Radfahrer, Autofahrer und Fußgänger streiten um den Platz in der Hansestadt. Abendblatt-Redakteure schildern ihre Erfahrungen.
Es ist kurz vor acht. Am Poelchaukamp in Winterhude stauen sich wie fast jeden Morgen die Autos, ein Lieferwagen hat in zweiter Reihe geparkt. Noch leicht verschlafen sitze ich am Steuer und muss mich höllisch konzentrieren. Neben meinem Auto rollen die Fahrradfahrer vorbei, nutzen jede Lücke. Am Mühlenkamp hatten sie noch ihren eigenen Fahrradstreifen, doch hier müssen sie sich gezwungenermaßen die Straße mit den Autos teilen. Ein Radfahrer fährt hinter mir, überholt mich rechts, setzt sich vor mich und will dann nach links abbiegen, wie er mit einer ungeduldigen Handbewegung signalisiert. Als die Sierichstraße überquert ist, fahren einige der Radler zu zweit nebeneinander her. Einige von ihnen sind auf dem Weg zur Schule, sie haben es eilig. Der Wagen vor mir überholt in einem riskanten Manöver.
Es kann nicht darum gehen, wahlweise die bösen Autofahrer oder die bösen Radfahrer zu schelten. Man muss einfach feststellen: Der Platz ist auf unseren Straßen so knapp geworden, dass ein Moment der Unachtsamkeit fatale Folgen haben kann. Fahren in Hamburg ist anstrengend geworden – ob im Auto oder auf dem Rad. Insa Gall
Der Weg zur Arbeit – wie ein Spießrutenlauf
Zwei Jahre lang bin ich nicht Rad gefahren, obwohl ich mir gerade ein ziemlich teures Fahrrad gekauft hatte. Vor einigen Wochen habe ich jedoch meinen inneren Schweinehund überwunden. Und siehe da: Radfahren durch die Stadt macht richtig Spaß – wenn da nur die Stadt nicht wäre.
Der Weg zur Arbeit erinnert an einen Spießrutenlauf. Er führt aus Eimsbüttel in die Stadt zur Abendblatt-Redaktion am Großen Burstah. Ärgernis Nummer 1: Radwege enden abrupt, du musst auf die Straße wechseln und wieder zurück. Wieder und wieder. Das kann mitunter brenzlig werden, weil beim Wechsel vom Geh- bzw. Radweg auf die Straße auch immer der Autoverkehr involviert ist. Ärgernis Nummer 2: Immer wieder parken auf dem Radweg Autofahrer und Lieferanten in zweiter Reihe. Du musst also ausweichen, entweder auf die Straße oder den Gehweg. An solchen Punkten, gerade wenn viele Radler unterwegs sind, kann bei Rad- und Autofahrern Dichtestress entstehen. Ärgernis Nummer 3 ist der Klassiker: Die Angst fährt immer mit beim Überqueren einer Kreuzung. Seit ich wieder Fahrrad fahre, ist es schon zu mindestens drei ziemlich heiklen Situationen durch rechts abbiegende Autofahrer gekommen. Meine größte Sorge ist es, dass irgendjemand im falschen Moment pennt. Daniel Herder
Ein beherzter Sprung nach vorn in die Sicherheit
Sicher stehen Paketboten unter enormem Zeitdruck. Oft frage ich mich aber, ob manche auch unter Drogen stehen? Zwei Beispiele aus jüngster Zeit: Die Fußgängerampel vor mir springt auf Grün. Gleichzeitig mit mir setzt sich der Paket-Transporter schräg gegenüber in Bewegung, der links abbiegen will. Der Fahrer hat mich überhaupt nicht auf dem Schirm. Nur durch einen beherzten Sprung nach vorne bringe ich mich vor der Motorhaube in Sicherheit, deren Hitze ich schon am Arm spüre. Ähnlich brisant ist es ein paar Tage später, als ich beim Überqueren einer Straße mit dem Fahrrad nur durch abruptes Bremsen eine Kollision mit einem Paketlieferwagen verhindern kann. Beide Fahrer hatten den gleichen Blick: ungerührt und teilnahmslos. Haben sie mich überhaupt bemerkt? Friederike Ulrich
Im Normalfall fahre ich jeden Tag 40 Kilometer Rad: Aus Hamburgs Norden in die City und zurück. Ich wundere mich immer wieder, wie gedankenverloren manche Menschen unterwegs sind – egal, ob sie zu Fuß, auf dem Rad oder im Auto unterwegs sind. Ein paar Beispiele aus der Praxis: Da überqueren Fußgänger die Fahrradstraße Leinpfad, ohne nach links und rechts zu schauen. Oder gehen auf dem Radweg am Jungfernstieg im Hans-guck-in-die-Luft-Stil spazieren. Da fahren Radfahrer auf dem Schutzstreifen der Bebelallee gegen die Fahrtrichtung. Oder holen auf der Alsterdorfer Straße das Handy raus und lesen gen Mittelstreifen pendelnd WhatsApp. Da überholen Autofahrer Pedaleure kurz vor Kreuzungen und schneiden sie anschließend, um rechts abzubiegen. Oder hupen sie von der Straße, obwohl der (sich im katastrophalen Zustand befindliche) Radweg nicht benutzungspflichtig ist.
