Hamburg . Künftig soll vor 80 Prozent aller Schulen, Kitas, Seniorenheime und Kliniken langsam gefahren werden.

In den kommenden Monaten wird auf Hamburgs Straßen eine Vielzahl neuer Tempo-30-Abschnitte ausgewiesen. Vor rund 160 Schulen, Kitas, Senioren- und Pflegeheimen sowie Kliniken sollen diese für einen besseren Schutz von Kindern, Älteren, Kranken und Angehörigen sorgen. Das geht aus Plänen von Polizei und Innenbehörde hervor, die dem Abendblatt vorliegen. Anlass der massiven Ausweitung der Tempolimits ist eine Veränderung der Straßenverkehrsordnung und einer dazugehörigen Verwaltungsvorschrift, die bereits seit März 2017 in Kraft ist.

Demnach ist die Geschwindigkeit künftig vor Kitas, Schulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern „in der Regel auf Tempo 30 zu beschränken“ – jedenfalls wenn diese „über einen direkten Zugang zur Straße verfügen oder im Nahbereich der Einrichtungen starker Ziel- und Quellverkehr ... vorhanden ist“.

Kriterien für die Tempolimits sind festgelegt

Nachdem bereits mehr als ein Jahr seit der Gesetzesreform vergangen ist, haben Polizei und Innenbehörde nun festgelegt, nach welchen Kriterien Tempolimits eingeführt werden soll. Demnach soll dort auf Tempo 30 verzichtet werden, wo Schulen, Kitas oder Kliniken an Straßen mit vier oder mehr Spuren liegen – oder an Straßen, auf denen in den Hauptverkehrszeiten (7 bis 8 Uhr) Busse mit einer Taktfrequenz von sechs oder mehr Fahrten pro Stunde verkehren. Auf allen anderen Strecken, an denen eine der genannten Einrichtungen liegt und bisher kein Tempo 30 gilt, soll dieses zeitnah angeordnet werden. Betroffen sind unter anderem Abschnitte am Eppendorfer Weg und an der Jüthornstraße in Marienthal.

„Im Endeffekt geht es darum, eine vernünftige abgewogene Regelung zu finden, die einerseits die Verkehrssicherheit vor den Einrichtungen berücksichtigt und andererseits den Verkehrsfluss nicht beeinträchtigt“, so die Innenbehörde. Dabei kann es in Einzelfällen sein, dass die Polizei von den Kriterien abweicht, da sie jeden Fall einzeln prüfen muss. Bis Jahreswechsel 2019/20 sollen alle neuen Tempo-30-Abschnitte eingerichtet sein, sodass dann vor 80 Prozent aller Schulen, Kitas, Seniorenheime und Kliniken ein solches Tempolimit gilt. Die Polizei rechnet mit sieben oder acht neuen Tempo-30-Strecken pro Monat. Diese sollen in der Regel 300 Meter lang sein. Bei nah nebeneinander liegenden Einrichtungen kann es aber auch sein, dass man die Strecke des Tempolimits zusammenfasst und auch in den Abschnitten dazwischen die Geschwindigkeitsbegrenzung beibehält.

Nach den Plänen der Innenbehörde soll dabei die „Funktionsfähigkeit des großstädtischen Verkehrsnetzes angemessen berücksichtigt“ werden. Sprich: Die Vorschriften sollen nicht dazu führen, dass Hauptstraßen beeinträchtigt werden – und der Verkehr dadurch womöglich auf Nebenstrecken verdrängt wird. Dabei kann es in Einzelfällen allerdings laut Behörde zu Abweichungen von den Kriterien kommen. Die Polizei ist nämlich verpflichtet, jeden Fall einzeln zu prüfen und zu bewerten. „Die im Rahmen der jeweiligen Prüfung erforderliche Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des konkreten Einzelfalls kann dazu führen, dass von der generalisierenden Bewertung abweichende Entscheidungen zu treffen sind“, schreibt die Innenbehörde.

Denkbar ist etwa, dass dort kein Tempo-30 eingeführt wird, wo eine Einrichtung gar keinen Eingang zu der betreffenden Straßenseite hat. Eine genaue Liste der betroffenen Straßen hat die Polizei noch nicht ausgearbeitet, insgesamt aber sollen circa 160 Strecken betroffen sein. Im Ergebnis werde der Anteil der genannten Einrichtungen, vor denen Tempo 30 gilt, von derzeit 70 auf dann 80 Prozent steigen, so die Innenbehörde.

Als Beispiele für Einrichtungen, vor denen Tempo 30 eingeführt werden soll, nennt die Innenbehörde die Kita Cornelius an der Alten Marsch in Harburg, die Kinderkrippe 100 Blumen am Eppendorfer Weg, das Pflegedomizil zum Husaren an der Jüthornstraße, die Ida Ehre-Schule am Lehmweg und die Stadtteilklinik Hamburg an der Oskar-Schlemmer-Straße. Grundsätzlich sollen zunächst Tempolimits vor Schulen eingeführt werden, danach vor Kitas, Senioren- und Pflegeheimen und schließlich vor Krankenhäusern.

Klagen sind nicht ausgeschlossen

Manchem Autofahrer könnten die Tempolimits zu weit gehen. Denkbar ist aber auch Kritik daran, dass es vor 20 Prozent der Schulen, Kitas, Seniorenheime und Kliniken kein Tempo 30 geben soll – weil der Senat hier dem Verkehrsfluss Vorrang gibt. Es ist nicht auszuschließen, dass es Klagen gegen solche Entscheidungen gibt. Denn die Reform der Straßenverkehrsordnung hat das Prinzip ja bewusst umgekehrt: Während früher die Einrichtung von Tempo-30-Abschnitten etwa mit einer hohen Zahl von Unfällen extra begründet werden musste, ist es jetzt umgekehrt.

Nun muss die Straßenverkehrsbehörde erklären, warum sie Tempo 30 hier nicht zur Höchstgeschwindigkeit macht. Vor allem bei den Grünen hatten manche gehofft, durch die neuen Bestimmungen ein Ziel zu erreichen, das sie anders nicht durchsetzen könnten: Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit – mit einigen Ausnahmestrecken, auf denen man schneller fahren kann.

Tempolimit vor weiteren 106 Kitas

Insgesamt gibt es in Hamburg laut Innenbehörden-Liste 1131 zu betrachtende Kitas und Tagespflegestellen, 508 allgemeinbildende Schulen, 39 Tagespflegeeinrichtungen, 150 vollstationäre Pflegeheime und 37 Krankenhäuser. Vor Schulen gilt bereits zu 92 Prozent Tempo 30. Künftig soll dies vor zehn weiteren Schulen eingeführt werden. Vor Kitas gilt nur vor etwa zwei Drittel der Einrichtungen Tempo 30, künftig soll dies vor 106 weiteren Kitas eingeführt werden — ebenso wie vor sieben Kliniken und 18 Pflegeheimen.