Hamburg. Orchester und Chor der Mailänder Scala gastierten mit Verdis opernhaftester Nicht-Oper in der Hamburger Elbphilharmonie.
Man könnte glatt katholisch werden nach so einer Aufführung. Verdis Requiem mit Orchester und Chor der Scala und deren Musikdirektor Riccardo Chailly zu hören, oder eher: davon, staunend, tief ins Elbphilharmonie-Gestühl gedrückt zu werden, von einem Opernhaus-Ensemble, in dessen DNA Verdis Musik so fest verankert ist wie die Liebe zu Mamma, Pasta und Dolci im Italiener an sich – da geht nur wenig Schönes drüber, das nicht als Sünde gilt.
Weil hier Musikfest ist und weil so etwas nicht günstig ist, wurde Verdis opernhafteste Nicht-Oper gleich zwei Mal im Großen Saal gegeben. Großer Hanseaten-Bahnhof im Publikum beim ersten Abend, auch Scala-Padrone Alexander Pereira, bei dem der hiesige Generalintendant Christoph Lieben-Seutter Lehrjahre absolviert hatte, war zugegen.
Der Zorn Gottes war deutlich hörbar
Und auf der Bühne, bis an den hinteren Rand hochgestapelt, stand ein 90-köpfiger Chor mit der Wucht von 190 Stimmen als Wall of sound, der sich aber auch blitzschnell zurücknehmen konnte, als wären es gerade mal neun. Und davor stand ein enorm elegant agierender Dirigent, der wusste, wie man dieses affektpralle Stück aus sich selbst heraus leuchten lassen kann. Chailly und das Scala-Orchester, das war kammermusikalisch ausgelebte Osmose in großem Format. Alles floss mit größter Selbstverständlichkeit von einem ins andere, keine Reibungsverluste, keine Profilabnutzungen.
Weil das alles kein Problem darstellte, gönnte sich Chailly das Vergnügen, die dynamischen Extreme, die Verdi im Sinn hatte, genau so extrem Klang werden zu lassen. Der Celli-Auftakt zu Beginn: reines, feinstes Nougat, der aufgefächerte Akkord am Anfang des Offertorio ebenso. Und andererseits: Wann immer die „Dies irae“-Fanfaren loslegten und das Schlagwerk auf die Büßerseelen eindrosch, dann war jemand Allmächtiges wirklich sehr, sehr wütend.
Nur ein Manko gab es
Einziges, in der elbphilharmonischen Akustik aber fatalerweise bestens zu hörendes Manko: Das Solistenquartett, im Idealfall vier Farben, die sich ergänzen, mischen und zu mehr als der Summe ihrer Teile verbinden, war keines. Es waren drei großartige, vitale, strahlende Stimmen: Tamara Wilsons bezaubernder Sopran, die warme Pracht des Mezzos von Ekaterina Gubanova und dann dieser Tenor, René Barbera, der aus dem „Ingemisco“ eine samtig trompetende Arie machte. Und dazu und daneben der Bass Ferruccio Furlanetto, dem man anhörte, dass er viele grandiose Tage in seiner Weltkarriere hatte – aber die waren weit vor gestern. Doch auch das ist, angesichts der Luxusklasse dieses Gastspiels, am Ende nur Bedauern auf extrem hohem Niveau.