Hamburg. Die Stadtteilschulen haben so viel Zulauf wie nie. Schon jetzt stoßen viele Standorte an ihre Kapazitätsgrenze.

Am Anfang steht eine gute Nachricht: Die Akzeptanz der Stadtteilschulen bei den Eltern ist deutlich gewachsen. Für das kommende Schuljahr wurden 6667 Fünftklässler an den 58 Stadtteilschulen angemeldet. Das ist ein Zuwachs um 546 Schüler oder neun Prozent gegenüber 2017.

Doch der Erfolg schafft auch Pro­bleme: Kurzfristig müssen 25 Klassen neu eingerichtet werden, die sich nach Angaben der Schulbehörde auf 24 Standorte verteilen. Etliche Schulen haben aber schon jetzt ihre Kapazitätsgrenze erreicht. Für Aufsehen sorgte der Fall der Stadtteilschule Walddörfer, die sich zunächst geweigert hatte, eine siebte Parallelklasse einzurichten, um alle angemeldeten Schüler aufnehmen zu können (wir berichteten).

Kein geeigneter Raum mehr vorhanden

Das Argument der Schule, die auf sechs Parallelklassen (Züge) ausgelegt ist: Es sei kein geeigneter Raum mehr vorhanden, die zusätzliche Klasse müsse in einem Werkraum untergebracht werden, der dann für den Fachunterricht ausfalle. Das pädagogische Konzept der Schule könne mit sieben fünften Klassen nicht mehr umgesetzt werden. Die Schulbehörde beurteilt die Raumsituation anders und ordnete die Einrichtung der neuen Klasse an.

Leitartikel: Stadtteilschulen stärken!

Die Gemeinschaft der Elternräte an Stadtteilschulen (GEST) hat jetzt in einem Brief an Landesschulrat Torsten Altenburg-Hack Alarm geschlagen. Maßgeblich für die Verwirklichung der Lernziele der Stadtteilschulen seien kleine Klassenverbände, gute Lehrkräfte und ausreichend Räume, schreiben die Elternräte. „Im Fall der Stadtteilschule Walddörfer und auch bei anderen Stadtteilschulen läuft dies momentan aus dem Ruder“, heißt es in dem Schreiben weiter, das dem Abendblatt vorliegt. Die GEST vermutet, dass der Andrang in nahezu allen Schulen zu höheren Klassenfrequenzen führen werde, wobei der Lehrer- und Raumbedarf und „die mühsam erarbeiteten Profile der Stadtteilschulen“ nicht ausreichend berücksichtigt würden. „Dies kommt einer Demontage der Stadtteilschulen nahe“, heißt es in dem Brief.

Die Schulen sollten aus Sicht der Eltern höchstens fünf- oder sechszügig sein. „Die GEST fordert den Senat und die Behörden auf, vor allem in den Stadtteilen, in denen aktuell massiv neuer Wohnraum geschaffen wird, dafür zu sorgen, dass die bestehenden Stadtteilschulen nicht überfrequentiert werden. Es müssen rechtzeitig neue Stadtteilschulen gebaut werden“, so die Elternräte.

Großer Vertrauensvorschuss der Eltern

In Neugraben/Fischbek, am Lohsepark in der HafenCity und im Gebiet der Neuen Mitte Altona sind zum Beispiel neue Stadtteilschulen (STS) geplant. Die Schulbehörde sieht zudem „echte Obergrenzen“ für Schulen. Standorte mit acht Eingangsklassen (Julius Leber in Schnelsen, Goethe in Harburg und Fischbek/Falkenberg) haben mehr als 1600 Schüler und bis zu 200 Lehrkräfte. „Größer sollten sie nicht werden. Irgendwann kann der Schulleiter gar nicht mehr alle seine Kollegen kennen“, sagt Peter Albrecht, Sprecher der Schulbehörde. Andererseits gebe es auch objektive Grenzen des Wachstums, weil aufgrund der
Lage kein Zubau mehr möglich sei.

