Hamburg. Er steuert das Projekt „Peking“, die Restaurierung des historischen Frachtseglers für das Hafenmuseum.
Es ist dieses etwa buchgroße, rostige Stück Metall auf seinem Büro-Schreibtisch, das Gesprächspartner von Joachim Kaiser ziemlich rasch auf den Kern seiner derzeitigen Hauptbeschäftigung bringt: ein Stück vom Rumpf der legendären Viermastbark „Peking“, das dort als Briefbeschwerer einen Stapel Papier davon abhält, bei geöffnetem Fenster durch den Raum zu wirbeln.
1911 wurde die stählerne Außenhaut bei Blohm & Voss genietet – nur wenige Hundert Meter von Kaisers Büro im Kopfbau der alten 50er Hafenschuppens entfernt, wo es immer noch nach Gewürzen wie Zimt, Anis und Pfeffer riecht, die hier wieder gelagert werden. Die Platte ist etliche Millimeter dick, man sieht die Nieten, man sieht aber auch, wo sie herauszubrechen drohen. Kaiser hebt das Stück hoch und deutet auf die für Laien kaum sichtbaren Schäden. „Lange hätte das nicht mehr gehalten, dann wäre sie auf Tiefe gegangen“, sagt er.
Neues Wahrzeichen
Doch passieren wird das nicht mehr. Nach vielen Jahrzehnten als Museumsschiff in New York liegt der frühere Hamburger Frachtsegler jetzt im Dock der Peters Werft an der Stör in Wewelsfleth. Mit Millionenaufwand und durch den Bund finanziert, wird er dort restauriert und soll einmal Wahrzeichen eines großen, nationalen Hafenmuseums werden, dessen Freiluftabteilung aller Voraussicht nach hier auf dem Kleinen Grasbrook in den alten Stückgutschuppen liegen wird.
Und auch das kann man im Büro von Joachim Kaiser schon ahnen, wenn nicht sehen: Aus dem Bürofenster fallen zunächst HafenCity und Elbphilharmonie auf der anderen Elbseite ins Auge – und dann direkt neben seinem Büro alte Hafenkräne, die Schuppen, Schuten, ein mit Planen abgedeckter Zweimaster, dahinter ein restaurierter Frachter aus den 50er-Jahren. Ein Stück Hafen, wie aus der Vergangenheit geholt: das letzte Zeugnis aus der Zeit, als noch nicht der Container diesen Teil der Stadt dominierte. Und bald, ab etwa 2020, soll dort an einem eigenen Ponton auch die „Peking“ liegen.
„Eigentlich bin ich Rentner“
Es ist derzeit das Reich der Stiftung Hamburg Maritim, die hier die Schuppen seit Jahren Zug um Zug restauriert, wieder an Lagerbetriebe vermietet und den Hansahafen nebenan zur Heimat vieler historischer Schiffe gemacht hat. Seit 2001 ist Joachim Kaiser dort Vorstandsmitglied und oft auch der Impulsgeber. 2014 wollte er sich dann etwas zurückziehen. „Eigentlich bin ich Rentner“, sagt der inzwischen 70-Jährige und glaubt es selbst kaum. Mit seiner eigenen Yacht, natürlich alt und aus Holz, wollte er mehr segeln, auch mit den beiden erwachsenen Töchtern und seiner Frau Zeit an Bord verbringen. Dann aber kam überraschend das Geld vom Bund für die „Peking“, nachdem jahrelange private Bemühungen nicht vorangekommen waren.
Und nun ist Kaiser „Projektsteuerer“ für die „Peking“, also eine Art Projektleiter der Projektleiter, weil die Stiftung jetzt Eigentümerin des Schiffes ist und die Restaurierung im Auftrag der Stadt koordiniert. Und das ist schon mehr, als nur einfach einen alten Segler wieder flottzumachen. Viel Steuergeld ist beteiligt, man muss alle Entscheidungen schon genau begründen. Zuletzt fand man nach dem Sandstrahlen des Rumpfs alte, giftige Farben und Asbest – nicht ungewöhnlich bei historischen Schiffen, aber erklärungsbedürftig, nicht zuletzt wegen der Mehrkosten.
Faszination für historische Schiffe
Einen schwierigeren Job in Sachen Schiffsrestaurierung hat das Land derzeit wohl kaum zu bieten. Aber Kaiser dürfte dafür der natürliche Kandidat gewesen sein: Die Faszination für historische Schiffe begleitet ihn, seit er als kleiner Hamburger Jung auf hölzernen Gaffelkuttern herumgeklettert ist. Er las die Bücher von Graf Luckner und Gorch Fock. „Ich wollte Segelschiffkapitän werden“, das stand für ihn damals fest, erzählt er. Vater und Mutter, er Zoologie-Professor und sie Musiklehrerin, hatten sich den beruflichen Werdegang ihres Sohnes aber wohl etwas anders vorgestellt.
Einen akademischen Beruf sahen sie für ihn vor, so wie ihn die meisten in der Familie hatten. Beharrlich aber blieb er bei seinem Traum und sparte sich das Geld für ein winziges Segelboot zusammen: „Woterküken“ nannte er es. Und weil der Vater verboten hatte, damit auf der Unterelbe zu segeln, unternahm er eines Tages mit gerade einmal 14 Jahren einen großen Törn auf der Oberelbe. Mit Zelt und Spirituskocher und voller Abenteuerlust. Er übernachtete an den Stränden, fühlte sich frei und als Entdecker. „Das war für mich, als ob man heute in die Karibik segeln würde“, sagt Kaiser.
