Hamburg . Zweiter Teil des Streitgesprächs zum Wachstum Hamburgs. „Wir müssen die Menschen unterbringen, die Frau Merkel geholt hat“.

Die Hansestadt wächst bis 2030 laut Prognosen auf zwei Millionen Menschen. Sogar 2,2 Millionen könnte Hamburg verkraften, sagte zuletzt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Im zweiten Teil des Abendblatt-Streitgesprächs diskutiert er mit CDU-Fraktionschef André Trepoll und dem Stadtentwicklungsexperten Prof. Jörg Knieling von der HafenCity-Universität die Folgen des Wachstums – für Verkehr, Wohnungsbau oder das Grün. Strittig ist dabei vor allem, ob Hamburg bei Planung von Verkehr und Wohnungsbau enger mit dem Umland zusammenarbeiten kann.

Der Verkehr wird stressiger, darüber haben wir gesprochen. Doch das hat ja auch mit dem Wachstum der Stadt zu tun. Zuletzt haben Sie sogar von 2,2 Millionen Menschen gesprochen, Herr Kienscherf. Bereuen Sie das schon?

Kienscherf: Das war eine Antwort auf die Frage, ob Hamburg mit über zwei Millionen Einwohnern automatisch zusammenbrechen würde. Es war keine Prognose und ist kein Wunsch. Die Prognosen liegen bei zwei Millionen bis 2030. Klar ist: Wachstum ist besser als Schrumpfung. Es geht darum, das Wachstum, das wir kaum beeinflussen können, so zu gestalten, dass es gut für alle ist und dass die Infrastruktur mithält. Daran arbeiten wir.

Trepoll: Ich frage mich, warum stellt ein Politiker so eine Zahl in den Raum? Damit soll offenbar eine Politik begründet werden, die für alle Zeiten 10.000 Wohnungen pro Jahr bauen will. Man muss die Hamburger aber auch mal fragen, ob sie überhaupt wollen, dass die Stadt auf 2,2 Millionen wächst. Die Antworten sind eindeutig: Sie wollen das so nicht. Man sieht doch jetzt schon, dass Rot-Grün mit dem nötigen zusätzlichen Ausbau der sozialen Infrastruktur und des Verkehrs überfordert ist.

Was schlagen Sie denn vor? Neue Stadtmauern mit Hamburg-Visa?

Trepoll: Wir wollen eine bessere Zusammenarbeit mit dem Umland. Dort werden gar keine Sozialwohnungen gebaut. Und wenn Sie sich die Menschen anschauen, die nach Hamburg kommen, dann müsste Rot-Grün in Hamburg zu 80 Prozent Sozialwohnungen bauen. Aber der Senat sieht den Verbund mit dem Umland einfach nicht, sondern schaut nur auf Hamburg und sich selbst. 2,2 Millionen, das wird das Gesicht Hamburgs verändern. Meine Antwort ist klar: Wachstum ja, Wahnsinn nein.

Kienscherf: Wenn Frau Merkel eine Million Flüchtlinge hier reinlässt, worüber man sich ja durchaus streiten kann, und man zu dem Schluss kommt, dass das richtig war: Dann muss man auch auf Landesebene die Verantwortung wahrnehmen und sich darum kümmern, dass die Wohnungen dafür auch gebaut werden, lieber Herr Trepoll. Das aber haben Sie immer blockiert. Wir bekennen uns dazu, dass wir 30.000 Flüchtlinge hier unterbringen. Sie machen sich einen schlanken Fuß. Das ist hochgradig unehrlich.

Trepoll: Das ist doch AfD-Rhetorik, Frau Merkel für alles verantwortlich zu machen.

Wie sieht es mit der Kooperation in der Metropolregion aus?

Kienscherf: Wir können ja den Umlandgemeinden nicht vorschreiben, was sie zu bauen haben. Die sagen uns: Wir lassen uns von euch Hamburgern doch nicht sagen, dass wir auf unsere Wiesen Sozialwohnungen bauen.

Knieling: Nicht nur beim Bauen, auch bei der Verkehrspolitik sollte es enge Kooperationen geben, um das Auto zurückzudrängen. Aber man muss auch die Art des Bauens und Wohnens in Hamburg selbst überdenken. In Zürich gibt es Projekte von gemeinschaftlichem Wohnen, wo jeder nur noch 35 Quadratmeter für sich selber hat und ergänzend gibt es gemeinschaftliche Räume, die alle nutzen können. In der Summe spart das deutlich Fläche. Angesichts der knappen Flächen ist in Hamburg für Einfamilienhäuser kein Platz mehr.

