Hamburg. Mit der „Umweltgerechtigkeit“ ist es in Hamburg nicht weit her. Wissenschaftler machen konkrete Vorschläge für Verbesserungen.
Sie haben viel befahrene Straßen oft direkt vor ihrer Haustür: Menschen mit geringerem Einkommen und junge Leute sind in Hamburg deutlich häufiger von belastendem Verkehrslärm betroffen als Ältere und Wohlhabendere.
Das ist das Ergebnis einer neuen Studie von Uni Hamburg, UKE und TU Hamburg. Unter der Leitung des Geografie-Doktoranden Malte von Szombathely haben die Forscher das Thema „Umweltgerechtigkeit“ am Beispiel der Lärmbelastung in Hamburger Vierteln untersucht. Bei der Umweltgerechtigkeit geht es um die Frage, ob Menschen mit „niedrigem sozioökonomischen Status“, also weniger Gehalt und geringeren Ausbildungsabschlüssen, mehr Umweltbelastungen ausgesetzt sind als andere. Die Wissenschaftler untersuchten auch, woran dies liegt, welche Folgen es hat und was sich dagegen unternehmen lässt.
„Der mit Abstand größte Teil der empfundenen Lärmbelastung geht in Hamburg auf den Straßenverkehr zurück – auch in Wohngebieten in Hafen- oder Flughafennähe ist die Belastung durch den Straßenverkehr insgesamt größer“, sagte Studienleiter von Szombathely.
Lärmdaten und Befragung kombiniert
Für ihre gerade publizierte Studie haben die Forscher vorhandene Daten etwa aus der Hamburger Lärmkartierung herangezogen. Zusätzlich wurden Tausende von Fragebogen verteilt, in denen nach Alter, Geschlecht, Einkommen und Ausbildung gefragt wurde.
Bei der Auswertung zeigte sich ein klarer Zusammenhang zwischen Alter und Einkommen einerseits und Lärmbelastung andererseits. In einigen Wohngebieten, wie der Holländischen Reihe in Ottensen, ließ sich auch exemplarisch für die ganze Stadt zeigen, dass in hinteren, ruhigeren Lagen eher Menschen mit höherem Einkommen wohnen – während direkt an der Straße eher Geringverdiener leben. So fungieren die Einkommensschwächeren indirekt als Lärmschutzriegel für betuchtere Bürger.
Die Studie zeige, dass die gültigen Lärmgrenzwerte nicht ausreichten, um Belastungen für alle zu verhindern, so von Szombathely. Für mehr Umweltgerechtigkeit sei die Einführung von Tempo 30 auf allen Straßen sinnvoll, da dies den Lärm spürbar verringere.
Wer arm ist, wohnt näher an Mülldeponien
Untersuchungen aus aller Welt hatten bereits seit vielen Jahren immer wieder gezeigt: Wer wenig Einkommen bezieht, ist oft höheren Umweltbelastungen ausgesetzt und wird dadurch häufiger krank. So leben in den USA in der Nähe von Ölraffinerien und Deponien häufiger Schwarze mit geringerem Einkommen – und in durch Giftmüll-Deponien belasteten Gebieten wurden bei zumeist ärmeren Anwohnern höhere Krebsraten festgestellt als bei den in besseren Vierteln wohnenden Wohlhabenderen der Region.
Die Ergebnisse der Wissenschaftler von Uni, UKE und TU zeigen, dass es auch in Hamnurg keine „Umweltgerechtigkeit“ gibt – jedenfalls nicht bei der Lärmbelastung. Die Ergebnisse passen zur weltweiten Lage: Wer ärmer ist, muss auch in Hamburg mehr Lärm ertragen. Auch jüngere Menschen sind stärker betroffen, was mit ihrem meist geringeren Einkommen zusammenhängen dürfte.
Eine Ausnahme bildet laut der vom Geografie-Doktoranden Malte von Szombathely geleiteten Studie die Gruppe mit der höchsten Lärmbelastung (durchschnittlich 65–70 Dezibel während des Tages). Hier finden sich auch viele Menschen mit einem höheren Einkommen. Das liege vermutlich daran, dass bestimmte Innenstadtlagen begehrt und teuer, aber zugleich mit hoher Lärmbelastung verbunden seien.
Die Forscher haben in ihrer Untersuchung auch verglichen, wie die subjektive Lärmbelastung zu der objektiv gemessenen passt. Dabei stellte sich heraus, dass die empfundene Belastung in der Regel der tatsächlichen entspricht, mithin: Nur wenige Menschen bilden sich eine hohe Belastung nur ein oder sind einfach überempfindlich. Allerdings zeigt sich an den Daten auch, dass ältere Hamburger im Durchschnitt weniger lärmempfindlich sind – was nur zum Teil mit dem im Alter nachlassenden Gehör, aber stärker mit einer Art inneren Anpassung an die Belastung zusammenhänge. Die subjektive Lärmbelastung ist allerdings der wesentliche Faktor. Denn ob jemand durch Lärm krank wird, hängt vor allem davon ab, wie sehr ihn dieser unter Stress setzt. Auf die Dauer kann eine hohe Lärmbelastung zu Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder zu Asthma (vor allem auch bei Kindern) führen.
Straßenverkehr ist die größte Belastung
Die Forscher haben in ihrer Studie (im Netz unter http://www.mdpi.com/2413-8851/2/1/20) klargestellt, dass der Straßenverkehr eine der größten Umweltbelastungen für die Menschen in Hamburg ist. Um die Bürger unabhängig von ihrem Einkommen davor zu schützen und so auch für mehr Umweltgerechtigkeit zu sorgen, schlägt von Szombathely Maßnahmen vor, die nicht allen gefallen dürften: höhere Lärmgrenzwerte für den Wohnungsbau, Tempo 30 auf allen Straßen, eine City-Maut, höhere Parkplatzgebühren im Innenstadtbereich, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und der Fahrradinfrastruktur.
Dabei will die Studie auch eine Debatte über die Umweltgerechtigkeit anregen. Dass die nötig ist, hat auch das Umweltbundesamt festgestellt. „Gesundheitliche Belastungen als Folge von Umweltproblemen sind in Deutschland ungleich verteilt“, so das Bundesamt. Ziel müsse es sein, Maßnahmen zu finden und umzusetzen, „die gesunde Umwelt- und Lebensverhältnisse für alle Menschen schaffen“.