Hamburg. Und plötzlich ging nichts mehr. Am Sonntag um neun Uhr brach das Chaos über den Hamburger Airport herein.

Um 13 Uhr keimt so etwas wie Hoffnung auf. Die Sicherheitsleute stellen sich wieder an ihre Plätze, streifen Handschuhe über. Direkt vor der Absperrung im Terminal 2 liegen und sitzen die Menschen zu Hunderten wie gestrandet. Draußen steht die Feuerwehr, ein Polizist verteilt Wassertüten an die Wartenden. „ Werden wir jetzt bald erlöst?!“, fragt eine Frau. Doch der Beamte schüttelt nur den Kopf. Und einer der Monitore drinnen zeigt bald nur noch ein großes Symbol auf weißem Grund: ein Fragezeichen. Es ist Stunde vier des nahezu beispiellosen Chaos am Sonntag am Hamburger Flughafen.

Kurzschluss und Schluss

Ein Kurzschluss hat ausgereicht, um den Airport stillzulegen. Wo genau der Fehler auftrat, teilt die Leitung bis zum Sonntagabend nicht mit. Aber sie gibt die Hoffnung für diesen Tag auf: Der Flugbetrieb wird für den gesamten Sonntag eingestellt. Frühestens am Montag sollen wieder Flugzeuge in Hamburg starten und landen. Doch alle werden es auf keinen Fall sein. Auf der Homepage des Airports war am Sonntagabend mehr als ein Dutzend gestrichene Flüge für Montag aufgelistet. Der Defekt hat Mitarbeiter wie Passagiere völlig überraschend getroffen.

Als gegen 9 Uhr morgens der Strom im Terminal 2 ausfällt, läuft bei einigen Maschinen schon das Boarding. „Die haben uns direkt wieder von den Flugzeugsitzen zurückgeholt“, sagt der Schweizer Jan Strobl, der mit seiner Familie nach einigen Tagen in Hamburg am Morgen zurück nach Zürich fliegen wollte. „Viel gesagt hat uns niemand. Nur, dass wir warten sollen. Jetzt wissen wir auch nicht, ob wir mit einem Leihwagen und einer langen Fahrt nicht besser dran wären.“ Sie lassen sich ebenfalls vor der Sicherheitskontrolle nieder, mit dem Rücken zu den großen elektrischen Anzeigetafeln, die nur noch ein Schwarzbild zeigen.

Passagiere fühlen sich nicht gut informiert

In der Führungsetage des Flughafens glauben sie zunächst noch, schnell Abhilfe schaffen zu können. Deshalb werden die Passagiere hinüber in das Terminal 1 gebeten. Dann wird doch entschieden, den Strom in allen Bereichen zu kappen. Die Telefonanlage fällt aus, die Lautsprecher, die Anzeige, die Gepäckbänder und die Lichtsignale am Rollfeld. Airport-Geschäfte schließen und lassen ihre Rollgitter herunter. Dann soll versucht werden, alle Systeme einzeln wieder hochzufahren. „Vorgeschriebenes Prozedere“, heißt es. Wenig später sollen die Passagiere nun sogar beide Terminals räumen.

Die Ansage dazu kommt metallisch scheppernd aus der Anlage, nun fühlen sich viele Passagiere verschaukelt. „Man versteht nichts von der Durchsage. Die Information ist schlicht grottig“, sagt ein Passagier, der schon längst im Flugzeug nach Lissabon sitzen wollte. In den sozialen Medien ist der Frust schon in Spott umgeschlagen. Warum der Flughafen zwar über ein Notstromsystem verfügt, dieses aber nicht benutzt, will niemand recht verstehen. „Es wäre nicht erlaubt, Starts und Landungen zuzulassen, wenn die Stromversorgung nur noch an dem Notaggregat hängt“, sagt Flughafensprecherin Stefanie Harder dazu.

