Hamburg. Rund 370 Mitarbeiter von Apo-Rot verlieren ihren Arbeitsplatz in Bahrenfeld. Neuer Eigentümer bietet Jobs an – aber nicht in Hamburg.

Vor eineinhalb Jahrzehnten machten die Pharmazeutin Birgit Dumke und ihr damaliger Ehemann mit ihrer Apotheke an der Rothenbaumchaussee bundesweit Schlagzeilen: Sie bauten einen Versandhandel auf, vor allem aber verkauften sie die Medikamente auch über den Tresen ebenso günstig wie im Internet – im Schnitt zu 30 Prozent unterhalb des Listenpreises. Mit dieser Pioniertat sorgten die Dumkes nicht nur für Schlangen von Kunden vor der Apotheke, sie zogen auch heftige Kritik aus der Branche auf sich.

Doch nachdem Birgit Dumke aus der Firma Apo-Rot ein mittelständisches Unternehmen mit einem Umsatz von 100 Millionen Euro und weit mehr als 500 Beschäftigten in vier Apotheken in Hamburg sowie dem Logistikzen­trum in Bahrenfeld gemacht hat, kehrt sie nun zu den Wurzeln zurück: Die Firmengründerin verkauft den Versandhandel zum Jahresende an DocMorris, Europas größte Versandapotheke mit Sitz im niederländischen Heerlen, behält aber ihre vier Apotheken.

Gravierende Folgen für viele Apo-Rot-Mitarbeiter

Für die meisten ihrer Mitarbeiter in Hamburg hat die Entscheidung gravierende Folgen. Das gilt besonders für das Personal des Logistikzentrums: Die Hälfte der dort etwa 370 Mitarbeiter hat nach Angaben von Apo-Rot unbefristete Verträge und soll die Möglichkeit erhalten, auf Arbeitsplätze in Heerlen oder in Bremen zu wechseln. Dort betreibt die schweizerische Zur Rose Group, die Muttergesellschaft von DocMorris, eigene Logistikzentren.

Weitere gut 80 Mitarbeiter der Marketing- und Service-Teams sowie der allgemeinen Verwaltung sollen in eine neue Gesellschaft mit Sitz in Hamburg wechseln. Diese werde auch künftig den Onlineshop vermarkten, heißt es. Geplant seien „gemeinsame strategische Projekte“ wie die Entwicklung eines elektronischen Medikationsplans.

Deutsche Apotheker im Online-Handel benachteiligt

Lediglich für die knapp 90 Mitarbeiter im Stammhaus an der Rothenbaumchaussee und in den Filialen in Blankenese, Bahrenfeld und Barmbek ändert sich nichts. Nach eigenen Angaben will Birgit Dumke ihrer sozialen Verantwortung für die Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz in Hamburg verlieren, in den nächsten Monaten im Dialog mit der Gewerkschaft Ver.di und der Agentur für Arbeit gerecht werden. Zu den Zielen gehöre ein „fairer Sozialplan“ mit Abfindungsregelungen. „Die Entscheidung ist mit viel Wehmut verbunden – bei mir, aber natürlich auch bei unseren Mitarbeitern“, sagte die ­53-Jährige dem Abendblatt.

„Ich bin stolz auf mein Team. Es gab eine kurze Phase der Sprachlosigkeit. Aber die Beschäftigten haben verstanden, dass wir gemeinsam nach ­Lösungen für jeden Einzelnen suchen werden.“ Gerade in der Logistik biete Hamburg „sicherlich viele attraktive Möglichkeiten.“ Ein wesentlicher Grund für den Verkauf des Onlinehandels ist nach den Worten von Dumke, dass deutsche Apotheker in diesem Geschäft gegenüber Konkurrenten aus anderen europäischen Staaten benachteiligt sind: „Ich habe alle Möglichkeiten geprüft, wie die nächste Etappe des Wachstums finanziert werden könnte. Nach deutscher Rechtslage muss ich die Apotheke aber weiter als ‚eingetragener Kaufmann‘, also als Personengesellschaft, führen.“

Damit hätten es ausländische Wettbewerber sehr viel leichter, Kapital für Wachstum zu beschaffen. Zudem trage der Eigentümer eine enorme Verantwortung: „Ich hafte für jedes Paket, das unser Haus verlässt, persönlich.“ Es gibt aber noch eine weitere Einschränkung durch das deutsche Recht, so Dumke: „Ein Anbieter, der aus dem Ausland agiert, darf Kunden in Deutschland auch auf rezeptpflichtige Medikamente Preisvorteile einräumen. Uns aber ist das nicht gestattet.“

Kartellämter müssen noch zustimmen

Der Verkauf des Versandhandels an DocMorris steht noch unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Kartellämter. Über die „finanziellen Aspekte der Vereinbarung“ wurde Stillschweigen vereinbart. Für die mehr als vier Millionen Kunden solle es „keine sichtbare Veränderung“ geben, so Dumke: „An unserer Preispolitik soll sich möglichst nichts ändern, auch künftig wollen wir stationär den Einkauf zu Internetpreisen ermöglichen.“ Ebenso solle das sogenannte „Click&Collect“-Modell, bei dem die Kunden im Netz bestellen und den Einkauf in einer Apo-Rot-Apotheke abholen können, beibehalten werden.

Bundesweit gibt es weitere 18 „Partner-Apotheken“, die unter dieser Marke firmieren. Sie gehören aber nicht zum Unternehmen, denn nach deutschem Recht darf ein Apotheker neben dem Haupthaus nur maximal drei Filialen in räumlicher Nähe führen. Unberührt vom Verkauf des Versandhandelsbereichs bleibt laut Dumke das in den vergangenen Jahren entwickelte Eigenmarken-Segment von Arzneimitteln über Nahrungsergänzungsmittel bis hin zu Kosmetik-Produkten.

DocMorris mit Umsatz von 370 Millionen Euro

Nach Einschätzung der Apothekerin wird das Onlinegeschäft mit Medikamenten in Deutschland weiter an Bedeutung gewinnen. Apo-Rot gehöre zu den fünf größten Anbietern auf diesem Markt. Mit Abstand die Nummer eins ist aber DocMorris. Das Unternehmen mit mehr als 600 Beschäftigten hat im vorigen Jahr eigenen Angaben zufolge 370 Millionen Euro umgesetzt.

Insgesamt sind die Erlöse mit Arzneimitteln über den Versandhandel im Jahr 2017 nach Erkenntnissen des Datendienstes Iqvia in Deutschland um acht Prozent auf 1,1 Milliarden Euro gestiegen. Allerdings ist der Anteil des Onlinegeschäfts noch vergleichsweise gering: Der Umsatz im Apothekenmarkt beläuft sich auf 34 Milliarden Euro. Immerhin ist das Potenzial des Internethandels mit Medikamenten so groß, dass sich auch Amazon dafür interessiert. In München können Kunden des Amazon-Expressdienstes Prime Now dank einer Kooperation mit einer örtlichen Apotheke binnen einer Stunde rezeptfreie Medikamente erhalten.