Hamburg. Der Klassiker „Aufstieg und Fall der Stadt Mahoganny“ von Kurt Weill und Bertolt Brecht – eine „Utopie“ der Symphoniker.

Das ist mal prall gelebte Dialektik: Ein Stück über eine auf Gier und Geilheit gebaute Stadt, in der nur Bares Wahres ist und Moral lediglich Sättigungsbeilage nach dem Fressen, dem Liebesakt, dem Boxen und dem Saufen – ausgerechnet diesen giftig-bissigen Musiktheater-Klassiker von Brecht und Weill in der feudal verstuckten, bourgeois gestrig wirkenden Laeisz­halle zu spielen.

Doch da das hiesige Musikfest sich der Idee „Utopie“ verschrieben hatte, ging selbst das, grundsätzlich jedenfalls, ganz gut. Bühne frei, Herrschaften, „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ ­also, konzertant mit kleinen Spezialeffekten, als Symphoniker-Beitrag zu diesem Thema.

Am Ende regnete es Dollars – mit dem Motto „In Music We Trust“

Diese kleinen Spezialeffekte hatte der in Hamburg fast allgegenwärtige Außenwirkungsveredler Peter Schmidt als „szenische Einrichtung“ ins Konzept installiert: Am Bühnenrand sah man, so gerade eben noch, eine Fußleiste, die mit Geldscheinen bemalt war; über dem ­Ensemble hing eine Leinwand, auf der Libretto-Zitate, Kommentare und sarkastisch dazwischengrätschende Fotos oder Zeichnungen die Handlung als Nebenstimme begleiteten. Bühnenbild by Powerpoint.

Und – der legendäre Konwitschny-„Wozzeck“ in der Staatsoper, bei dem herunterregnendes Geld der running gag gewesen war, ließ grüßen – für den Schlussapplaus hatte man falsche Hunderter zum Werfen vor den Garderoben bereitgelegt, 100 Mahagonny-Dollar-Noten, mit Laeiszhalle statt Weißem Haus und dem Motto „In Music We Trust“.

Mehr Regie passte nicht auf die handtuchschmale Fläche vor dem Orchester; prinzipiell das Beste, was man aus den sehr überschaubaren Möglichkeiten kitzeln konnte. Aber zu wenig, um fehlende szenische Brisanz wettzumachen. Lüste, Laster, Turbo­kapitalismus und „All You Can Eat“- Mentalität musste man sich denken.

Klassischer Mehrwert, frei nach Marx: das singende Personal

Nicht ganz einfach war es auch für Jeffrey Kahane, den Dirigenten dieser ambitionierten Zwischenlösung. Mal schien es so, als wolle er vor allem ­möglichst geradlinig und kantenarm durch die Partitur lavieren, dann wieder zickte das Tutti nicht so frech gegen den Strich, wie man es bei Weills ­Vor-Exil-Werken erwarten sollte und erleben möchte. Und was der Europa Chor Akadamie Görlitz als räudige ­Version des antiken griechischen ­Theater-Chors textlich von sich gab, schaffte es oft nur nebulös bis ins ­Parkett. Schade ­eigentlich, denn wenn in diesen Tagen mahnend die 1930 in Leipzig ur­aufgeführte Warnung „Lasst euch nicht verführen!“ gesungen wird, ist das alles andere als ohne Gegenwartsbezug.

Klassischer Mehrwert, sehr frei nach Marx, war allerdings das singende Personal. In jeder Hinsicht größter ­Aktivposten war Michael König als Jim Mahoney, der seine Heldentenor-Rolle mit so viel Schmelz sang, als wäre es eine Aufwärm-Übung für Wagners Tristan. Und auch Nadja Mchantaf als Jenny war, obwohl sie beim Alabama-Song zu wenig die klassische Opern-Sopranistin vergaß, eine Amüsierdame fast wie aus dem Brecht-Bilderbuch.