Hamburg. Ab Dezember sollen 60 Züge des neuen S-Bahn-Typs in Betrieb gehen. Zurzeit müssen sie die letzten Tests bestehen.

Das Abkuppeln des vorderen S-Bahn-Zugs klappt an diesem Morgen auf der Abstellanlage in Hamburg-Poppenbüttel nicht im ersten Anlauf. Geschäftig eilen Bombardier-Techniker in den Führerstand, um nach dem Fehler zu suchen. Er ist zügig entdeckt, der Vorführ- durch einen Lerneffekt ausgemerzt. Zu viele Magnetventile seien am Vorabend bei der Schulung von Handwerkern zugesperrt worden, erläutert S-Bahn-Ausbilder Lars Frenkel. Er weist seine „Azubis“, im ersten Schwung 50 bis 60 gestandene Zugführer, in den „ET 490“ ein.

Der neue Fahrzeugtyp der S-Bahn soll von Dezember an, zum Fahrplanwechsel, im öffentlichen Nahverkehr eingesetzt werden, wie S-Bahn-Chef Kay Uwe Arnecke erläutert. 60 der 66 Meter langen Kurzzüge à drei Wagen kommen in den Dienst. Zuerst wird die Linie S21 zwischen Aumühle/Reinbek im Osten und Eidelstedt/Elbgaustraße im Westen Hamburgs bestückt. 12 weitere Züge wurden bereits bestellt. Sie bieten jeweils 190 Sitz- und 280 Stehplätze.

Ein Blick in den Waggon eines Zuges der S-Bahn Hamburg vom Typ „ET 490“
Ein Blick in den Waggon eines Zuges der S-Bahn Hamburg vom Typ „ET 490“ © dpa | Daniel Reinhardt

Die für den Fahrgast durchgängigen, großzügig wirkenden Fahrzeuge ersetzen die Baureihe 472 mit 52 Zügen. „Die haben ihren Ruhestand verdient - nach Jahrzehnten im Einsatz“, sagt Fertigungs- und Projektleiter Meinhard Fürstenberg. Die Wagen werden zerlegt, die Materialien recycled.

Vorderfront in neuem Design

Die „Neuen“ rauschen mit markantem Vorderteil in Hamburgs S-Bahn-Stationen heran. Statt ganz im Rot der Deutschen Bahn formen Silberstreifen ein stilisiertes „H“ an der Schnauze. Seit 25. Oktober 2017 wird der 490er nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit getestet, damit der Passagier-Transport künftig reibungslos läuft.

Kürzlich sei nachts eine Probefahrt erfolgt, berichtet Arnecke. „Wir haben geschaut, ob alle Türöffnungen zur Einstiegshöhe an der Bahnsteigkante passen.“ Das Ergebnis: „An der Haltestelle Wandsbeker Chaussee muss mit Schotter nachgestopft werden.“ Dort hätten sich die Gleise etwas abgesenkt, so dass der Einstieg für die Fahrgäste nicht komfortabel genug sei. Es geht allenfalls um Zentimeter.

Durchschnittliches Tempo von 70 Kilometern pro Stunde

Um Stundenkilometer geht es vorne im „Cockpit“. Mit durchschnittlich Tempo 70 steuert Anke Thiele den Neuling von Ohlsdorf nach Poppenbüttel. Seit 30 Jahren hat sie Routine im Streckennetz. „Es ist toll“, lobt sie nach sechs Tagen Einarbeitung das neue Gefährt. Fahren und Bremsen? „Wie beim Vorgänger. Und die Bedienung, das übt sich ein.“

Schalter zum Anfassen hat Thiele neben sich und halblinks auf Kopfhöhe drei Monitore, die bei der Einfahrt nach Wellingsbüttel den Bahnsteig anzeigen. Sanft bringt sie den Zug passgenau am Halteschild zum Stehen. Rechter Hand blinkt das Computerdisplay auf, ein Rollstuhlfahrer möchte einsteigen.

„In Wagen zwei“, murmelt Thiele. Jetzt müsste sie den Fahrgast über Lautsprecher informieren, dass es die Einstieghilfe nur ganz vorn gibt. Aber Fahrgäste gehen ja noch nicht an Bord. Rollstühle oder Rollatoren, Kinderwagen und Gepäck haben direkt hinter dem Führerstand mehr Fläche zum Abstellen bekommen, markiert durch in den Boden eingelassene Logos.

Zugführerin Anke Thiele im Cockpit des ET 490
Zugführerin Anke Thiele im Cockpit des ET 490 © dpa | Daniel Reinhardt

Auch Thiele und ihre Kollegen haben mehr Raum im Führerstand. Der Sessel wurde weiter zurückgesetzt, der Fahrer blickt durch eine abgeschrägte Scheibe auf’s Gleis. „Sehen wir die Signale noch?“, sei eine Befürchtung gewesen, berichtet der Ausbilder. „Aber das ist wie bei einem neuen Auto: ein, zwei mal Platz genommen, dann haben die Zugführer das im Gefühl“, sagt Frenkel. Mit der neugeformten Front würden die Ansprüche von Crash-Tests erfüllt. Schließlich geht es um die Zulassung durch das Eisenbahnbundesamt, die der S-Bahn-Chef „in Kürze“ erwartet.

Hier und da muss optisch noch nachgebessert werden. So zeigt das elektronische Laufband zwar als nächste Station Poppenbüttel an, doch vom Namenszug wird oben etwas abgeschnitten. Das werde neu programmiert, verspricht Projektleiter Stefan Faulstroh vom Hersteller Bombardier (Hennigsdorf [Brandenburg]). „Das Fahrzeug läuft supergut“, sagt Arnecke. „Es liegt deutlich über den Zielmarken“, sagt Faulstroh.

Investition von 500 Millionen Euro

Bei rund 500 Millionen Euro Investitionssumme liegen die Erwartungen hoch. Der 490er komme nicht von der Stange, sondern sei den Hamburger Strecken mit etlichen Tunneln und der Stromversorgung (Gleichstrom und Wechselstrom) angepasst, erläutert Arnecke. Rund 2890 Einzelteile seien eigens angefertigt worden, berichtet Faulstroh. Eingepreist ist eine Klimaanlage, die mithilfe von Wärmepumpen energiesparend die Abwärme des Zugbetriebs nutzt.

Erstmals selbst schließende Türen sollen den Fahrgast zum zügigen Einsteigen anhalten. „Im Winter haben wir keine offenen Türen mehr“, hofft Fürstenberg. Auch die umstrittenen, weil arbeitsintensiv zu reinigenden Abfallbehälter sind weiterhin vorhanden, Armlehnen leisten Sitzkomfort. Über Bildschirme wie in Hamburgs U-Bahnen werden die Stationen angezeigt und – so erforderlich – über Störungen im Streckennetz informiert sowie über Nachrichten aus Hamburg und der Welt.

Diese konzentriert sich für die 450 Zugführer der S-Bahn auf das neue Modell. „Geh in Schnellbremsstellung“, weist der 35 Jahre alte Ausbilder, selbst gelernter Lokführer, seinen älteren Kollegen an. „Tssssch“, zischt es. „Genau – der rote Rahmen erscheint. Es funktioniert, wie es soll“, sagt Frenkel. Zum Kuppeln bewegt sich der 490er vorwärts. „Ein Kilometer pro Stunde, wunderbar“, sagt Frenkel und: „Butterweich“, als der Zugführer seine drei Waggons an die davor stehenden ankuppelt. Das alltägliche Manöver hat geklappt.