Hamburg. Ampelsteuerungen mit künstlicher Intelligenz, Datensender für das autonome Fahren – und bald testet der Konzern E-Lkw mit Oberleitung.

Deutschlands erste Ampel ging im Jahr 1922 am Stephansplatz in Hamburg in Betrieb. Allerdings war sie nur für Straßenbahnen vorgesehen. Die erste auch für Autos und Fußgänger gedachte Lichtsignalanlage des Landes entstand 1924 am Potsdamer Platz in Berlin – gebaut von Siemens. Heute produziert der Konzern noch immer Ampeln. Zwar können sie sehr viel mehr als die damaligen Einzelstücke. Aber das Ziel ist das Gleiche geblieben: „Es geht immer darum, Verkehre besser zu steuern“, sagt Nils Schmidt, Leiter der Siemens-Mobilitätssparte für die Nordhälfte Deutschlands.

Er ist verantwortlich für 300 Mitarbeiter, die meisten davon in Hamburg und Berlin, und ein Geschäftsvolumen im mittleren dreistelligen Millionen­bereich. Die Bedeutung der Aufgabenstellung zeige sich gerade in Hamburg sehr deutlich, so Schmidt: „Die Stadt wächst, die Zahl der Einpendler ebenfalls. Damit wird die Verkehrsinfrastruktur immer stärker ausgelastet – und manchmal stößt sie schon an Grenzen.“ Bald werde es nicht mehr genügen, Ampelphasen im Tagesverlauf nach starren Mustern zu verändern. „Wir arbeiten an einer Verkehrssteuerung mithilfe der künstlichen Intelligenz“, so Schmidt. Auch in Hamburg beschäftigen sich Softwareentwickler damit.

Digitalisierung des Verkehrs

Manchmal geht es aber auch schlicht darum, Menschenleben zu retten: In Wedel hat Siemens die Feuerwehr- und Rettungswagen mit einer Technik ausgestattet, die es den Fahrern erlaubt, bei Notfalleinsätzen die Ampeln auf Grün zu schalten. „Außerdem wollen wir der Stadt Hamburg ein System anbieten, das Autofahrer in der Nähe von Schulen und Kindergärten über Cockpitanzeigen und akustische Signale warnt“, sagt Schmidt. „Dabei gäbe es zukünftig sogar die Möglichkeit, in die Motorsteuerung einzugreifen, wenn jemand dort trotzdem zu schnell fährt.“ Ein solches System würde gut nach Hamburg passen, findet der Siemens-Manager: „Hamburg hat eine sehr starke Position im Hinblick auf die Digitalisierung des Verkehrs und will diese Vorreiterstellung auch halten.“

Mit Blick auf den ITS-Weltkongress („Intelligent Transport Sys­tems“) 2021 in der Hansestadt hat der Senat zwei Feldversuche zum autonomen Fahren auf den Weg gebracht: Die Hochbahn plant den Einsatz von elektrisch angetriebenen Shuttlebussen in der HafenCity, zudem will man in Kooperation mit Volkswagen ein „Testfeld“ in der Innenstadt für selbstfahrende Autos einrichten. An beiden Projekten ist Siemens beteiligt. Der Konzern liefert zwar keine Technik für die Fahrzeuge selbst. „Aber für Abbiegevorgänge oder Überholvorgänge im Stadtverkehr oder wenn man schneller als Schrittgeschwindigkeit fahren will, braucht das Auto auch Informationen darüber, wie es hinter der nächsten Kurve auf der Straße aussieht“, erklärt Schmidt. Genau dafür sorgt Siemens: Das Unternehmen fertigt die so genannten roadside units (RSU) für die Hamburger Testvorhaben.

Laster, die mit Strom fahren

Die Geräte bündeln eine Vielzahl von Daten zur Verkehrssituation, etwa Kamera- und Radarbilder der Straße, Tempobegrenzungen, die Lage von Baustellen sowie Informationen von Sensoren anderer Autos, und senden sie über eine hochgesicherte WLAN-Verbindung an den Bordrechner des vollautomatisch betriebenen Fahrzeugs. „Unsere RSUs für Hamburg haben gerade die Zulassung erhalten, und wir werden demnächst damit beginnen, sie zu installieren“, so Schmidt. Man wird die hellgrauen Kästen von dieser Woche an im Straßenbild finden, etwa an Fußgängerampeln. Allein für das Volkswagen-Projekt sind 34 RSUs vorgesehen.

Mit der langen Erfahrung aus der Bahntechnik hat Siemens aber auch Technologien für den elektrischen Antrieb von Straßenfahrzeugen im Programm. Bereits Ende 2014 errichtete das Unternehmen am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB) und in Alsterdorf neuartige Ladestationen für die Hybrid- und Batteriebusse der Hochbahn: Über einen absenkbaren Stromabnehmer können sie innerhalb von sechs Minuten aufgeladen werden.

Zudem arbeitet das Team von Schmidt bereits daran, Lkw künftig sogar während der Fahrt mit Strom zu versorgen: Entlang der Autobahn 1 zwischen Reinfeld und Lübeck installiert Siemens Oberleitungen. Auf dieser Strecke sollen Hybrid-Laster der Reinfelder Spedition Bode voraussichtlich von Mitte 2019 an das innovative Ladekonzept testen. Idealerweise sollen sie die 25 Kilometer lange Route zwischen dem firmeneigenen­ Logistikzentrum in Reinfeld und dem Lübecker Hafen und zurück ohne den Einsatz der Dieselmotoren zurücklegen können, weil es die Oberleitungen auch ermöglichen sollen, die Batterien während der Fahrt aufzuladen. „Wenn der Praxistest erfolgreich ist, wäre das Konzept innerhalb von wenigen Jahren großräumig ausrollbar“, sagt Schmidt.

Auch wenn der Konzern generell auf die Elektrifizierung des Straßen­verkehrs setzt: „Eine flächendeckende Versorgung mit Ladesäulen für private E-Autos wird schwierig umzusetzen sein“, glaubt der Experte. „Was wir zum ITS-Kongress in Hamburg aber gern zeigen würden, ist eine wirklich intelligente Kopplung von individuellem Verkehr und öffentlichem Nahverkehr“, so Schmidt. „Wenn wir einem Autofahrer, der aus dem Umland an das andere Ende der Stadt unterwegs ist, aufgrund von Echtzeitdaten und Simulationsrechnungen die Information auf das Smartphone senden können, dass er durch den Umstieg auf die S- oder U-Bahn 40 Minuten Reisezeit sparen kann, dann wird er wahrscheinlich den nächsten P+R-Parkplatz ansteuern und umsteigen.“ Ohnehin dürfte eine verbesserte Verkehrssteuerung künftig noch wichtiger werden. Denn nach einhelliger Auffassung von Fachleuten wird das autonome Fahren die Autodichte auf den Straßen weiter erhöhen.