Hamburg. Studenten der Technischen Universität Hamburg bereiten Roboter auf Fußballturniere vor. Ein Besuch im Trainingslager

Kurz vor der Weltmeisterschaft ist zumindest Spieler „TUHHNao19“ noch nicht in Topform. Er stapft mit kurzen Schritten über den grünen Kunstrasen auf den Fußball zu, schiebt die Pille mit seinen Füßen vor sich her, stoppt einen Meter vor dem Tor. Dann kippt er den Oberkörper nach hinten, streckt das rechte Bein nach vorne – und schießt knapp am linken Pfosten vorbei.

„Oh je“, ruft sein Trainer Pascal Loth, ein fröhlicher Student mit kurzem Haupthaar und langem Vollbart. Er grinst. „Hier, du bekommst einen neuen Versuch.“ Loth legt den Ball nun 30 Zentimeter vor das Tor. Jetzt sollte es klappen.

Sein Schützling nähert sich, führt den Ball dieses Mal enger, bugsiert ihn schließlich über die Torlinie – bleibt dann aber mit seinem linken Arm am Pfosten hängen, schwankt und kippt um.

Pascal Loth kichert. Immerhin ist die Pille nun im Kasten. Dann aber guckt er besorgt und beugt sich herab. Was hier eine Bruchlandung hingelegt hat, kostet 5000 Euro. „TUHHNao19“ ist nämlich ein Roboter. 58 Zentimeter groß, 4,3 Kilo schwer, mit niedlichen schwarzen Kulleraugen, wie sie auch Puppen haben und einem weiß-blau lackierten Kunststoffkörper, in dem ganz viel Elektronik steckt. Zum Beispiel 25 Motoren: elf für die Beine, zwei zum Bewegen des Kopfes und sechs pro Arm.

2017 gingen die Harburger im Viertelfinale unter

Seine Bezeichnung „TUHHNao19“ hat mehrere Bedeutungen. „TUHH“ ist das Kürzel der Technischen Universität Hamburg in Harburg. „Nao“ heißt eine Roboterserie, die von der französischen Firma Softbankrobotics hergestellt wird. Die 19 ist eine Nummer.

Die Naos sind hauptsächlich als soziale Begleiter entwickelt worden, zum Beispiel für ältere Menschen. Humanoide Roboter heißen solche Maschinen, die uns ähnlich sein sollen. Die Knirpse lassen sich aber auch für andere Aufgaben programmieren, etwa zum Fußballspielen. Student Pascal Loth und seine Mitstreiter machen das aus Spaß – und weil sie etwas über künstliche Intelligenz lernen wollen.

Auch wenn es mit der Zielgenauigkeit der Maschinen-Männchen mitunter noch hapert – die Harburger Roboter-Mannschaft namens Hulks war schon sehr erfolgreich: Beim letzten Robo-Cup 2017 im japanischen Nagoya wurden die Harburger in der Mixed-Disziplin gemeinsam mit dem Bremer Team B-Human sogar Weltmeister. Als Einzelteam kamen sie ins Viertelfinale, gingen dort aber völlig unter: Mit 0:10 verloren sie gegen die Nao Devils aus Dortmund.

Nun naht eine neue Chance: Am Montag startet im kanadischen Montreal die nächste Robo-Cup-WM. „Dieses Mal wollen wir es ins Halbfinale schaffen“, sagt Pascal Loth.

Die besten Algorithmen entscheiden, wer das Tor macht

Der 25-Jährige studiert Informatik-Ingenieurwesen. Wie die meisten anderen Mitglieder des 33-köpfigen Teams verbringt er einen Großteil seiner Freizeit mit Arbeiten rund um die Roboter. Im dritten Stock eines Bürogebäudes unweit der Technischen Universität haben sich die Studierenden einen Gemeinschaftsraum mit Sofa, Kühlschrank und Fernseher eingerichtet. Auf einer Anrichte stehen zwei Herdplatten und ein Backofen, daneben Tortellini, Thunfischdosen und Kaffee. An der Wand hängen drei Dutzend Fotos von Roboter-Turnieren in Leibniz, Brasilien, China und Japan, an denen die HULKs schon teilgenommen haben. Neben dem Gemeinschaftsraum befindet sich der Trainingsraum für die Nao-Roboter mit einem neun mal sechs Meter großen Kunstrasenfeld, hinzu kommen Räume mit Computern.

