Hamburg. Sind sie die Hauptursache von Unfällen? Hamburgs Geisterradler landen oft vor Gericht. Und bisweilen geht ihr Verhalten tödlich aus.
Sie fahren auf der falschen Straßenseite, links statt rechts – und sorgen damit für viele Unfälle: Im Rahmen eines Aktionstages warnt die Polizei vor sogenannten Geister-Radfahrern, die etwa leicht von abbiegenden Autofahrern übersehen werden können. „Der Verkehr in Hamburg verdichtet sich, und das Unfallrisiko steigt“, sagte Ulf Schröder, Leiter der Verkehrsdirektion, dem Abendblatt.
Die Polizei zählt falsch fahrende Radfahrer inzwischen zu den Hauptursachen von Unfällen. Nach Daten aus dem Jahr 2016 war an knapp jeder zehnten der 1628 Kollisionen von Autos und Fahrrädern mit Verletzten ein plötzlich entgegenkommender Radler beteiligt. Bei Zusammenstößen von zwei Fahrrädern, bei denen Menschen zu Schaden kamen, sogar in mehr als jedem dritten Fall. Am heutigen Aktionstag soll unter anderem mit einem Parcour vor dem Audimax am Von-Melle-Park sensibilisiert werden.
Fahrrad-Lobby: Verkehrsteilnehmer gegeneinander ausgespielt
Der Autoclub ADAC begrüßt die Maßnahme. „Es handelt sich um ein hochgefährliches Verhalten“, sagte Sprecher Hans Pieper. Mitglieder berichteten von Fällen, in denen auch bei einer eigens eingezeichneten Radfahrbahn auf der Straße noch einzelne Radfahrer in falscher Richtung unterwegs sind. „Wir müssen zu einem angemessenen Umgang aller Verkehrsteilnehmer kommen“, sagte Pieper.
Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) kritisiert, dass mit einseitigen Warnaktionen vor Geister-Radfahrern „die Verkehrsteilnehmer gegeneinander ausgespielt“ würden. Zwar gebe es Radfahrer, die gedankenlos eine solche Ordnungswidrigkeit begingen, wichtiger sei es jedoch, die Unfallursachen im Straßenverkehr zu bekämpfen, die zu vielen schwer wiegenderen Unfällen mit Verletzten und Toten führten, wie etwa Fehler beim Abbiegen oder zu hohe Geschwindigkeiten. „Eine hohe Zahl von Falschfahrern ist meist vor allem ein Zeichen für schlechte Infrastruktur“, so ADFC-Sprecher Dirk Lau.
Laut einer ADAC-Studie sind auch Radfahrer selbst über das Verhalten anderer Radfahrer in Hamburg sehr unzufrieden. Eine Sprecherin der Verkehrsbehörde forderte zu „verantwortlichem Verhalten“ auf.
Laut Ulf Schröder von der Verkehrsdirektion ist die falsche Fahrbahnbenutzung, worunter das Geisterradeln fällt, bei den Verkehrsunfällen mit Verletzten und Radfahrbeteiligung „die Hauptunfallursache Nummer eins“, noch vor Rotlichtverstößen. 143 solcher Fälle wurden im vergangenen Jahr registriert. Schon deshalb stehe man „voll und ganz“ dahinter, dass dieses Thema vom Forum Verkehrssicherheit als Schwerpunkt für eine aktuelle Präventionskampagne ausgewählt wurde. „Dass die Aktion jetzt zum Beginn der Fahrradsaison startet, liegt auf der Hand“, sagt Schröder.
Schwerster Unfall durch Geisterradler
Das Problem ist dabei nicht neu. Bereits 2004 hatte der Fahrradfahrerverband ADFC die Verkehrssicherheitskampagne „Geisterradeln kann tödlich sein“ gestartet. Im Jahr darauf ereignete sich der wohl folgenschwerste Unfall durch Geisterradeln auf der Hamburger Straße. Dort hatte ein 61 Jahre alter Radfahrer eine ihm entgegenkommende 55 Jahre alte Radfahrerin touchiert, die auf der falschen Seite gefahren war. Die Radfahrerin kam ins Schlingern und stürzte auf die Fahrbahn. Dort wurde sie von einem Lastwagen überrollt. Sie war sofort tot.
