Hamburg. Zwei neue Alben und gleich vier Konzerte beim Elbjazz Festival: Pianist Michael Wollny ist auf der Überholspur.

Stillstand ist seine Sache nicht. Das zeigt schon die Körpersprache von Michael Wollny. Beim Interview im Büro des Hamburger Konzertveranstalters Karsten Jahnke rutscht der Pianist auf seinem Stuhl hin und her, gestikuliert, die Augen sind ständig in Bewegung. Unübersehbar ist da eine enorme Energie, die unter der jungenhaften Oberfläche nach außen drängt und dazu beigetragen hat, ihn zu einem der gefragtesten deutschen Jazzmusiker werden zu lassen.

So gefragt, dass der 39-Jährige zum Elbjazz Festival (1./2. Juni) als Artist in die Residence eingeladen wurde. Als Residenzkünstler, der in unterschiedlichen Besetzungen vier Konzerte spielt und dafür programmatisch eine Carte blanche bekommen hat. Wollny, da sind die Festivalmacher ganz sicher, braucht keine Vorgaben, der weiß, was er tut. Dass mit „Wartburg“ und „Oslo“ vorab gleich zwei neue Alben parallel erschienen sind, passt ins Bild: Dieser Mann ist einfach nicht zu stoppen.

Große Ehre

In der Elbphilharmonie sei er ja schon einmal aufgetreten und vom architektonisch so beeindruckenden Gebäude „erst mal geplättet“ gewesen, erzählt Wollny. Doch dann habe er einen „gut spielbaren Raum“ erlebt, der auch für verstärkte Musik geeignet ist. „Ich hätte mich bereits darüber gefreut, beim Elbjazz nur ein ganz normales Konzert spielen zu dürfen, aber gleich vier ... Das ist schon eine große Ehre, die mir da zuteilwird.“ Eine Ehre, die sich Michael Wollny auch dadurch verdient hat, dass seine Experimentierlust keine Grenzen zu kennen scheint. Ob solo, im Duo mit Gitarrist und Sänger Konstantin Gropper von der Indieband Get Well Soon, im Verbund mit seinen französischen Freunden Emile Parisien (Saxofon) und Vincent Peirani (Akkordeon) oder begleitet von einer Big Band um den inzwischen in NDR-Diensten stehenden Dirigenten, Arrangeur und Komponisten Geir Lysne:.

Wollny ist immer für eine neue Klangfarbe gut. Auf „Oslo“ etwa spielt er neben klassischem Jazz auch jazzige Arrangements von Debussy-, Fauré-, Hindemith- und Rautavaara-Kompositionen. Sein Lieblingskomponist? Wollny zögert einen Moment, sagt „Das ändert sich so oft ...“ und legt sich dann doch auf Alexander Scriabin fest. Noch so ein Pianist, dem Stillstand ein Gräuel war und dessen künstlerischer Freiheitsgedanke gut zum improvisierten Jazz passt.

„Ich mag das Risiko“

Auf Nummer sicher ging Scriabin (1872–1915) jedenfalls nicht. Ebenso wenig wie Michael Wollny, wenn der mit seiner Band etwa trotz Radio- und Fernsehübertragung eines Konzerts ohne große Vorabplanung auf die Bühne geht und einfach drauflosspielt. „Ich mag das Risiko“, sagt er. „Man wird meistens dafür belohnt.“ Das Elbjazz-Engagement passt auch deshalb so gut, weil Wollny hier binnen kurzer Zeit gleich mehrfach liefern muss, weil eine Drucksituation entsteht, die ihn in der Regel beflügelt. „Es ist gut für mich, nicht zu viel Zeit zum Denken zu haben, weil dann eine besondere kreative Spannung entsteht.“

Viel braucht es dabei manchmal gar nicht, um die bei längeren Tourneen drohende Routine zu durchbrechen. Im Booklet zum Album „Wartburg“ beschreibt Wollny, wie nicht nur Konzertorte und ihre Akustik den Schaffensprozess beeinflussen, sondern auch schweigsame Taxifahrer oder guter Kaffee: „Dinge gelingen, scheitern, überwältigen, bleiben in Bewegung. Man lernt gemeinsam flexibel zu sein, auszubalancieren, Interessen, Befindlichkeiten zu akzeptieren, und alles als langfristig prägend für die eigene Arbeit zu begreifen“, heißt es da. „Ich bin fest davon überzeugt, dass all diese Dinge später auf der Bühne eine Rolle spielen“, sagt er und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Zum Beispiel die Frage, ob meine Band und ich heute schon unseren gemeinsamen Kaffeemoment hatten.“

Besondere Momente

In Hamburg – so die Hoffnung – werden seine Musiker und er viele dieser besonderen Momente erleben. Wollny freut sich auf diese Tage, und es wirkt so gar nicht floskelhaft, wenn er von der besonderen Atmosphäre beim Elbjazz, diesem Festival im Hafen, schwärmt. „Ich hatte in der Vergangenheit immer das Gefühl, dass an diesen Tagen die ganze Stadt zusammenkommt“, sagt er, lächelt ein wenig versonnen – und sitzt für einen Moment ganz entspannt da.