Wenn gerade in Russland bei der Fußball-WM Stars wie Neymar, Messi und Ronaldo rasante Pässe, Finten, Dribblings oder Bananenflanken zeigen, sieht das flüssig und kinderleicht aus. Auch bei Hobbyfußballern erscheinen viele Fähigkeiten als selbstverständlich: dass sie sich auf dem Spielfeld orientieren können, den Ball erkennen, ihr eigenes Team vom Gegner unterscheiden, gleichzeitig Rufe des Trainers hören, dass sie springen, köpfen oder rückwärts gehen können.

Nicht zu sehen ist, was diese Aktionen möglich macht: ein kompliziertes Zusammenspiel zwischen Sinnen, Gehirn, Nervenbahnen und Muskeln. Als Steuerzentrale fungiert das Gehirn. Es besteht schätzungsweise aus fast 90 Milliarden Nervenzellen (Neurone). Das sind mehr als sieben Mal so viele wie die Transistoren auf den modernsten Computerchips. Hinzu kommt, dass zwischen unseren Hirnzellen tausende Verbindungen verlaufen, die Synapsen. Von jedem Transistor auf einem Chip gehen nur einige wenige Leiterbahnen aus.

Und in den Köpfen der Nao-Roboter stecken ja nicht mal Spitzenprozessoren – im Gegenteil: Verbaut ist ein 1,6-Gigaherz-Atom-Prozessor von Intel. „Sehr viele aktuelle Handys können erheblich schneller rechnen“, sagt Pascal Loth. Aber das sei eben die Herausforderungen bei den Robo-Cups: Dass alle Teams aus den gleichen, vergleichsweise bescheidenen technischen Möglichkeiten das Beste machen. In der sogenannten Standard Platform League (SPL) müssen alle Teilnehmer die Nao-Plattform nutzen. Deshalb kommt es auf die Software an: Die besten Rechenanweisungen (Algorithmen) entscheiden, wer das Tor schießt.

Ausgestattet mit Kameras, Ultraschallsensoren und Mikros

Was für einen Menschen simpel ist, kann für Roboter eine riesige Herausforderung sein. Doch wie wir Menschen können die Maschinen lernen und sich verbessern.

Ihre Umwelt nehmen die Hulks mithilfe verschiedener Geräte wahr. Als Augen nutzen sie zwei Kameras, die in der Stirn und im Mund eingebaut sind. Damit können sie bis zu 60 Farbbilder pro Sekunde aufnehmen. Ultraschallsensoren in der Brust messen den Abstand zu anderen Robotern. In den Köpfen sind Mikrofone eingebaut. Die sind wichtig, damit die Roboter beim Spielbeginn die Pfeife hören, erklärt Pascal Loth: "Wer sie nicht registriert, darf erst 15 Sekunden später loslaufen – dann steht der Gegner vielleicht schon vor dem eigenen Tor." Wobei man sich „laufen“ nicht so vorstellen darf wie bei menschlichen Spielern: Die Nao-Roboter sind nur schnell genug, um mit einer Taube mitzuhalten, die über den Asphalt tippelt.

Entscheidend für den Spielerfolg ist, ob die Hulks mit den registrierten Informationen etwas anfangen können und wie sie darauf reagieren. Dafür müssen sich die Maschinen orientieren können: Wo ist der Ball? Wo verlaufen die Seitenlinien? Wo steht das gegnerische Tor? Damit die HULKs all das immer besser hinbekommen, haben die Studenten um Pascal Loth ihre Maschinen-Männchen allein beim letzten Fußball-Wettbewerb rund 19.000 Bilder aufnehmen lassen und diese dann ausgewertet. Die Erkenntnisse fließen in ein Programm ein, das auf der Festplatte im Kopf des Roboters gespeichert wird. Dieses läuft dann im Kopf des Roboters auf dem Rechner, der die Sensordaten verarbeitet und Aktionen berechnet.

An Sprünge und Sprints und Fallrückzieher wie bei menschlichen Fußballprofis zwar noch längst nicht zu denken. Das könnte sich aber ändern, sagt der RoboCup-Verband: Im Jahr 2050 sollen humanoide Roboter ein Spiel gegen die dann amtierenden menschlichen Fußballweltmeister gewinnen.