sich vor Zeckenstichen zu schützen, rät die Barmer Ersatzkasse beim Aufenthalt in den entsprechenden Regionen zu langer Kleidung und festem Schuhwerk. Nach Aktivitäten im Freien sollte der Körper nach Zecken abgesucht werden. Wer gestochen wurde, sollte die Zecke zügig mit einer speziellen Zeckenzange, -schlinge oder -karte oder einer Pinzette mit nach innen gewinkelten Spitzen entfernen. Im Zweifelsfall und bei Beschwerden am besten schnell zum Arzt gehen.