Hamburg. Wegen des milden Winters traten in diesem Jahr die ersten Allergien extrem früh auf. Medizinerin erklärt, was Betroffene tun können.
Das Wetter im Norden ist in diesen Tagen wirklich ein Traum: ganz viel Sonne und ein angenehmer Wind. Das Wetter im Norden ist in diesen Tagen wirklich ein Albtraum, zu viel Sonne und ein nerviger Wind: So sehen es Allergiker. „Für sie war es bisher ein besonders intensives Jahr“, bestätigt die Allergologin Dr. Regina Fölster-Holst vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Im Grunde hat das Allergiejahr schon begonnen, bevor das Kalenderjahr begann – wohl wegen des zunächst milden Winters. „Im Dezember kamen die ersten Patienten“, sagt die Professorin. „Das habe ich so noch nie erlebt.“ In besiedelten Gebieten ist die Belastung höher, denn Großstadtpollen gelten als besonders aggressiv.
Hasel- und Erlenpollen stehen am Anfang der Allergiesaison. Mittlerweile neigt sich die Blühzeit der Birken zu Ende. Die der Gräser beginnt. „Als Allergieauslöser spielen bei uns Birken- und Gräserpollen die wichtigste Rolle“, sagt die Medizinerin, die auch Vorsitzende des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen in Norddeutschland ist. Viel Sonne begünstigt das explosionsartige Aufblühen der Pflanzen und die massenhafte Freisetzung von Pollen. Der Wind sorgt dann für die weiträumige Ausbreitung. Folge: Viele Menschen husten und schniefen und das bei tränenden Augen.
Gute Nachricht
Eine gute Nachricht gibt es immerhin: Anders als in anderen Regionen war 2018 im Norden kein Mastjahr für Birken – also kein Jahr, in dem besonders viel Pollen produziert werden. Wobei dies nur eine allgemeine Aussage ist. Die eine oder andere Birke kann unabhängig davon durchaus in eine extreme Pollenproduktion verfallen sein. Statistisch gesehen waren 2006 und 2016 Mastjahre, besonders wenig Birkenpollen gab es 2011 und 2015. Bei den Gräserpollen gab es 2017 einen starken Rückgang weshalb die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass es in diesem Jahr deutlich mehr sein werden. „Mast- und Magerjahre wechseln sich eigentlich in der Regel ab, aber es gibt auch Ausnahmen“, sagt Fölster-Holst. Die Gräser werden in der ersten Juni- und in der ersten Julihälfte einen Großteil ihrer Pollen in die Luft abgeben. Wer gegen sie allergisch ist, für den beginnt die Saison also erst.
Als relativ sicher gilt, dass Luftschadstoffe die Allergiewirkung der Pollen verstärken. Mit anderen Worten: Wer in einer Großstadt wohnt, und dort vielleicht auch noch an einer viel befahrenen Straße, hat stärker zu leiden. „Die Luftschadstoffe legen sich an die Wände der Pollen, und die produzieren als Reaktion darauf mehr Proteine“, sagt die Allergologin Fölster-Holst. „Viele dieser Proteine sind für die allergenen Reaktionen verantwortlich.“ Wissenschaftler haben mittlerweile nachweisen können, dass Stadtbirken aus Allergikersicht erheblich gefährlicher sind als Landbirken. „Kinder, die an verkehrsreichen Straßen leben, haben viel häufiger Allergien“, sagt die Professorin.
Zahl der Allergiker stark gestiegen
Die Zahl der Allergiker in Deutschland ist seit den 1970er-Jahren stark gestiegen. In den 1990er-Jahren wich dieser Anstieg einer Stagnation auf hohem Niveau. Nur beim Asthma gab es eine weitere Zunahme. Fölster-Holst geht davon aus, dass im Norden mindestens ein Drittel der Menschen Allergien haben. Damit sind Allergien die häufigste chronische Erkrankung.
Sie sind zugleich eine Wohlstandskrankheit. Im aktuellen Gesundheitsbericht der Bundesregierung heißt es: „Erwachsene mit hohem sozioökonomischen Status haben deutlich häufiger Allergien als Erwachsene mit mittlerem oder niedrigem sozioökonomischen Status.“ Wissenschaftler gehen davon aus, dass ein „Lebensstil mit ausgeprägter Hygiene und einer geringen Auseinandersetzung mit Keimen in der Kindheit“ die Entstehung von Allergien begünstigt. Das zeigte sich auch nach dem Fall der Mauer. Die Allergiehäufigkeit in den neuen Ländern, also in der Ex-DDR, war deutlich niedriger als in der alten BRD. 20 Jahre später hatte sich dieser Unterschied weitgehend angeglichen.
Vielseitige Ernährung verhindert Allergien
In der Medizin geht man daher schon seit Längerem andere Wegen bei der Bekämpfung der Krankheit. „Früher hieß es, dass man Kindern aus Allergikerfamilien bloß keine Milch, keinen Fisch und kein Hühnereiweiß geben soll“, erzählt Fölster-Holst. „Jetzt sagen wir, dass man Kinder so früh wie möglich mit allem konfrontieren sollte.“
Eine vielseitige Ernährung sei deshalb wichtig – gerade im Kindesalter. Eine britische Studie zeige zum Beispiel, dass Kinder, denen man früh Erdnüsse gebe, später keine Allergie entwickeln.
Wie genau die Krankheit entsteht, ist immer noch unklar. Fölster-Holst neigt der Theorie zu, dass Allergien entstehen, weil unser Immunsystem heutzutage unterbeschäftigt ist. „Das Immunsystem sucht sich dann andere Betätigungsfelder und bekämpft etwas, was eigentlich gar nicht bekämpft werden muss, weil es uns nicht schadet“, sagt sie. Zum Beispiel die völlig harmlosen Birkenpollen.
Immerhin kann man dem Immunsystem ein Schnippchen schlagen. Pollengitter vor dem Schlafzimmerfenster helfen. Sinnvoll ist es auch, vor dem Schlafengehen zu duschen. Inklusive Haarewaschen. Das entfernt die Pollen. In der Stadt sind sie meist abends in der Luft, also sollte man besser morgens lüften.