Hamburg. Der „blasse dünne Junge“ war zusammen mit dem Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld – und Olli Dittrich – im Mehr! Theater.

Es ist aber auch echt nicht einfach mit dieser verdammten Selbstironie. Ständig wird die von einem erwartet, sobald man seine Meinung ins Rampenlicht stellt und bissig-lustig sein soll. Zu wenig davon – ­uncool, ganz schlecht. Zu viel – dann geht’s ebenfalls nach hinten los, weil man in einen ­ermüdenden Leerlauf aus ­In­sider-Pointen über Insider-Pointen ­gerät.

Schreibt man ein Schmäh­gedicht über ­jemanden wie Erdogan, setzt es verbale Dresche, üble Drohungen, löst „Ist das Kunst?“-Debatten und Klagen auf Staatskrise-Niveau aus. Gründet man eine Online-Protestbewegung gegen rechte Internet-Pöbler, wird man von Online-Kolumnisten als „Reinhard Mey des ZDF“ abgebürstet. Nett ­gemeint ginge anders. Doch wer ständig austeilt, braucht auch mal Blickkontakt zum Rest der Welt und stärkende Rücken­deckung. Immer nur Studio ist auf die Dauer auch nicht gesund.

Ein in vieler Hinsicht sonderbarer Auftritt

Kein Wunder also, dass Jan Böhmermann, ansonsten der Late-Night-Mann fürs Feingrobe beim Spartensender ZDFneo, seinen in vieler Hinsicht sehr sonderbaren Liveauftritt im Mehr! Theater mit der deeskalierend klingenden Aufforderung ans Publikum begann, man möge die Meta-Ebenen an der Garderobe abgeben. Was wohl meinen sollte: Hier ist fröhliche Frontal­bespaßung bei der Frontalbeschallung angesagt; keinen Stress, wir machen es uns jetzt mal richtig nett miteinander. Es kam aber, klar, eher anders.

Schon der Rahmen des Konzerts war reichlich Widerspruch in sich. 2018 ernsthaft mit einer vielseitigen Profiband zu touren, die den nach Wählscheiben-Telefon und Käse-Igel riechenden Antiquitäten-Namen „Rundfunk-Tanzorchester Ehrenfeld“ trägt und Um-die-30-Hipster mit dem Klang echter Instrumente bespaßt, reizt ­bereits zum Grinsen.

In der ersten Konzerthälfte, die wie ein Potpourri – wieder so ein pensioniertes Wort aus Kohl-Deutschland – daherkam, brachte Böhmermann einige seiner Tagesthemen-Hits aus früheren „Neo Magazin Royale“-Folgen. Selbstgänger für alle, die diese Rand­lagen-Sendung oder wenigstens ihre Internet-Ableger regelmäßig verfolgen. Und andere waren ja eh nicht im Saal.

Schunkeln, mitklatschen: Was man sonst nie täte

Viel Schönes also für die verzückte und textsichere Stammkundschaft: ­„Baby Got Laugengebäck“, fast so funky wie der Kollege Justin Timberlake, nur mit noch schlichterem Inhalt. Die verrammsteinte Herzensgüte-Dröhnung in „Be Deutsch“. Der Rechtsrum-Marsch-Walzer „Deutschland ist wieder im Reichstag zurück“. Die Blues-Brothers-Nummer zu „Ich bin zu dumm für RTL“. Und, netter Nebeneffekt, mit ­jedem dieser Songs wurde klarer, wie raffiniert gut und handwerklich sauber ­Böhmermanns-Showband tickt und funktioniert, denn so viele stilistische Haken muss man als Livekapelle erst mal ­unfallfrei schlagen können.

Böhmermann spulte, Stück für Stück, gekonnt seine Spaßvogeleien ab. Bereits bei der Anklageschrift-Polka „Rainer Wendt (Du bist kein echter Polizist)“ – Auslöser und Begleitvideo bitte im Internet nachschlagen – kam es zu ersten ­erstaunlichen Mitklatschszenen und Schunkelversuchen im Parkett; Szenen und Gesten, die an Frohsinnsmomente deutscher TV-Unterhaltung erinnerten.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

An genau das, was man bei den Eltern immer doof und peinlich fand, bis man sich selbst dabei ertappt und es sich ­irgendwie ganz okay anfühlt, weil es nun ja nur parodierender Spaß ist. Die ­genau das taten, was man sonst ernsthaft nie brächte, wäre man dem ­gesangsbegabten jungen Mann nicht schon auf seinen Selbstironie-Leim ­gegangen. Dabei sah der „blasse dünne Junge“ (Böhmi über Böhmi) in weißem Hemd und grauer Anzughose allerdings wie einer dieser mittelwitzigen ­Abteilungsleiter aus, die beim Firmenschwof locker sein wollen, dann aber bei den Gesangseinlagen immer wieder eine Führungskräfte-Hand verkniffen in der Hosentasche parken.

Als Überraschungsgast kam Olli Dittrich auf die Bühne

Der Wertekompass suchte in diesem Themenhagel nach Orientierungshilfen, bevor die zweite Hälfte des pausengongdurchbrochenen Konzerts ­begann und es lustiger und ­anders besser wurde. Ein Grund dafür kam als Überraschungsgast mit Gitarre auf die Bühne: Olli Dittrich, im Anzug statt in Dittsches Bademantel, als die hiesigen, längst historisch gewordenen 50 Prozent von Die Doofen. Heldenverehrung ohne komplizierte Wenns und ­Abers, Blödeln ­ohne Reue oder ­irgendeinen doppelten Boden als kleine zweistimmige Dummbatz-Auszeit für die anstrengende 2018er-Satire, das gute alte „Mief“ und ­danach „Toastbrot Baby“ ­gemeinsam singen.

Danach ging es wieder zurück ins Satiriker-Rollenspiel: Jim Pandzkos absichtlich schlimme Befindlichkeitspop-Hymne „Menschen Leben Tanzen Welt“, von Herzen kommende Rache an allen maxgiesingernden Mützchenträgern, fehlte noch. Und natürlich, als härtester Kracher aus der böhmermannschen Hit­parade: die Gangsta-Rap-Retourkutsche „Ich hab Polizei“ von Jan „Polizistensohn“ Böhmermann. In der Heimat von 187 Straßenbande keine schlechte Wahl für den Zugaben-Rausschmeißer zurück in die ganz und gar wirkliche Wirklichkeit.