Hamburg. Der Pakt zwischen CDU, SPD und Grünen läuft 2020 aus. Erstes Gespräch über eine mögliche Fortsetzung in der kommenden Woche.
„Wir sollten den Schulfrieden nicht auslaufen lassen, denn er hat sich bewährt.“ Der Satz, den Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) in seiner zurückhaltenden Art am 11. April in seiner ersten Regierungserklärung vor der Bürgerschaft sagte, ging fast ein wenig unter. Nicht ganz zufällig, denn über den überparteilichen Schulfrieden – einer der Eckpfeiler der hiesigen Bildungspolitik – wird derzeit wenig gesprochen. Dabei drängt die Zeit durchaus: Anfang 2020 läuft der Pakt zwischen SPD, CDU und Grünen aus. Dann endet die Friedenspflicht in der Schulpolitik gewissermaßen.
Rückblende: Im Februar 2010 vereinbarten die drei Parteien – Erster Bürgermeister war Ole von Beust (CDU), Schulsenatorin Christa Goetsch (Grüne) und ein gewisser Olaf Scholz (SPD-Landesvorsitzender) – ein damals aufsehenerregendes Stillhalteabkommen. Zehn Jahre lang sollte die Schulstruktur aus Grundschule, Gymnasium und der damals neuen Stadtteilschule unangetastet bleiben.
Die Klassen sollten deutlich verkleinert und entsprechend erheblich mehr Lehrer eingestellt werden. Die Einführung der sechsjährigen Grundschule (Primarschule) konnte so zwar nicht durchgesetzt werden – die Hamburger lehnten sie per Volksentscheid ab –, dennoch hielt sich die ungewöhnliche Kenia-Koalition an ihre Abmachungen.
Gut acht Jahre später ist relativ unumstritten, dass der Hamburger Schulfrieden eine Erfolgsgeschichte ist, und dieser Erfolg ist sogar messbar. Die quälende Debatte über die richtige Schulstruktur wanderte für ein ganzes Jahrzehnt – in der schnelllebigen Politik eine halbe Ewigkeit – in die ideologische Mottenkiste. Das ist ein Grund, wenn auch nicht der einzige, für etwas, das nun gelegentlich mit milder Überzeichnung als Hamburger „Bildungswunder“ bezeichnet wird.
In der Pisa-Studie hat sich Hamburg nach vorn gearbeitet
Der Stadtstaat belegte seit dem Pisa-Schock im Jahr 2000 bei Schüler-Leistungstests im Ländervergleich regelmäßig mit Berlin und Bremen die letzten Plätze. Zuletzt hat sich Hamburg jedoch nach vorne gearbeitet: In Englisch erreichen die Hamburger vordere Plätze, in Deutsch belegen sie einen Rang im guten Mittelfeld und beim Angstfach Mathe stehen sie immerhin an der Spitze des letzten Drittels. Die Erklärung für den Erfolg ist relativ simpel: Zum einen konnten sich die Lehrer ohne dauernde Strukturreformen auf das konzentrieren, was wirklich wichtig ist: guten Unterricht. Zum anderen sorgen die inzwischen kleineren Klassen dafür, dass für jeden einzelnen Schüler mehr Zeit bleibt.
Dann müsste die Verlängerung des Schulfriedens eigentlich ein Selbstläufer sein – zum Wohle der Kinder. Ist es aber nicht. Und das hängt damit zusammen, dass auch Parteien zunächst einmal sich selbst am nächsten sind. Das gilt erst recht mit Blick auf Wahlen, und Anfang 2017 endet nicht nur der Schulfrieden, sondern dann wird auch die neue Bürgerschaft gewählt.
Es war CDU-Oppositionschef André Trepoll, der Ende 2017 zur Überraschung vieler dem rot-grünen Senat und dem damaligen Bürgermeister Olaf Scholz das Angebot machte, über einen neuen Schulfrieden zu sprechen. „Meine Hand ist ausgestreckt“, sagte Trepoll. Die Reaktion fiel auf rot-grüner Seite freundlich-abwartend aus. Dann herrschte erst einmal weitgehend Funkstille. Anfang April haben sich die Grünen dann als erste Partei per Landesausschuss-Beschluss zur Fortsetzung des „Schulstrukturfriedens“ für immerhin fünf Jahre bekannt. Der Entscheidung war eine temperamentvolle Debatte vorausgegangen. Manch Grüne(r) hält unbeirrt an der Zusammenführung von Gymnasium und Stadtteilschule zu einer „Schule für alle“ fest.
Die Fraktionschefs von CDU und Grünen sprechen als Erste
Doch nun kommt Bewegung in die Sache. Nach Abendblatt-Informationen wollen sich Trepoll und Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks in der kommenden Woche zu einem ersten vertraulichen Gespräch treffen, um die Chancen für eine Einigung auszuloten. Dabei wird es zunächst einmal darum gehen, worüber gesprochen werden soll. Das ist nicht trivial. Klar dürfte sein, dass SPD, CDU und Grüne an einer weiteren Verbesserung der Unterrichtsqualität liegt. Möglicherweise wird es auch um eine weitere Stärkung der Schulen gehen, die in einem sozial schwierigen Umfeld liegen. Auch der absehbare Lehrermangel und der verstärkte Einsatz von Quereinsteigern könnte ein Thema sein.
Doch der wirkliche Stolperstein für eine Neuauflage des Schulfriedens könnte woanders liegen: beim Thema G 9, also der Rückkehr zur längeren Schulzeit am Gymnasium. Viele Christdemokraten blicken neidvoll nach Schleswig-Holstein. Die Union hat dort die für sie negative Stimmungslage im Wahlkampf 2017 drehen können und stellt mit Daniel Günther inzwischen den Ministerpräsidenten. Zumindest ein Grund für den Wahlerfolg war die Unionsforderung nach einer flächendeckenden Einführung von G 9 an den Gymnasien.
Trepolls Vorschlag: An einigen Standorten G9 wieder einführen
Noch ringt die Elbunion mit sich, ob sie den Weg der schleswig-holsteinischen Parteifreunde gehen soll, auch wenn die Schulstruktur im Norden anders als in Hamburg ist. Hier wird G 9 eben schon flächendeckend angeboten – an den Stadtteilschulen. Aber mindestens die konservative Stammwählerschaft wäre mit einem Vorstoß in Sachen G 9 an der beliebtesten Schulform Gymnasium wohl zu erreichen. Trepoll hat vor Kurzem den Vorschlag gemacht, an einigen Standorten G 9 wieder einzuführen, ohne das ganze System „auf links zu drehen“.
Bei Rot-Grün stößt die (Teil-)Rückkehr zu G 9 auf Ablehnung. Etwas süffisant wird darauf verwiesen, dass es die CDU-FDP-Schill-Koalition war, die Anfang der 2000er-Jahre das „Turbo-Abitur“ in Hamburg eingeführt hat. G 9 am Gymnasium würde, das ist rot-grüne Überzeugung, zu einer deutlichen Schwächung der Stadtteilschulen führen, weil eher leistungsstärkere Schüler dann gleich auf einem Gymnasium angemeldet würden.
Es werden harte Verhandlungen, und Trepoll schließt „einen Frieden um des Friedens willen“ aus. „Der Schulfrieden hat sich bewährt. Ich würde ihn gern verlängern“, sagt Schulsenator Ties Rabe (SPD). Es sei gelungen, die „sehr schädlichen Grabenkämpfe in der Bildungspolitik zu überwinden“. Das habe Kraft für Reformen gegeben, die den Schülern nützten, etwa der Ganztagsschulausbau.