Trepoll: Nun hat der neue Bürgermeister sogar gefordert, dass über 300.000 Pendler auch noch nach Hamburg ziehen sollen. Ich würde ja gerne mal von Herrn Kienscherf wissen, was er den Hamburgern sagt, die ein so starkes Wachstum nicht wollen und um das Grün und die Lebensqualität fürchten.

Kienscherf: Natürlich werden wir unser Grün und unsere Lebensqualität erhalten. Wir Hamburger sind mal bei 800.000 Einwohnern gewesen und sind heute bei 1,8 Millionen. Städte haben sich immer verändert. Wir leben von den Menschen, die hierherkommen, und von neuen Ideen. Es ist besser für uns alle, dass unsere Stadt prosperiert – und nicht schrumpft.

Gibt es denn eine umfassende Strategie für die Stadtentwicklung?

Trepoll: Nein, die hat Rot-Grün eben nicht. Hamburg ist die einzige Großstadt, die überhaupt kein gesamtstädtisches Entwicklungskonzept hat. Keiner weiß, wo die Regierung hinwill. Eine von uns beantragte notwendige Überarbeitung des Flächennutzungsplans hat Rot-Grün abgelehnt. Vom Senat wird alles ohne Konzept und Dialog gemacht, da ist es ja kein Wunder, dass es immer wieder große Proteste und Volksbegehren gibt.

Kienscherf: Wir haben bei allen Vorhaben immer genau dargelegt, was wir vorhaben und das diskutiert. Sei es die Mitte Altona, der A-7-Deckel, stromaufwärts an Bille und Elbe, die Achse nach Harburg, es wurde alles genau vorgestellt. So ein großer Plan, der hört sich ganz toll an. Wir müssen aber jetzt Wohnungen bauen. Und 95 Prozent der Planung findet in den Bezirken statt. Deswegen haben wir vertraglich festgelegt, wie viele Wohnungen die Bezirke bauen.

Trepoll: Deswegen haben Sie auch überall SPD-Bezirksamtsleiter.

Kienscherf: Nein. Sie können doch nicht vom Rathaus aus den Bezirken vorschreiben, was die zu tun und zu lassen haben. Da setzen wir auf eine vernünftige Kooperation.

Werden Verkehr und Stadtentwicklung das wichtigste Wahlkampfthema?

Trepoll: Das sind Themen, die die Hamburger sehr bewegen, deswegen werden wir sicher im Wahlkampf über die besseren Konzepte streiten – auch darüber, wie stark Hamburg wachsen soll und wie viele Wohnungen wir in dieser Stadt bauen wollen.

Kienscherf: Wir haben in Hamburg einen angespannten Wohnungsmarkt, dem die CDU anscheinend mit weniger Wohnungen beikommen will. Das zeigt, wie weit sich Herr Trepoll schon von der Realität auf dem Wohnungsmarkt entfernt hat.

Trepoll: Erst mal muss man feststellen, dass ihre Politik seit 2011 nicht dazu geführt hat, dass die Mieten in Hamburg auch nur ansatzweise weniger steigen. Bei Neuvermietungen haben wir einen Anstieg von 30 Prozent, und die Baukosten explodieren. Das sind die Fakten. Wir haben Vorschläge gemacht, zum Beispiel ein Mietpreismoratorium bei der Saga.

Sie wollen also Ihr altes CDU-Leitbild der Wachsenden Stadt ersetzen durch: „Hamburg wächst im Umland“?

Trepoll: Wir ergänzen und aktualisieren unsere Politik fortwährend. Die Frage ist doch: Welches Leitbild hat dieser Senat? Die Grünen sagen: Weltstadt wollen wir nicht. Und die SPD redet von 2,2 Millionen. Der Bürgermeister schweigt. Da fehlt doch der Kapitän, der den klaren Kurs vorgibt.

Knieling: Ich hoffe, dass sich die Politik einen Wettbewerb guter Ideen beim Thema Stadtentwicklung und Verkehr liefert. Alle sind sich einig, dass Hamburg auch in Zukunft eine innovative Stadt sein soll. Mobilität ist ein zentrales Thema. Welche Mobilität braucht das Hamburg der Zukunft? Wie bekommen wir das gesund und umweltschonend hin? Dazu könnten SPD und CDU einen wichtigen Beitrag leisten – auch mit einer kreativen Debatte im nächsten Wahlkampf.