Schon damals hatte die Polizei festgestellt, dass die Benutzung des falschen Radweges der „häufigste Verstoß durch Radfahrer“ sei und es dadurch „täglich im gesamten Stadtgebiet“ zu Gefahrensituationen komme. Auch heute bewegen sich die Zahlen der Unfälle mit Radfahrerbeteiligung in Hamburg auf einem hohen Niveau, wenn auch zuletzt leicht sinkend. Seit 2011 lag die Zahl dieser Unfälle immer über 3000. Dass sich der Verkehr bei steigenden Einwohnerzahlen immer weiter verdichtet, bedeutet für Ulf Schröder, „dass wir am Ball bleiben müssen“.
Im Rahmen einer ADAC-Studie zeigte sich auch gut ein Drittel aller Radfahrer „unzufrieden“ oder „völlig unzufrieden“ mit dem Verhalten ihrer Verkehrsgenossen auf zwei Rädern. Nur in Berlin gab es noch schlechtere Ergebnisse. „Das Fahren in falscher Richtung ist dabei definitiv ein Faktor“, so Pieper.
Versicherungsfrage landet oft vor Gericht
Generell deckt die Haftpflichtversicherung zwar Schäden, die man als Radfahrer anrichtet. Die Versicherungsfrage bei einem Unfall durch Geister-Radfahrer wird oft vor Gericht geklärt. Denn in dem Fall hat der Radfahrer gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen, das für ihn genauso wie für Autofahrer gilt. Kommt es zum Unfall, kann das dazu führen, dass die Haftung juristisch anders verteilt wird.
Der Fahrradfahrerverband ADFC wehrt sich dagegen, dass das Falschfahren dramatisiert wird. „Es ist eine Ordnungswidrigkeit, die aus Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit, aber oft auch aus der konkreten straßenbaulichen Situation vor Ort heraus entsteht“, so ADFC-Sprecher Dirk Lau. Wenn ein Radfahrer vor dem Abbiegen mehrere Ampelphasen abwarten müsse, liege es nahe, dass er abkürze und ein Stück auf der falschen Seite fahre.
Dass viele Radfahrer in Hamburg auf der falschen Seite führen, deute auch daraufhin, dass die Infrastruktur in der Hansestadt noch nicht gut genug sei. „In sehr fahrradfreundlichen Städten wie Amsterdam und Kopenhagen ist das Fahren auf der falschen Straßenseite entsprechend auch kein Problem in dieser Form“, so Lau. Hier liege es an der Politik, die Situation zu verbessern. „Gegenseitige Rücksichtnahme und Vorsicht sollten im Straßenverkehr natürlich selbstverständlich sein.“
Behörde verlangt angemessenes Verhalten
Die Verkehrsbehörde betont, dass sich die Bedingungen für Radfahrer bereits verbessert hätten. „Es wird intensiv an weiteren Maßnahmen gearbeitet, um den Radverkehr in Hamburg zu fördern. Dies ist aber keine Einbahnstraße“, sagte die Behördensprecherin Susanne Meinecke. „Radfahrer sollten sich im Alltag respektvoll und verantwortlich verhalten.“
Die Polizei hat für den heutigen Aktionstag unter anderem einen Parcours auf dem Uni-Campus aufgebaut, um möglichst viele Radfahrer zu erreichen. „Wir wollen sie daran erinnern, dass sie sich an die Regeln halten müssen“, sagt Ulf Schröder. Dafür wird auch die Fahrradstaffel sorgen, die seit März wieder auf zehn Beamte verdoppelt wurde. Sie wird täglich unterwegs sein und nicht nur präventiv, sondern zudem kontrollierend tätig sein. „Auch das muss sein“, sagt Schröder. „Wie bei den Autofahrern gibt es Radfahrer, die es anders nicht begreifen.“