Hamburg. Breite Kritik an Grünen-Vorstoß. Einige Schulen machen allerdings gute Erfahrungen damit. Was Schlafforscher sagen.

Wenn Holger Müller morgens vor der Schule steht und seine Schüler begrüßt, wird er täglich bestätigt, dass es eine kluge Entscheidung vor rund zehn Jahren war, mit dem Unterricht am Helene-Lange-Gymnasium (HLG) in Harvestehude erst um 8.55 Uhr zu beginnen. Er blicke morgens in ausgeruhte Gesichter, sagt der Schulleiter. „Es ist schön, wenn die Schüler in Ruhe ankommen.“ Viele könnten sich dann noch mit ihren Freunden unterhalten.

Trotz des späteren Starts in den Schultag bekomme er die 30 und später 34 Wochenstunden in der Unter- und Mittelstufe gut unter, sagt Müller. Der Unterricht findet jeweils in Doppelstunden bis 14.45 Uhr statt, mittags haben die Schüler 50 Minuten Pause. Allerdings sind die zwei Pausen am HLG jeweils zehn Minuten kürzer als am benachbarten Gymnasium mit frühem Beginn. Der Schultag sei nur unwesentlich länger als an Gymnasien mit frühem Unterrichtsbeginn. Allerdings gelte auch am HLG: „In der 5. und 6. Stunde ist es für die Schüler anstrengend, sich noch zu konzentrieren.“ Egal, wann der Unterricht morgens beginnt.

Entspannter für Eltern, Kinder und Lehrer

Eine, die immer wieder spät in den Schultag starten würde, ist Müllers Kollegin Christiane von Schachtmeyer. Als ehemalige Leiterin des Gymnasiums Marienthal hatte sie 2015 nach einem Beschluss der Schulkonferenz einen späteren Unterrichtsbeginn um 8.30 Uhr eingeführt. Die Bilanz: „Ein späterer Schulbeginn ist entspannender für alle Beteiligten. Die Eltern haben weniger Stress und auch die Lehrer, die ja selbst häufig Kinder haben.“

Beide Schulleiter betonen, dass eine solche Entscheidung nie ohne Eltern, Lehrer und Schüler getroffen werden könne, sondern von der Schulkonferenz, die aus Eltern, Lehrern und Schulleitung besteht.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) ist gegen den Grünen-Vorstoß. „Ich bin seit sieben Jahren im Amt, und es ist das dritte Mal, dass diese Diskussion über mich kommt“, sagt er. „In dem Moment, wo es alle richtig durchgerechnet hatten, waren die Debatten beendet.“ Schule sei schon für Kinder ab sechs Jahren da, die noch keinen veränderten Biorhythmus hätten wie Jugendliche. „Aus Sicht aller Schüler ist 8 Uhr ein vernünftiger Kompromiss.“ Rabe verweist auch darauf, dass etwa im Handwerk oder in der Indus­trie tätige Eltern schon um 7 Uhr oder 8 Uhr mit der Arbeit beginnen müssten. Und: „Wir müssten erstmals regelhaft­ an den Schulen in den Nach­mittagsbetrieb gehen“, sagt er. Der Normalbetrieb an Gymnasien sehe Unterricht an zwei Nachmittagen vor – bei einem Start um 9 Uhr könnten es drei bis vier Nachmittage werden. An den Grundschulen wäre ein Nachmittagsunterricht an zwei bis drei Tagen die Folge.

Kinder berufstätiger Eltern könnten im Nachteil sein

Barbara Duden von der SPD-Fraktion sagt: „Die Lebensrealität vieler Hamburger Familien würde dazu führen, dass die Schüler aufgrund des Arbeitsbeginns ihrer Eltern trotzdem früh zur Schule kommen und dann länger warten müssten. Betroffen wäre dann auch die Ganztagsorganisation.“

Gegen den Grünenvorstoß ist auch Birgit Stoever von der CDU. Auch sie verweist auf Eltern, die ab 7 oder 8 Uhr arbeiten müssen. Und: „Ich glaube nicht, dass es Schülern schadet, um 8 Uhr im Unterricht zu sein.“ Ähnlich wie Barbara Duden von der SPD argumentiert Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus: Bei einem späteren Unterrichtsbeginn seien „Kinder berufstätiger Eltern klar im Nachteil, weil sie so oder so früh aufstehen müssen“. Außerdem verschiebe sich die Unterrichtszeit dann noch mehr in den Nachmittag, dadurch verkürze sich die Freizeit für die Schüler.

Elternkammer noch gar nicht damit befasst

Die Fraktionschefin der FDP, Anna von Treuenfels-Frowein, sagt, eine Diskussion über einen späteren Unterrichtsbeginn sei „grundsätzlich angemessen“ angesichts der Erkenntnisse aus der Schlaf- und Bildungsforschung. „Eine bevormundende Politik, wie sie nun von den Grünen angestoßen wurde, halten wir aber nicht für sinnvoll.“

Prof. Ulrich Reinhardt von der Stiftung für Zukunftsfragen ist für einen späteren Unterrichtsbeginn. In Feldversuchen habe sich dafür eine hohe Akzeptanz gezeigt, sagt er. Die Elternkammer Hamburg hat sich noch nicht mit dem Thema befasst. Deren Vorsitzende Antje Müller sieht aber als mögliche Folge große organisatorische Herausforderungen für Schulen und Familien. Sie sei eher für Maßnahmen, die weniger in die Schulorganisation eingriffen, aber die Müdigkeit der Schüler berücksichtigten, sagt Müller. „Zum Beispiel könnte man festlegen, vor 10 Uhr keine Klausuren zu schreiben.“