Einige Passagiere dösen ein

Vor dem Terminal legen sich die Ersten lang auf den Asphalt, versuchen zu dösen. Andere sitzen mit Handy am Ohr am Bordstein und diskutieren mit den Call-Center-Mitarbeitern ihrer Fluggesellschaft. Zwei Frauen an einem Schalter, die sonst lächelnd einen guten Flug wünschen, ziehen nur eine Grimasse und die Schultern hoch, wenn man sie nach dem Stand der Dinge fragt. Am Mittag brennen die Lichter wieder in den Terminals; aber bis der Fehler im Stromkreislauf nicht behoben ist, ist laut Airport nicht an normalen Betrieb zu denken. Eine Anzeigetafel zeigt noch den ganzen Nachmittag bei den meisten Flügen stur „Go to Gate“ an. Auf dem Handy des Passagiers Jan Strobl leuchtet eine SMS der Fluggesellschaft auf, in zwei Stunden solle es nun weitergehen. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt er und liest am Boden weiter in seiner Zeitung.

Schleppende Info

Erst nach 14 Uhr twittert der Hamburg Airport erstmals auch auf Englisch zu den Geschehnissen. Flughafenchef Michael Eggenschwiler ist herbeigeeilt, der Einsatzstab tagt. Das Problem im Stromkreislauf ist außerordentlich schwer auszumachen. Grundsätzlich läuft die Stromversorgung des Flughafens über einen großen Transformator im Bereich der Lufthansa Technik . Bei Bauarbeiten war es dort in der Vergangenheit bereits zu kleineren Störungen gekommen. Ein Team von etwa 15 Mitarbeitern durchforstet jeden Winkel des Stromnetzes. Eine Feuerwehrsprecherin sagt: „Jeder, der laufen kann und etwas von Elektrik versteht, sucht nach der Ursache des Problems.“

Biervorrat vernichtet

Die Feuerwehr bringt am Nachmittag zusätzliche Retter zum Flughafen, ruft vorsorglich einen „Massenanfall an Verletzten“ aus – falls mehr als eine Handvoll wartende Passagiere in der schwülen Luft kollabieren sollten. Im Terminal 2 warten sie noch geduldig. Eine Mannschaft junger Fußballspielerinnen vernichtet ihren Biervorrat und stimmt „Ballermann“-Lieder an. Polizisten posieren für Fotos mit den Kindern der Passagiere, eine Gruppe junger Männer spielt Basketball auf dem Asphalt. Die Gestrandeten schlafen im "Terminal Tango" Doch als die Nachricht kommt, dass kein Flug mehr geht, bricht wieder große Betriebsamkeit aus. Wann wird es Ersatzflüge geben? Lassen sich die Flug- in Bahntickets umwandeln?

Wo kann man übernachten?

Stundenlang suchen Passagiere ein Bett für die Nacht. "Aber niemand will zuständig sein, alle sagen, sie seien ja nicht schuld oder nicht befugt für irgendetwas", sagt der Fluggast Thorsten Mertens. Er eilt mit seiner Frau von Schalter zu Schalter, telefoniert nebenbei alle Hotlines ab; aber sie bekommen keinen Gutschein für ein Hotel, keine Entschuldigung und kein Versprechen auf Entschädigung. "Und am Telefon wird einem dann noch gesagt, dass man sich erstmal eine schriftliche Bestätigung für den Flugausfall holen. Es ist absurd." Erst um 21.20 Uhr wird das Ehepaar schließlich von ihrem Sohn abgeholt, neun Stunden nach ihrem geplanten Flug.

Schlafen auf Feldbetten

Wer keine Bleibe gefunden hat, schläft im „Terminal Tango“, das sonst nur noch für Veranstaltungen genutzt wird. Dort verteilen sich etwa 30 Menschen auf rund 100 Feldbetten. Zwei brasilianische Schwestern, die in Hamburg nach den Wurzeln ihres Großvaters suchten. Ein türkisches Ehepaar, dass sich auf Campingstühlen im Arm hält. Die letzten Überbleibsel eines surrealen Tages am Flughafen. Am Abend heißt es vom Hamburg Airport, man habe die Problemstelle nun ausfindig gemacht, will aber keine weiteren Details nennen oder Prognosen abgeben. "Wir sind dran, mit allem, was möglich ist", sagt eine Sprecherin zu Beginn einer wahrscheinlich langen Nacht.