Als Radfahrer Hauptstraßen meiden
Meine Konsequenz daraus: Hauptstraßen meiden, Umwege wie zum Beispiel über den Ohlsdorfer Friedhof in Kauf nehmen und versuchen, für drei zu denken: Was haben Fußgänger, Radfahrer und Autofahrer in meinem Blickfeld gerade vor? Das ist zwar anstrengend, aber Spaß und Fitnesskomponente am Biken sind es wert. Wolfgang Horch
Immer mehr Radfahrer sind unterwegs, auch mit Lastenrädern. Wenn sie keine Radspur haben und auf der Straße fahren, sind sie sehr langsam – das ist saugefährlich. Dies habe ich kürzlich gerade auf der Hallerstraße beobachtet, wo eine Mutter mit ihrem Kind unterwegs war. Dort erlebe ich täglich, dass Radfahrer auf der falschen Seite fahren und ich sie als Autofahrer erst sehr spät sehe. Überhaupt erfordert es immer mehr Konzentration, weil der Verkehr dichter geworden ist.Michael Rauhe
Angst und Unbehagen vor der Fahrt nach Hause
Der Weg von der Redaktion nach Hause ist am schlimmsten. Statt mich auf den Feierabend zu freuen, spüre ich ein Unbehagen, wenn ich mein Fahrradschloss aufschließe. Vom Großen Burstah über den Graskeller, die Stadthausbrücke und an der Fuhlentwiete und Caffamacherreihe entlang macht Radfahren nicht nur keinen Spaß – es ist gefährlich.
Weil dort seit Jahren gebaut wird, ist die Verkehrsführung unübersichtlich und ändert sich immer wieder. Es gibt weder einen Radweg noch eine Fahrradspur stadtauswärts. Radfahrer, so scheint es, sind hier einfach nicht vorgesehen. Sie müssen auf der Straße fahren, und zwar auf der mittleren Spur, da die rechte Spur in den Neuen Wall führt. Da fährt dann regelmäßig der HVV-Bus der Linie 3 direkt hinter oder neben mir. Es ist Stress, als verletztlicher Radfahrer neben einem Riesenbus zu fahren. Radfahrer auf ihrer Spur – das mögen Autofahrer ohnehin nicht. Weil vor den neuen Stadthöfen eine Kante in die Fahrbahn ragt, kann ich als Radfahrer nicht ganz rechts bleiben. Weil Autofahrer diese Kante aber nicht sehen, hupen sie gern. Ich fühle mich unter Druck gesetzt, eingeschüchtert und ungerecht behandelt. An der Caffamacherreihe gibt es immerhin einen Radfahrstreifen, aber nur bis zur Kreuzung Valentinskamp. Dann hört er abrupt auf, und ich muss wieder zwischen die Autos und Lkw auf die mittlere Fahrspur. Ein entspannter Start in den Feierabend sieht anders aus.Geneviève Wood
Sportbesessen – und mit dem Auto zum Fitnessstudio
Ich bin momentan sportbesessen und stelle mein Auto schon morgens beim Fitnessstudio ab, um die Sporttasche nicht schleppen zu müssen und abends nach dem Sport entspannt ins Auto steigen zu können. Start im Hamburger Westen, noch vor 8 Uhr. Erste Ausfallstraße, Elbchaussee Richtung Innenstadt: Ich sehe nur noch Rücklichter der vor mir stehenden Autos. Sofort drehe ich um und suche den Schleichweg bis zur nächsten Hauptstraße, doch egal, welche Richtung ich einschlage, der nächste Stau folgt prompt. Sperrungen und Baustellen an der Trabrennbahn und Kalckreuthweg, dann noch eine einseitige Verkehrsführung, um mich herum sind nur fluchende, wild hupende Fahrer. An der Stresemannstraße suche ich mir völlig entnervt einen Parkplatz und fahre mit dem Bus weiter. Es macht einfach keinen Spaß mehr, mit dem Auto zu fahren. Beate Geise
Warum gucken Autofahrer eigentlich überrascht, wenn sie aus einer Grundstückseinfahrt kommen und plötzlich einen Radfahrer vor der Motorhaube sehen, der wohlgemerkt auf der richtigen Straßenseite daherkommt? Manchmal, so wie Anfang dieser Woche, hilft nur, schnell zu bremsen, um nicht vom Auto überfahren zu werden. Die üppigen Hecken vor vielen Häusern machen die Situation auch nicht besser.
