Hamburg. Vor 75 Jahren wurde mit der Einweihung des dritten Bauabschnitts der Sprinkenhof endlich fertiggestellt. 16 Jahre hatte man gebraucht.
Längst ist das Unvorstellbare denkbar geworden, schon vor drei Jahren sind die ersten Bomben auf Hamburg gefallen. Am 18. Mai 1940, achteinhalb Monate nach Kriegsbeginn, nehmen kurz nach Mitternacht Bomber der Royal Air Force Kurs auf Hamburg. Sie kommen von der Nordsee und werfen über dem Hafen, St. Pauli und Altona insgesamt 400 Brand- und 80 Sprengbomben ab. Die Zerstörungen sind überschaubar, 34 Menschen finden den Tod. Aber es ist der Beginn, der Auftakt für viel Schlimmeres.
Drei Jahre später, im Mai 1943, haben sich die Menschen in Hamburg an den Bombenkrieg gewöhnt, noch scheint das Risiko kalkulierbar. Der Alltag geht weiter, und manchmal gibt es sogar etwas zu feiern. Zum Beispiel das glückliche Ende eines langwierigen Bauprojekts. An der Burchardstraße haben sich einige Herren im Anzug versammelt. Es sind städtische Beamte, leitende Mitarbeiter der Sprinkenhof GmbH, Bauingenieure und ein Mann mit spärlichem Haupthaar und runder Brille, der mit großem Respekt behandelt wird: der Architekt Fritz Höger.
Vor allem ein Bürokomplex
Die Herrschaften sind gekommen, um nach mehr als 16 Jahren Bauzeit die Fertigstellung eines großen Kontorhauses zu feiern. Der gewaltige Komplex, der in drei Bauabschnitten errichtet wurde, erstreckt sich zwischen Altstädter Straße, Burchardstraße und Johanniswall. Er umschließt drei Innenhöfe, umfasst auch Geschäfte und Lagerräume, ist aber vor allem ein Bürokomplex, ein neuer architektonischer Akzent im Kontorhausviertel. Die lange Bauzeit lässt sich nur mit den widrigen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen jener Zeit erklären. Als die Sprinkenhof GmbH, damals noch unter dem Namen Geschäftshaus Altstadt AG, am 11. April 1927 ins Handelsregister eingetragen wurde, herrschte Frieden. Bei der Bürgerschaftswahl im Herbst kam die NSDAP gerade mal auf 1,25 Prozent, die SPD dagegen auf fast 40 Prozent.
Wie viel sich seither verändert hat, zeigt auch die Tatsache, dass bei der feierlichen Einweihung zwei der drei Architekten nicht anwesend sind und nicht einmal erwähnt werden. Die Brüder Ernst und Oskar Gerson, die damals den Bau gemeinsam mit Fritz Höger planten und begannen, waren Juden. Schon Anfang 1933 hatte der Bund Deutscher Architekten sie ausgeschlossen. Ernst erkannte die Gefahr, verließ Deutschland und emigrierte nach Bulgarien und später nach Neuseeland, während Oskar noch in Hamburg blieb, bald aber nur noch für jüdische Auftraggeber arbeiten durfte. 1938 gelang es ihm noch, nach London auszureisen, von dort ging er nach Berkeley in Kalifornien, wo er weiterhin als Architekt tätig war.
Architekt sympathisierte mit dem NS-Regime
Den kubischen Mitteltrakt mit seiner Lochfassade und den sich rautenförmig schneidenden Ziegelbändern hatten die drei Architekten gemeinsam geplant, ebenso wie den zweiten Bauabschnitt, der 1929/30 zur Westseite hin am Burchardplatz entstand. Als Fritz Höger 1939 mit dem dritten Bauabschnitt begann, waren die Brüder Gerson bereits im Exil. Gegenüber dem nur sparsam mit Bauschmuck versehenen zweiten Bautrakt griff Höger wieder auf expressionistische Formen zurück, die er schon beim 1924 vollendeten Chilehaus verwendet hatte. Der Architekturhistoriker Ralf Lange schreibt: „Dieser Rückgriff auf den Klinkerexpressionismus ist auch allgemein typisch für Högers Entwürfe in der NS-Zeit, der trotz seiner Affinität zu der nun herrschenden Ideologie kaum Anschluss an die aktuelle Entwicklung fand und stattdessen gleichsam retrospektiv tätig war.“
Das Chilehaus war Högers Geniestreich. Gegenüber diesem mit seiner Schiffsbugform nahezu wahrzeichenhaften Gebäude, dessen Bau in der Aufbruchszeit der Weimarer Republik nur zwei Jahre in Anspruch genommen hatte, musste sich der Sprinkenhof architektonisch behaupten, zumal sich die beiden Bürokomplexe an der Burchardstraße direkt gegenüberliegen.
Und das ist gelungen. Für Fritz Höger muss die Einweihung des Sprinkenhofs an diesem Maitag des Jahres 1943 eine Genugtuung sein, zumal er mit den Nationalsozialisten offen sympathisiert und darunter leidet, dass die braunen Machthaber nicht viel mit seinem nordischen Backstein-Expressionismus anzufangen wissen und ihm daher kaum größere Bauaufträge erteilen. Dabei hat er über sein „rassenseelisches Raumgefühl“ schwadroniert und die „Zeichen der Zeit“ früh erkannt, als er schon Ende 1932 seinem jüdischen Kollegen Ossip Klarwein aufgrund dessen jüdischer Herkunft kündigte, zur „Bereinigung“ seiner Mitarbeiterschaft, wie er es nannte. Klarwein emigrierte 1934 nach Palästina, baute in Haifa den berühmten, noch heute stadtbildprägenden Getreidespeicher und beteiligte sich später in Jerusalem auch am Bau der Knesset.
Der größte deutsche Bürokomplex
Bei der Einweihung des Sprinkenhofs werden Reden gehalten, man würdigt die Modernität und Solidität, trotzdem fragt sich mancher der Anwesenden bang, was die Zukunft bringen mag. Dass manches ursprünglich vorgesehene bauliche Detail aus Kostengründen dann doch nicht verwirklich worden ist, bleibt in den Reden unerwähnt. Die Mieter, in der Regel Hamburger Kaufleute mit ihren Firmen, sind erst einmal froh, dass sie nun ihre Büros beziehen können. Elf Millionen Reichsmark hat der größte Bürokomplex Deutschlands gekostet, nach Fertigstellung des dritten Bauabschnitts erstreckt er sich auf 51.000 Quadratmeter.
Nur wenige Wochen danach, in der Nacht vom 24. zum 25. Juli 1943, sind 791 Bomber der Royal Air Force im Anflug auf Hamburg. Bis zum 3. August überzieht die britische Luftwaffe Hamburg mit fünf Nachtangriffen, hinzu kommen zwei Tagangriffe der Amerikaner. Dabei entfachen die Bomben einen Feuersturm, dem etwa 35.000 Menschen zum Opfer fallen, weite Teile der Stadt werden zerstört.
Auch der Sprinkenhof erhält acht Volltreffer von Sprengbomben. Besonders schwer wird der dritte Bauabschnitt getroffen, der Flügel Johanniswall/Burchardstraße brennt bis auf das Beton- und Mauerwerk aus. Erst Jahre nach Kriegsende sind alle Schäden behoben, sodass der Sprinkenhof wieder vollständig genutzt werden kann.