Hamburg. Fressen oder gefressen werden: Frank Grupes plattdeutsche Fassung des berühmten Stoffes überzeugt im Ohnsorg-Theater.
Holz, überall Holzplanken. Die schimmern schon unter dem Vorhang durch, bevor sich dieser teilt. Nach einem – etwas zu langen – Prolog auf Hochdeutsch geht es im Ohnsorg-Theater auf große Fahrt. Vom Hafen in San Francisco aus nimmt einen „De Seewulf“ mit auf eine Reise, die eigentlich nicht fürs Theater bestimmt ist und doch bühnentauglich gemacht werden kann.
Den Beweis liefern Ohnsorg-Oberspielleiter Frank Grupe und sein Ensemble mit einem Stück Weltliteratur, das sich gewaschen hat. In Grupes Regie und Bühnenfassung feierte „De Seewulf“ am Sonntagabend plattdeutsche Erstaufführung. Sie fußt auf Jack Londons Roman „Der Seewolf“ aus dem Jahr 1904, der als ZDF-Vierteiler mit dem gebürtigen Hamburger Raimund Harmstorf in den frühen 1970er-Jahren ein Stück deutscher Fernsehgeschichte geprägt hat.
Atmosphärisch dicht
Grupes Inszenierung ist atmosphärisch dicht und überzeugt dank der stimmig besetzten achtköpfigen Schauspielerriege, des Bühnenbildes und der Kostüme von Siegfried E. Mayer sowie viel Technik als eine Art Gesamtkunstwerk. Es wurde vom Premierenpublikum mit minutenlangem Applaus bedacht. Im Ohnsorg wird mit allen theatralen Mitteln gearbeitet: Die „Ghost“, jener Robbenschoner, auf dem der tyrannische Kapitän Wolf Larsen alias „De Seewulf“ herrscht, übersteht dank Drehbühne fast jeden Sturm. Dahinter bilden eine Rundbühne und Videoprojektionen den Wechsel von Wetter, See sowie Tag und Nacht ab.
Und es hat etwas Symbolhaftes, wenn Kapitän Larsen unter blauer Wollmütze und in brauner Lederjacke oben auf dem Schiff steht, seiner Mannschaft (und dem Publikum) den Rücken zukehrt, sie keines Blickes würdigt, die Crew aus Gescheiterten und Verängstigten aber spurt, sobald er losbrüllt. Wenn nicht, wird’s ungemütlich, auch brutal. Ulrich Bähnk, körperlich wahrlich kein Riese, spielt den einsamen und gefühlskalten Seewolf mit einer Präsenz, bei der ein böser Blick reicht, um Furcht einzuflößen. Es sind eben die kleinen Gesten, die einen großen Schauspieler kennzeichnen.
Das Gesetz vom „Fressen oder gefressen werden“ – auf Plattdeutsch hießt es hier „De Grooten freet de Lütten, de Starken freet de Swacken“ – bringt Bähnk rüber. Es braucht gar nicht die aus dem ZDF-Film bekannte Szene, in der Larsen eine rohe Kartoffel zerquetscht, um Stärke zu demonstrieren. Er spielt sie natürlich trotzdem. Mit dem Schiffbrüchigen van Weyden treibt Larsen erst ein Spiel wie mit der Crew, kommandiert ihn in die Küche ab, ehe er Interesse an dem Mann aus gutem Hause findet.
Markus Frank gewinnt als um sein Geld und seine Freiheit beraubter Schöngeist van Weyden mehr und mehr Statur – nicht allein, weil ihn Larsen (Motto: „Macht ist Recht!“) zum Steuermann befördert. Der sich hochschaukelnde Konflikt der beiden Antipoden ist der Kern der Geschichte, die Regisseur Grupe bei aller maritimen Atmosphäre stets im Visier behält. Larsens und van Weydens Auseinandersetzungen und Dialoge op Platt – obwohl nicht immer ganz leicht zu verstehen – sind das Salz in der Suppe.
Hochdeutscher Erzählmodus
Dass Frank alias van Weyden zwischendurch immer mal in den hochdeutschen Erzählmodus wechselt, erleichtert das Dranbleiben. Philosophisch betrachtet trifft hier ein Intellektueller (van Weyden), der lernen muss, auf eigenen Beinen zu stehen, auf einen niederträchtigen und kranken Sozialdarwinisten (Larsen) – ein Umstand, mit dem der Romanautor Jack London vor mehr als 110 Jahren Nietzsches Philosophie vom Übermenschen infrage gestellt hat.
Als hier auf der „Ghost“ dann aber noch eine Frau, die Autorin Maud Brewster (Jodie Ahlborn), als Schiffbrüchige dazukommt, eskaliert die Situation zwischen den beiden Männern und an Bord endgültig. Die Szene, in der Maud inmitten der Crew speisen muss und alle Männer am Bühnenrand sitzend mit dem Geschirr klappern, hat etwas von einer kleinen Sinfonie vor dem großen Sturm. Auch diese Musik leitet Schauspieler Peter Kaempfe an, der immer wieder als Geräuschemacher (für die Kampfszenen), Sounddesigner (fürs Maritime) und Gitarrist fungiert. Damit vertont er ein plattdeutsches Gedicht Gorch Focks.
Moderate Modernisierung
Wie sagte Intendant Michael Lang bei der Premierenfeier von „De Seewulf“ im Ohnsorg fast schon pathetisch: „Ein Haus wächst über sich hinaus.“ Nur auf große Fahrt, sprich Tournee, geht dieser Seewolf mit der „Ghost“ ob des aufwendigen Bühnenbilds nicht – nicht mal auf sogenannte Abstecher ins Umland. Da müssen die Besucher von nah und fern schon selbst das Ohnsorg ansteuern, diesen norddeutschen Heimathafen, der im Wandel der (Ge-)Zeiten weiter auf Kurs moderater Modernisierung liegt.
„De Seewulf“ wieder Fr 13.4., 19.30, bis 26.5., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi- Kabel-Platz 1, Karten zu 18,- bis 31,50 unter T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de