Er segelte mit schwer erziehbaren Jungen
Später segelte er auf Jugendkuttern und geriet irgendwann in die sogenannte Gaffelszene mit bärtigen Enthusiasten, die sich für historische und meist regionale Segelschiffe interessierten und sie restaurierten. „Ich hab da mit Wonne mitgemacht, meist als Jüngster“, sagt Kaiser. Die Schule stand da etwas zurück, er wollte lieber zur See. 1968 machte Kaiser schließlich aber doch noch sein Abitur und ging für ein Maschinenbaupraktikum zu einem Metallbau-Unternehmen. Die Eltern waren beruhigt: Der Junge wird vernünftig und Ingenieur, dachten sie.
Dem Jungen gefiel zwar die Arbeit unter den Malochern. Bohren, fräsen, schmieden – das lernte er dort. Doch dann gab es diese Stellenanzeige im Abendblatt. Die Zeitschrift „Yacht“ suchte einen Reise-Redakteur. Schreiben, reisen, segeln als Kombination – das erschien ihm ideal, er war jetzt gerade 22 Jahre alt. Kaiser bewarb sich, schrieb einen Probeartikel und wurde sofort eingestellt. Es war die Zeit, als der Wassersport boomte in Deutschland und die Spezialzeitschrift dazu immer höhere Auflagen erzielte.
Zunächst arbeitete er als Redakteur
Zunächst arbeitete Kaiser als Redakteur, später dann als freier Autor mit vielen Freiheiten, spezialisiert auf historische Schiffe. Die modernen Kunststoffyachten und auch Regatten interessierten ihn nicht. Alte Schiffe, versteckte Wracks, historische Arbeitsboote, die noch in Fahrt waren – das waren immer noch seine Themen. Und er hatte Erfolg damit, die Geschichten wurden gerne gelesen. Er reiste in Nordeuropa umher, immer auf der Suche nach alten Schiffen und ihren Geschichten. In Dänemark war in dieser Zeit bereits eine viel größere Szene aktiv, die sich um das maritime Erbe ihres Landes kümmerte. „Davon war ich begeistert“, sagt Kaiser.
Aber er schrieb nicht nur über das Thema, immer wieder stürzte er sich in das Abenteuer Restauration auch direkt und mit voller Wucht selbst hinein. So restaurierte er in dieser Zeit Anfang der 70er-Jahre einen alten Stahl-Ewer aus eigener Kraft. Parallel fuhr er als Decksmann auf historischen Schiffen mit, später auch als Matrose auf Küstenmotorschiffen, erwarb einen Matrosenbrief und machte schließlich auf der Hamburger Seefahrtschule sogar ein professionelles Kapitänspatent.
Erstes Buch
In diesen Jahren schrieb er auch sein erstes Buch über die Ewer der Niederelbe: Arbeitsboote unter Segeln, die noch Anfang des 20. Jahrhunderts zum vertrauten Bild auf dem Fluss gehörten. Es folgten weitere Bücher und schließlich ein umfangreiches Register über die letzten erhaltenen deutschen Segelschiffe. Ein Standardwerk bis heute, an dem Kaiser viele Jahre arbeitete und das mithilfe einer Stiftung finanziert werden konnte. „Ewerpapst“, nannte man ihn bald an der Küste.
Und der „Ewerpapst“ ging noch weiter, er kaufte aus einer Zwangsversteigerung einen alten Frachtschoner, restaurierte wieder eigenhändig das in den 30er-Jahren gebaute Schiff, gründete einen Verein und segelte mit schwer erziehbaren Jugendlichen im Auftrag der Hamburger Jugendbehörde. Steine aus Irland oder Salz aus Portugal transportierte die „Undine“ als pädagogisches Konzept. Sieben Jahre lang fuhr Kaiser dort als Kapitän, „da konnte man den Umgang mit schwierigen Leuten lernen“, sagt er schmunzelnd.
Das Gefühl vom Leben an Bord
Beim Schnack von Reling zu Reling in einem Harburger Werfthafen ergab sich dann aber Anfang der 1990er-Jahre wieder etwas Neues: Kaiser wurde in Hamburg „Koordinator für Schiffbauprojekte“ bei Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Der Senatsdampfer „Schaarhörn“, der „Lotsenschoner No. 5“ und viele andere Schiffe aus der heutigen großen Hamburger Traditionsschiff-Flotte wurden auf diesem Wege restauriert und sind heute unter dem Dach der Stiftung Hamburg Maritim zusammengefasst. Und nun ist es die „Peking“, die wieder zu neuem Leben erweckt werden soll.
Das erste Mal intensiv mit dem Viermaster beschäftigt hatte er sich bereits auf der Seefahrtschule — nicht ahnend, wie wichtig dieses Schiff für ihn einmal werden sollte. Einer seiner damaligen Lehrer, Wilhelm Prüsse, war selbst auf dem Frachtsegler als Matrose um Kap Hoorn gesegelt. Ein wuchtiger Mann mit buschigen Augenbrauen, erzählt Kaiser, und man spürt, wie beeindruckt er von ihm noch Jahrzehnte später ist. „Der hat uns mit seinen Geschichten damals das Gefühl vom Leben an Bord und den Umgang mit solchen Schiffen erst richtig vermittelt“, sagt Kaiser. Heute wird er an diese wohl wichtigste Lehrzeit seiner Laufbahn immer wieder erinnert: wenn er auf das rostige Stück Metall auf seinem Schreibtisch schaut.
Nächste Woche: Kirsten Boie, Kinderbuchautorin