Hamburg. Vor 20 Jahren wurde der Energiemarkt liberalisiert. Doch der Kunde zahlt mehr als je zuvor – und tappt oft in teure Wechselfallen.
Seit genau 20 Jahren gibt es in Deutschland einen liberalisierten Energiemarkt. Damals, im April 1998, wurden die Energieversorgermonopole abgeschafft. Zwei Jahrzehnte später ist der Wettbewerb – gemessen an der Zahl der Anbieter – zwar groß, aber die Verbraucher zahlen mehr als je zuvor. Noch immer wechseln zu wenige, und gleichzeitig ist der Preis pro Kilowattstunde Strom um 70 Prozent auf im Schnitt 29,16 Cent gestiegen. Hauptgrund für den starken Anstieg ist die Entwicklung von Steuern und Umlagen, die private Verbraucher zusätzlich zum eigentlichen Strompreis zahlen müssen. Allein die Förderung der erneuerbaren Energien kostete einen Durchschnittshaushalt mit einem Verbrauch von jährlich 4000 Kilowattstunden seit dem Jahr 2000 insgesamt 2200 Euro, ermittelte das Internetvergleichsportal Verivox.
So können Hamburger Hunderte Euro Stromkosten sparen
Und der Wechsel eines Energieanbieters führt immer noch häufig zu Ärger. Drastische Preiserhöhungen kurz nach dem Wechsel oder Boni, die nicht ausgezahlt werden – und auch Probleme mit der Abrechnung verärgern mehr als jeden zweiten Hamburger (56 Prozent), wie aus einer Umfrage der Verbraucherzentrale Hamburg und der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz hervorgeht. Dennoch kann sich der Wechsel lohnen: Unter Einberechnung der hohen Bonuszahlungen lassen sich 300 bis 400 Euro im ersten Jahr sparen. Immerhin noch bis zu 200 Euro sind es, wenn man Tarife ohne Bonuszahlungen wählt. Wer einen neuen Anbieter sucht, sollte allerdings die Tricks der Energieanbieter kennen. Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen im Tarifdschungel.
Wann kann ich meinen gültigen
Stromvertrag kündigen?
Das ist abhängig von der Art des Vertrags. Wer noch oder wieder in der Grundversorgung seines örtlichen Energieanbieters wie etwa Vattenfall ist, kann den Vertrag jederzeit mit einer Frist von zwei Wochen kündigen. „Bei einem anderen Vertrag ist man an die dort festgelegte Laufzeit gebunden, meist sind das zwölf Monate“, sagt Michael Knobloch, Energieexperte und Vorstand der Verbraucherzentrale Hamburg. Üblich ist dann eine Kündigungsfrist von maximal sechs Wochen. „Wenn der Stromanbieter jedoch seine Preise oder die Vertragsbedingungen ändert, gibt es ein Sonderkündigungsrecht“, sagt Knobloch.
Ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kann der Vertrag dann zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen gekündigt werden. Man muss sich jedoch schnell einen neuen Stromanbieter suchen. Gelingt das nicht, springt automatisch der örtliche Energieversorger ein. Eine Unterbrechung der Stromversorgung ist somit ausgeschlossen. Bei einem normalen Wechsel (also nicht als Reaktion auf eine Preiserhöhung) sollte man die Kündigung dem neuen Anbieter überlassen, das raten zumindest die Hamburger Verbraucherschützer.
Wie viele Kunden sind
noch in der teuren Grundversorgung?
„Ein Drittel der Kunden ist nach Zahlen der Bundesnetzagentur noch immer in der teuren Grundversorgung des örtlichen Energieversorgers“, sagt Annika Kruse vom Vergleichsportal Verivox. Offenbar denken noch immer viele Verbraucher, der Wechsel des Stromanbieters sei aufwendig und risikoreich. Das ist zwar nicht der Fall, dennoch lauern bei den Boni und der Laufzeit Risiken.
Wie lange sollte ich mich
an einen neuen Anbieter binden?
Die neuen Verträge laufen in der Regel zwölf Monate und verlängern sich auch um diesen Zeitraum, wenn sie nicht rechtzeitig gekündigt werden. Das kann zum Nachteil werden, wenn die Preise im zweiten Jahr deutlich steigen, was häufig der Fall ist. Für den Preisvergleich in der obigen Grafik hat das Abendblatt nur Tarife ausgewählt, die sich im zweiten Jahr um lediglich einen Monat verlängern. Die Kündigungsfrist liegt bei maximal vier Wochen. So kommt man leichter aus den Verträgen heraus. Allerdings ist in den Internet-Vergleichsportalen wie Verivox oder Check24 eine Kündigungsfrist von bis zu zwölf Monaten oft voreingestellt. Das lässt sich aber manuell ändern.
