Hamburg. Winzige Wohnungen und Vermieter, die mehrfach verdienen. Wie Behörden kontrollieren, warum Betroffene Zustände dulden.

Die Zimmer sind verschimmelt, der Putz bröckelt, in einer kleinen Wohnung waren Menschen zusammengepfercht. Die Vermieter kassierten dennoch teils hohe Geldbeträge von der Stadt. Immer wieder wurden jüngst solche eklatanten Fälle von Betrug bekannt, zuletzt in Bergedorf – trotz Durchsuchungen fehlt dem Staat aber oft die Handhabe gegen die Vermieter. Die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Welche Fälle von Betrug mit
überbelegten Häusern sind bekannt?

An der Harburger Seehafenstraße war es im September 2017 zu einer Razzia in einem heruntergekommenen, völlig überbelegten Haus gekommen – in 16 verwahrlosten Wohnungen waren 63 Menschen gemeldet. Im März 2018 war bei einer Razzia ein Haus in desolatem Zustand in Bergedorf mit 158 Personen festgestellt worden, gemeldet waren dort 139 Menschen – teilweise lebten sieben Personen in einem Zimmer. Nach der Evakuierung setzte der Vermieter des Gebäudes seine Praxis zunächst fort – nach einem Schwelbrand und „Gefahr in Verzug“ wurde es am Mittwoch nun erneut geräumt. Zuletzt wurde am 19. April ein Haus an der Walddörferstraße in Wandsbek überprüft: Von 92 gemeldeten Personen wurden 72 angetroffen. Überbelegte Appartements und Wohnungen waren in desaströsem Zustand.

Wie funktioniert der Sozialbetrug?

Für jedes Zimmer verlangen Vermieter eine feste Kaltmiete, hinzu kommen die Betriebskosten, Heizkosten und Strom – oft eine zweite Miete. Die Mieter, meist Sozialleistungsempfänger, melden sich regulär an, beziehen Mietunterstützung, in einigen Fällen auch vom Jobcenter. Teile davon werden jedoch oft in bar an Mittelsmänner weitergegeben, der Gewinn für Vermieter potenziert sich. Erst wenn zu viele Personen an einer Adresse gemeldet sind oder die Behörden anderweitig Verdacht schöpfen, fliegt der Schwindel auf. Deshalb soll es auch einen regen Handel mit Meldeadressen geben.

Wie viele Ermittlungsverfahren gab
es bisher in Hamburg?

Laut Staatsanwaltschaft werden nur die Ermittlungsverfahren für Mietwucher statistisch erfasst, zu denen viele Fälle von überbelegten Häusern zählen. Fast 100 waren es in den vergangenen fünf Jahren. 2013 gab es 17 Verfahren, ein Jahr später 18, 2015 waren es 16, ein Jahr darauf 14 und 2017: 16.

Warum dulden die Mieter das?

Laut Mieterverein zu Hamburg ist die Wohnungsnot das Grundproblem, deshalb gebe es einen Markt für überbelegte Häuser mit haltlosen Zuständen. Denn oft trifft es die Ärmsten der Armen. Die Vielzahl der Mieter – meist Bulgaren oder Rumänen – hätten keine Chance auf dem umkämpften Wohnungsmarkt. Diesen Notstand nutzen „hochkriminelle Vermieter“ mit Schrottimmobilien schamlos aus. Sie bieten sanierungsbedürftigen Wohnraum gewinnbringend an, ohne investieren zu müssen.

Gibt es eine „schwarze Liste“ für
auffällig gewordene Vermieter?

Nein, aber laut Senat haben 960 Anschriften von insgesamt 291.835 in Hamburg einen sogenannten Prüfvermerk. Das heißt, an diesen Adressen wird besonders genau hingesehen, ob es Scheinanmeldungen gibt. Zunächst bedeutet der Vermerk nur eine Kontrolle vor dem Einzug der Mieter – „anlassbezogen“ kontrolliert werde hinterher.