Thimo Witting
ist Sprecher der
Vereinigung der
Schulleiter der
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Thimo Witting ist Sprecher der Vereinigung der Schulleiter der Stad © HA | Marcelo Hernandez

Grundsätzlich gilt für die Behörde aber: Wenn eine Schule noch freie Kapazitäten hat, muss sie Schüler über die festgelegte Schul-Obergrenze hinaus aufnehmen und entsprechend Klassen einrichten. Dahinter steckt das Ziel, möglichst viele Erstwünsche von Eltern für die weiterführende Schule ihrer Kinder zu erfüllen. In seiner ausführlichen Antwort auf den GEST-Brief erläutert Schulsenator Ties Rabe (SPD), warum. „In der diesjährigen Anmelderunde zeigt sich, dass die Maßnahmen und Werbung für die Schulform Stadtteilschule einen guten Erfolg hatten“, schreibt der Senator.

Aufgrund des großen Vertrauensvorschusses der Eltern für die Stadtteilschule sei es „entscheidend, die Wahl für die Schulform und die einzelne Schule sehr ernst zu nehmen“, so Rabe. „Nur wenn es gelingt, das Vertrauen der Eltern nicht zu enttäuschen, lassen sich die Anmeldezahlen dauerhaft stabilisieren.“ Soll heißen: Die Erfüllung des Erstwunsches ist wichtig, auch weil der Zweit- und Drittwunsch jeweils ein Gymnasium sein könnte.

Deutlich ist der Kurs gegenüber der STS Walddörfer. „Die Schule macht geltend, dass ihr Raumkonzept mehr Räume beansprucht. Diesen Einwand lässt die Schulbehörde nicht gelten“, so Rabe. „Es ist nicht richtig, Raumkonzepte zu entwickeln, die zusätzliche Klassenräume beanspruchen, und daraus Sonderrechte abzuleiten, die andere Schulen nicht haben.“

Bessere Verteilung der Schüler

„Ich halte es für kurzsichtig und fragwürdig, dass sich der Senator komplett über die Bedenken der Schule hinweggesetzt hat, anstatt eine Lösung mit der Schule zu finden“, sagt der Volksdorfer CDU-Bürgerschaftsabgeordnete Thilo Kleibauer. Es sei „ziemlich abgehoben und meilenweit von der Situation vor Ort entfernt“, wenn Rabe von einer großzügigen Raumsituation spreche.

„Wir freuen uns absolut, dass die Stadtteilschulen den Zuspruch so vieler Eltern genießen – auch über das Maß unserer Kapazitäten hinaus. Das ist ein Erfolg der kontinuierlichen Arbeit an den Stadtteilschulen“, sagt Thimo Witting, Sprecher der Vereinigung der Schulleiter der Stadtteilschulen. „Aber bevor die geplante Zügigkeit überschritten wird, sollten die zusätz­lichen Schüler auf andere Stadtteilschulen verteilt werden. Es darf daher aus unserer Sicht nicht das oberste Ziel sein, unbedingt den Erstwunsch der Eltern erfüllen zu wollen“, so Witting, Schulleiter der STS Bergedorf.

Jeder Standort brauche eine gewisse Größe, um ein attraktives Schulprofil anbieten zu können. „Andererseits darf es nicht sein, dass so viele Schüler aufgenommen werden, dass das pädagogische Konzept räumlicher Nähe der Eingangsklassen nicht mehr umgesetzt werden kann“, sagt Witting. „Wir brauchen Luft im System, nicht zuletzt, weil der Druck durch Schulformwechsler und die Übernahme der Schüler aus den Internnationalen Vorbereitungsklassen nach wie vor sehr groß ist. Viele Stadtteilschulen platzen aus allen Nähten.“ In den Klassen säßen immer häufiger 26 oder 27 Schüler.