Hamburg. Modekette Zara testet in der Mönckebergstraße Augmented Reality. Ikea, Lego und H&M setzen ebenfalls auf Apps – auch zur Anprobe.

Erst mal ist der Anblick ungewohnt. Bei der Modekette Zara ist seit Donnerstag eines der großen Schaufenster zur Mönckebergstraße leer. Nein, es wird nicht umdekoriert! Die Fläche, auf der sonst die neuesten Fashion-Trends präsentiert werden, wird zur Projektionsfläche für eine erweiterte Realität. Wer sein Mobiltelefon mit einer speziellen App bestückt und es auf das Schaufenster richtet, sieht im Display plötzlich zwei Models, die Teile einer neuen Exklusiv-Kollektion zeigen.

Lässig bewegen sie sich in buntem Sommerkleid und Karo-Mini auf dem digitalen Laufsteg, posieren, drehen sich vor den Augen des Betrachters – und sehen dabei ziemlich echt aus. Wem die Looks gefallen, kann sie per Mausklick nach Hause bestellen. Im Laden gibt es sie nicht.

App bringt Augmented Reality ins Schaufenster

Shoppen in der dritten Dimension. Augmented Reality (AR) heißt die Technologie dahinter, quasi ein Tor in die virtuelle Welt. Analoge Bilder angereichert mit digitalen Informationen werden so zum Leben erweckt. Hamburg ist eine von fünf Zara-Filialen in Deutschland, in denen der spanische Mutterkonzern Inditex die neue Anwendung testet. Weltweit läuft die zweiwöchige Kampagne an 130 Standorten. Zara ist der erste Modehändler, der Augmented Reality großflächig einsetzt – und zwar ohne spezielle Brillen oder andere Zusatzgeräte.

Augmented Reality App des Zara Geschäftes in der Mönckebergstraße
Augmented Reality App des Zara Geschäftes in der Mönckebergstraße © HA / Mark Sandten | HA

Dass die Technologie besonders bei jungen Menschen immer wichtiger wird, hat das Smartphone-Spiel „Pokémon Go“ vor zwei Jahren gezeigt. Millionen Spieler waren mit ihren Telefonen auf der Jagd nach den niedlichen Fantasiewesen, auch in Hamburg. Das ist vorbei. Aber immer mehr Unternehmen sehen die erweiterte Darstellungsform als Chance. Ikea und jetzt auch der Internetkonzern Otto nutzen AR-Apps, um den Kunden virtuelle Stellproben für ihre Möbelangebote in den eigenen vier Wänden zu bieten.

Der Spielwarenhersteller Lego lässt mithilfe von AR die fertigen Modelle erscheinen. Autobauer setzen AR für die Modellkonfiguration ein. Der Luxuskonzern LVMH und die Textilketten Gap, Topshop, Uniqlo, Burberry und Tommy Hilfiger starteten Modellversuche.

Die Models können sogar sprechen!

Zara hat das Projekt gemeinsam mit dem Pariser Kreativdirektor Ezra Petronio konzipiert. Aufgenommen wurden die Hologramme in einem 170 Quadratmeter großen Set mit 68 Kameras in den Studios der auf AR spezialisierten Agentur Holooh mit Unterstützung der französischen Forschungseinrichtung Inria. In dem aufwendigen Dreh werden die Models Léa Julian und Fran Summers in insgesamt zwölf Sequenzen mit einer Länge von sieben bis zwölf Sekunden lebendig und können sogar sprechen.

Für die Nutzer der kostenlosen App Zara AR, die für Apple und Android ­verfügbar ist, werden die Animationen in den Test-Filialen in Schaufenstern, aber auch an bestimmten Punkten im Laden sowie über eine Kennzeichnung auf den Kartons von Onlinebestellungen sichtbar.

„Unsere Erfahrungen zeigen, wie Innovation, Inspiration und Technologie den konventionellen Handel neu erfinden können“, heißt es dazu bei Zara. Nähere Angaben machte das sehr verschwiegene Unternehmen nicht. Fakt ist, dass der weltgrößte Textilhändler Inditex mit einem Jahresumsatz von 23,31 Milliarden Euro (2016) massiv in neue Technologien und die Verzahnung von Läden und Online-Angebot investiert.

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit. Auch Konkurrent H&M will Meldungen zufolge weitere technische Verfahren einführen, um die Kundenbindung zu verbessern. Karstadt hat kürzlich in Düsseldorf einen „Experience Shop“ für das Einkaufen der Zukunft eröffnet. Dort gibt es ein digitales Schaufenster, wo Kunden rund um die Uhr per Touchscreen einkaufen können.

Kunden zeigen Interesse an der neuen Technologie

„Das Potenzial an neuen Möglichkeiten ist riesig“, sagt Brigitte Nolte, Geschäftsführerin des Handelsverbands Nord. Es sei eine Frage der Kosten, welche Händler sich die Entwicklungen leisten könnten. Letztlich, so die Handelsexpertin, „entscheiden die Kunden, welche Angebote angenommen werden“. Nach einer aktuellen Studie des Hamburger Marktforschungsinstituts Splendid Research wird die Erweiterung der Realität in Echtzeit immer wichtiger für den stationären Einzelhandel.

„Es herrscht unter den Kunden eine hohe Bereitschaft, Augmented Reality zu nutzen“, ergab die Befragung. 88,8 Prozent der Menschen, die AR schon genutzt haben, würden es wieder tun. Auch das Interesse bei denen, die noch nie damit in Berührung gekommen sind, ist mit knapp 50 Prozent hoch.

Virtuelle Anprobe

„Im Fashion-Bereich kann die Technologie vor allem für die virtuelle Anprobe interessant sein“, sagt Natalie Horn von der Beratungsfirma Tailorit in Düsseldorf. Aus ihrer Sicht werde AR eine breite Anwendung eher bei erklärungsbedürftigen Produkten finden. Noch optimistischer sieht Nikolai Bockholt, stellvertretender Leiter der Initiative Virtual und Augmented Reality im Bundesverband Digitale Wirtschaft, die Lage: „Da sich die Hardware in den Endgeräten wie Smartphones immer weiter verbessert, gehe ich davon aus, dass wir noch einige spannende Anwendungen sehen werden. AR ist weit mehr als nur kurzfristiger Hype.“

In der Hamburger Zara-Filiale beamten sich am ersten Tag zahlreiche neugierige Kunden auf den digitalen Laufsteg. Auch an anderen Standorten sei die Resonanz positiv, hieß es.