Warum bekommt man von
einer Preiserhöhung oft nichts mit?
Die Energieversorger verstecken die schlechte Botschaft nicht selten in vermeintlichen Werbeschreiben. Oft kommt der Verweis auf die Preiserhöhung erst am Ende eines langen Textes. „Kunden begreifen die Tarifänderungen meistens erst dann, wenn die höhere Rechnung im Briefkasten liegt“, sagt Beate Schön, Rechtsexpertin beim Verbraucherportal Finanztip. Dann ist es aber für eine Sonderkündigung zu spät, und die höheren Preise gelten dann bereits – meist für zwölf Monate oder noch länger. Dabei ist klar vorgeschrieben, wie Energieversorger Preiserhöhungen ankündigen müssen: transparent und verständlich.
Wie sind Pakettarife und
Tarife gegen Vorkasse zu bewerten?
Vor solchen Tarifen wird von Verbraucherschützern gewarnt. Bei einem Pakettarif kauft man eine bestimmte Menge Strom. Sollte der Kunde weniger verbrauchen, verschenkt er Geld. Benötigt er mehr Energie, muss er teuer nachkaufen. „Beide Tarifarten spielen aber kaum noch eine Rolle, im Moment läuft alles über den Bonus“, sagt Kruse. In Hamburg gibt es insgesamt 500 verschiedene Tarife. Davon sind nur vier Pakettarife. Tarife gegen Vorkasse werden überhaupt nicht mehr angeboten.
Warum habe ich meist nur im ersten
Jahr einen niedrigen Strompreis?
Das liegt häufig an den Bonuszahlungen, die den Preis im ersten Jahr um einige Hundert Euro drücken. Denn ohne diese Bonuszahlungen haben die Anbieter wenig Spielraum, sich preislich von den Wettbewerben abzusetzen. Zu mehr als zwei Dritteln setzt sich der Strompreis aus Steuern und Abgaben sowie den Gebühren der Stromnetzbetreiber zusammen. Die Kosten für Erzeugung und Vertrieb von Strom machen nur rund 19 Prozent aus (siehe Grafik). Meist kalkulieren die Anbieter im ersten Jahr mit negativen Margen, verdienen also kein Geld. Das kann sich aus ihrer Sicht nur auszahlen, wenn der Kunde in den Folgejahren deutlich höhere Preise bezahlt. „Je höher der Bonus, desto skeptischer sollte man gegenüber dem Anbieter sein“, sagt Knobloch.
Kann ich sicher sein, die Boni
auch wirklich zu bekommen?
Relativ sicher ist der Sofortkundenbonus. „Er wird bei rund 90 Prozent der Unternehmen zwei Monate nach Belieferungsbeginn ausgezahlt“, sagt Jan Rabe, Gründer und Chef des Internetportals Wechselpilot, das den alljährlichen Wechsel des Anbieters für den Kunden übernimmt. Dafür kassieren die Hamburger 20 Prozent der tatsächlich erzielten Einsparung. Der Neukundenbonus wird erst nach zwölf Monaten ausgezahlt. „Mitunter werden Kunden, wenn sie gekündigt haben, einen Tag vorzeitig aus dem Vertrag entlassen“, sagt Rabe. So wollen sich Anbieter die Bonuszahlungen sparen. Man müsse genau zum Stichtag kündigen, rät Rabe. Manche Unternehmen zahlen den Bonus auch nur, wenn man sie daran erinnert. „Deshalb vermitteln wir nie an den günstigsten Anbieter, es sei denn, der Kunde wünscht das ausdrücklich“, sagt Rabe.
Wie kann ich herausfinden,
ob ein Energieanbieter seriös ist?
Einen schnellen Überblick liefert das Beschwerdeportal Reclabox. Unter den zehn Firmen mit den meisten Beschwerden tauchen dort gleich fünf Energieanbieter auf.
Gibt es auch günstige Angebote,
wenn keine Boni gewährt werden?
„Als faire Arbeits- und Grundpreise in Hamburg sehen wir einen Grundpreis an, der weniger als 100 Euro im Jahr beträgt und einen Kilowattstundenpreis, der 25,5 Cent nicht übersteigt“, sagt Rabe von Wechselpilot. Diese Kriterien erfüllen viele Anbieter in den beiden Tabellen. Bleibt nur die Frage, wie lange sie so günstig bleiben.