Endlose rote Ampelphasen als Ärgernis
Ein mindestens ebenso großes Ärgernis sind die endlosen roten Ampelphasen. Obwohl der Leinpfad eine Fahrradstraße ist, steht man am Winterhuder Fährhaus ewig, bevor man die Straße überqueren kann. Am schlimmsten sind aber die Straßen auf St. Pauli. Wer dort mit heilen Reifen rauskommt, ist ein Glückspilz. Wenn man schon die Rabauken nicht belangen kann, die dort offenbar im Suff oder mutwillig Flaschen permanent zerdeppern, dann sollte wenigstens die Stadtreinigung gnädig sein und dort jeden Tag die Scherben entfernen. Elisabeth Jessen
Früher konnte ich mit meinem Auto sogar fahren. Heute ist das anders. Irgendwann öffneten da, wo ich wohne, Restaurants. Nun parken Köche, Kellner und Gäste vor meiner Tür. Tagsüber suchen hier ohnehin die motorisierten Kunden des benachbarten Sozialamts und der Agentur für Arbeit nach freien Plätzen, abends machen sich Theaterfreunde breit. Dann wurde in der Seitenstraße auch noch ein Studentenwohnheim gebaut, natürlich ohne Tiefgarage. Eine Flotte von Kleinwagen sucht nun Parkplätze. Die Bürgersteige sind oft zugestellt. Mein Wagen hat das Fahren eingestellt. Fortbewegung ist viel zu gefährlich, denn sonst droht der Verlust des Parkplatzes. Und einen neuen findet man nicht leicht. Die Max-Brauer-Allee darf er ohnehin nicht benutzen, dazu ist er zu schmutzig. Also bleibt sein Motor aus. Ein schöner Beitrag zum Hamburger Luftreinhalteplan, oder? Matthias Popien
Radfahrer riskieren oft ihr Leben
Wir haben kein Auto, ich fahre sehr gern Rad. Doch wenn ich manche Radfahrer sehe, wundere ich mich, dass nicht noch viel mehr schwere Unfälle in Hamburg passieren. Jeden Tag sehe ich zum Beispiel, wie Radfahrer am Großen Burstah in beiden Richtungen die Linienbusse an Haltestellen überholen, obwohl sie den Gegenverkehr (meist auch Linienbusse) gar nicht einsehen können. Ein paarmal ging es nur haarscharf gut, weil der entgegenkommende Bus stark abbremste. Die Busse stehen fast immer nur ein paar Sekunden, wieso riskieren Radfahrer für diese Momente ihr Leben, statt hinter dem Bus zu warten? Peter Wenig
Jeder, der Auto oder Fahrrad fährt in dieser Stadt, ist auch irgendwann mal Fußgänger. Und scheint vergessen zu haben, dass auf den Gehwegen auch das Prinzip der friedlichen Koexistenz gelten sollte statt Darwinismus und das Recht des Stärkeren. Beispiel Jungfernstieg Wasserseite. Der Bürgersteig ist breit, die Aussicht schön. Zwei Paare genießen die Atmosphäre, unterhalten sich angeregt und gehen zu viert nebeneinander. Wenn ihnen jemand entgegenkommt, machen sie keinen Millimeter Platz. Die andere Person muss auf den viel befahrenen Radweg ausweichen oder einen der Gruppe anrempeln. Und dann hagelt es böse Kommentare. Hamburgs Flächen sind für alle da, egal, wie sie sich fortbewegen. Marlies Fischer