Hamburg. Die Dramatisierung von „Dancer in the Dark“ am Thalia in der Gaußstraße ist ein starker, kräftezehrender Abend.

„Man muss eigentlich noch vier Euro auf die Theaterkarte draufrechnen“, sagt eine Zuschauerin nach der Vorstellung. „Weil man das ohne Alkohol hinterher gar nicht aushält.“ Das mag etwas drastisch formuliert sein, ist aber tatsächlich eher als Kompliment gemeint. Und der Hinweis, sich dem Abend lieber nicht ohne Begleitung auszusetzen, sei auch an dieser Stelle gegeben.

Bastian Krafts Inszenierung des Lars-von-Trier-Films „Dancer in the Dark“ am Thalia in der Gaußstraße düster zu nennen ist in doppelter Hinsicht berechtigt. Zunächst einmal ist da die unheilvolle Geschichte. Dieses wirklich herzzerreißend ungerechte Schicksal der fast blinden Fabrikarbeiterin Selma, eines freundlichen, schlichten Mädchens, das aus Osteuropa in die USA kam, weil nur hier die Operation möglich ist, die wenigstens ihrem Sohn das Augenlicht retten könnte. Sie arbeitet hart und spart noch härter, bis eines Tages ihr Nachbar – ein Polizist, ausgerechnet – Selmas Lohn aus ihrer Bonbondose stiehlt, um die eigene Lebenslüge aufrechtzuerhalten. Sie tötet ihn und ist doch eigentlich unschuldig, aber weil das die unwahrscheinlichste aller möglichen Wahrheiten ist, wird sie selbst zum Tode verurteilt. Und schließlich gehenkt, ohne dass sie noch einmal mit dem eigenen Kind spricht.

Bühne nahezu komplett im Dunkeln

Selma ist eine Frau, die aus den richtigen Gründen alles falsch macht, schon ihr dabei zuzuschauen, ist schwer zu ertragen. Bastian Kraft aber verstärkt das Gefühl dieser Ohnmacht noch: Er lässt die Bühne nahezu komplett im Dunkeln. Ab und zu blendet ein Scheinwerfer, leuchtet eine Taschenlampe, fällt ein Schlaglicht auf eine der Szenen. Fünf Bildschirme zeigen Bruchstücke in Schwarz-Weiß, noch dazu teils verschwommen. Der Regisseur lässt den Zuschauer durchleben, was die Protagonistin ausmacht: das Sichtfeld ist stark eingeschränkt. Auch das Publikum ist somit fast blind und muss sich aus diesen Dialogen im Dunklen, aus Tonfall, Geräuschen, Seelenlage und Andeutungen erschließen, was es eben nicht direkt sehen kann. Die Szenen werden von Paul Schröder an der Rampe musikalisch unterstützt und ergänzt.

Es ist durchaus riskant, diesen Abend so zu zeigen – oder eben: nicht zu zeigen. Es ist gleichzeitig mutig. Bringt ein Regisseur einen Film auf die Bühne, muss er sich schon die Frage gefallen lassen, was das Theater dem Ursprungsmedium denn eigentlich voraus oder hinzuzufügen hat. Hier wird der Mut zum Unkonventionellen belohnt, die Idee erschließt sich und sie schenkt dem kräftezehrenden Theaterabend eben jenes Eigene, Unverwechselbare, eine Erfahrungsebene, die über die bloße Nacherzählung der (allerdings emotional ohnehin starken) Filmgeschichte hinausgeht. Hinzu kommt, dass das Prinzip funktioniert wie in einem Horrorfilm: Was man nicht sieht, wird in der Ahnung noch erbarmungsloser. Verschont wird in dieser Inszenierung niemand. Auch nicht das Publikum.

Ausdrucksstarkes Ensemble

Funktionieren kann das freilich nur mit einem Ensemble, das über eine Ausdrucksstärke verfügt, die sich auch im Halbdunkeln überträgt. Das gilt für alle Darsteller, vor allem Lisa Hagmeister jedoch spielt die Selma, als hätte die isländische Popsängerin Björk in dieser Rolle nicht schon kongenial vorgelegt. Sie zeigt eine geradezu schmerzhafte Freundlichkeit und Naivität, eine Zerbrechlichkeit und gleichzeitige Sturheit und bei alldem eine Fähigkeit zur Loyalität über jegliche Vernunft hinaus.

Am Schluss erleuchtet eine einzelne Glühbirne die ganze Trostlosigkeit dieser Existenz. Die Bühne (Peter Baur) wirkt wie ein verlassenes Filmset. In der klaustrophobischen Enge eines Kastens, wieder übertragen durch eine Kamera, wartet Selma auf den Strick. Und der Zuschauer, manchem laufen tatsächlich die Tränen, auf das erlösende erste Glas.

„Dancer in the Dark“ Thalia/Gaußstraße, Gaußstr. 190 (Bus 2) wieder am 7.4., 20.00, 8.4., 19.00, Karten zu 22,-: T. 32 81 44 44