Wie kontrollieren die Behörden?

Verdachtsfällen wird nach Datenabgleich oder Hinweisen aus dem Umfeld nachgegangen. Die Sozialbehörde koordiniert dann ämterübergreifende Aktionen gegen ausbeuterische Strukturen und den organisierten Missbrauch von Sozialleistungen. Eine behördenübergreifende Arbeitsgruppe hat seit Oktober vier Razzien als sogenannte Aktionstage durchgeführt. „Wir haben dadurch eine Sensibilisierung in allen beteiligten Stellen erreicht“, sagt Marcel Schweitzer, Sprecher Sozialbehörde.

Mitarbeitern von Jobcentern steht zudem eine Arbeitshilfe zur Verfügung, in der Auffälligkeiten registriert werden. Tätig werden sie unter anderem, wenn die Wohnverhältnisse unerträglich sind, notwendige Instandsetzungsarbeiten unterbleiben oder die Höchstanzahl an Bewohnern überschritten wird. Wenn Wuchermieten verlangt werden, können die Betroffenen Rechtsschutz in Anspruch nehmen. Die Beweislast liegt allerdings weitgehend beim Mieter.

Wie viel Miete zahlen Jobcenter oder
Sozialbehörde pro Person?

Bewilligt werden ungeprüft meist bis zu 400 Euro, da dieser Betrag unter der sogenannten Angemessenheitsgrenze liegt. Die Zimmerpreise unlauterer Vermieter pegeln sich deshalb in dieser Preisregion ein. Gezahlt wird pro Leistungsempfänger oder Bedarfsgemeinschaft – das heißt: Oft kassieren die Vermieter doppelt und dreifach, bewegen sich dabei auch in rechtlichen Grauzonen.

Wie wird die Hilfe berechnet?

Wenn der Staat die Miete für Bedürftige übernimmt, gehen die Ämter davon aus, dass jedem Antragsteller mindestens zehn Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung stehen.

Welche rechtliche Handhabe gibt es
bei Überbelegung und Missbrauch?

Das Wohnraumschutzgesetz, dessen Einhaltung die Bezirke überwachen, schreibt Belegung, Sanierungsstandard und erträgliche Wohnverhältnisse vor. Beim Offenlegen von Missbrauchsstrukturen wird meist wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung ermittelt. Auch wenn schon ein Strafverfahren vorliegt, trauen sich viele Mieter offenbar nicht, mit den Behörden zu kooperieren. „Die Beweisführung ist schwierig“, heißt es aus dem Senatsumfeld.

Was sagt das Jobcenter zum
Missbrauch?

Jobcenter-Chef Dirk Heyden betont gegenüber dem Abendblatt, dass die vielen beteiligten Behörden intensiv zusammenarbeiten. Es handele sich nach den bisherigen Erkenntnissen nicht um ein flächendeckendes Problem. „Ganz klar ist, dass wir diese ausbeuterischen Strukturen nicht dulden und entschieden bekämpfen“, so Heyden. Die unrechtmäßig bezahlten staatlichen Gelder in den bekannten Fällen würden von den Vermietern zurückgefordert.

Warum werden überbelegte
Wohnungen nicht einfach geräumt?

Wohnraumschutz heißt, bestehende Wohnungen zu schützen. Bei Räumungen entstehen oft soziale Härten, weil neue Obdachlosigkeit verursacht wird oder Familien getrennt werden. „Die Mieter sind die Opfer und Leidtragenden der kriminellen Praktiken. Wir wollen nicht sie bestrafen, sondern an die Hintermänner gelangen“, sagt Jobcenter-Chef Dirk Heyden.

Wo können verdächtige Häuser
gemeldet werden?

Hinweise auf Betrug mit Überbelegung oder Mietwucher nehmen die Bezirksämter und auch die Sozialbehörde entgegen.