Hamburg. Der Hamburger Udo Bermbach, weltweit einer der größten Experten für den Bayreuther Komponisten, feiert 80. Geburtstag.

Udo Bermbach war 26, als sein Leben eine entscheidende Wende nahm. Durch zehn Minuten Musik. Das Vorspiel von Richard Wagners „Tristan und Isolde“, dirigiert von Karl Böhm. „Es hat mich emotional tief erschüttert“, erinnert sich der emeritierte Politik-Professor in seinem Haus in Wellingsbüttel, der am morgigen Mittwoch den 80. Geburtstag feiert. Als sich damals die Nadel von der Schallplatte hob, war er nicht mehr nur Jazzfan, sondern auch glühender Wagnerianer. Heute ist Bermbach, der eher wie Mitte 60 wirkt, einer der bedeutendsten Wagner-Experten weltweit, hat zahlreiche Bücher zum Thema veröffentlicht und 2005 die Reihe „Wagnerspectrum“ aus der Taufe gehoben. Dass die Hochzeit mit seiner Frau Doris ebenso wie das erste Wagner-Hörerlebnis 54 Jahre zurückliegt, mag ein Zufall sein, passt aber perfekt: Von dieser Zeit an war eben nichts mehr wie vorher.

In Berlin geboren und in Darmstadt aufgewachsen, studierte Bermbach Politische Wissenschaft, Völkerrecht, Germanistik und Geschichte in Marburg und Heidelberg. Hier kam er in Kontakt mit einem Krawattenfabrikanten, der in seiner Villa Wagnerseminare durchführte. „Wir trafen uns nachmittags um vier, dann wurden im Musikzimmer anderthalb Stunden lang am Klavier die verschiedenen Leitmotive durchgearbeitet“, erinnert er sich.

Fünf Stunden Wagner-Vollbedienung

Nach einer kurzen Pause ging es mit dem gemeinsamen Anhören einer kompletten Oper weiter. „Wir bekamen jeder ein Reclam-Heft mit dem Text, es durfte weder gesprochen noch etwas getrunken werden.“ Im Fall der „Götterdämmerung“ oder des „Parsifals“ bedeutete das glatte fünf Stunden Wagner-Vollbedienung. „Morgens um vier war ich wieder zu Hause und so aufgewühlt, dass ich nicht einschlafen konnte.“ Eine aufregende Zeit sei das Mitte der Sechziger gewesen, nicht mehr so verstaubt und restaurativ. „Es gab Sartre und Camus, im Kino die Nouvelle Vague, bei manchen Theateraufführungen sogar Tumulte. Wir haben nächtelang diskutiert.“ Allerdings: In Sachen Sexualmoral sei die Ära tatsächlich noch sehr repressiv gewesen.

1971 kam Bermbach nach Hamburg, bis 2001 lehrte er an der Universität politische Theorie und Ideengeschichte, machte wissenschaftliche Karriere, diskutierte in Seminaren geduldig mit Mitgliedern der Trotzkistischen Internationale („Die bestand in Hamburg gerade mal aus drei Leuten ...“) und der Marxistischen Gruppe – und blieb doch immer Richard Wagner tief verbunden. Dessen Werk kennenzulernen sei „das größte Bildungserlebnis meines Lebens“, sagt er. „Dieser Mann ist von einer so beeindruckenden intellektuellen Größe, dass ich mich dem nicht entziehen kann.“

Es fehlte die Zeit

Mit seiner Frau, wie er begeisterte Operngängerin, war er längst durch Europa gereist, um den Ring und andere Wagner-Werke auf der Bühne zu sehen, 1986 ging es erstmals nach Bayreuth. Die Eindrücke dort hätten ihn „völlig fertiggemacht“, sagt Bermbach. In den Pausen zwischen den Akten habe er Spaziergänge unternommen, um mit niemandem reden zu müssen. Damals entstand die Idee, an der Uni Hamburg eine Vorlesung zum „Ring“ und anderen Opern abzuhalten. Allein, es fehlte das Geld für die Durchführung. Doch da sprang „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein, ein alter Bekannter, ein. Von Bermbachs Begeisterung angesteckt, spendete er jahrelang jeweils 25.000 ­D-Mark – ohne jemals selbst an einem Seminar teilzunehmen. „Er schickte seine Sekretärin, die dann jedes Jahr fragte, wie viel Geld ich brauche.“

Ein Leben ganz für die Oper, vor allem für Richard Wagner, war das aber immer noch nicht. Es fehlte bei all der Lehrtätigkeit schlicht die Zeit. Erst als Bermbach 1999 zu einem Fellowship, einer Art Stipendium, für ein Jahr ans Wissenschaftskolleg nach Berlin geladen wurde, konnte er sich ohne Ablenkung um seine Wagner-Forschung kümmern. Danach war für ihn an normalen Uni-Alltag nicht mehr zu denken. Er nahm ein Semester unbezahlten Urlaub („Das hat mich damals 80.000 Mark gekostet“) und ging anschließend in den vorzeitigen Ruhestand („Ein Segen!“).

Eine Wagner-Büste steht auch
im Arbeitszimmer von
Udo Bermbach
Eine Wagner-Büste steht auch im Arbeitszimmer von Udo Bermbach © dpa | Daniel Karmann

Wobei „Ruhestand“ im Fall von Udo Bermbach das maximal falsche Wort ist. In 30 Jahren an der Uni habe er gerade mal ein Buch veröffentlicht, erzählt er. In den 17 Jahren seitdem waren es bisher schon zehn, und ein Ende ist nicht in Sicht. Jeden Morgen, was in seinem Fall tatsächlich jeden Morgen meint, sitzt er um neun Uhr in seinem Arbeitszimmer auf dem Dachboden, in dem sich die Wagner-Literatur stapelt und in dem natürlich auch eine Büste des Meisters steht, und beginnt sein Tagwerk am PC. Abgesehen von einer längeren Mittagspause mit seiner Frau schreibt er bis halb sieben abends – und genießt es. „Es ist so ein unglaubliches Glücksgefühl, wenn sich das weiße Textfeld langsam füllt.“

Unzählige Vorträge

Unzählige Vorträge hat er gehalten, Beiträge für Programmhefte verfasst, als Berater an bedeutenden Inszenierungen mitgewirkt. Auch in Bayreuth. Das Konzept zum „Ring des Nibelungen“, den Jürgen Flimm dort im Jahr 2000 auf die Bühne brachte, stammt vom Udo Bermbach. Ein Honorar habe er damals nicht bekommen, sogar seine Auslagen für Bahnreisen und Hotelzimmer seien nur zu einem Bruchteil und erst auf Nachfrage erstattet worden. Macht aber nichts: „Für mich war das ein Weg, Danke zu sagen, für all das, was Bayreuth mir gegeben hat.“ Wird er denn wenigstens zu den Premieren eingeladen? Nein, er zahle seine Opernkarten selbst, nicht nur in Bayreuth, auch sonst überall, sagt Bermbach.

Drei Abos haben seine Frau und er für die Elbphilharmonie, eines für die Staatsoper. Die riesige CD-Sammlung, die sich über deckenhohe, doppelreihig befüllt Regale in mehreren Zimmern erstreckt, lässt ahnen, wie die Bermbachs den Rest ihrer knappen Freizeit füllen. Aber da sind ja auch noch Serien wie „House of Cards“, „Borgen“ oder „Game of Thrones“, die die beiden mit Begeisterung schauen. Und natürlich die beiden Enkelkinder, denen Udo Bermbach so gerne Gute-Nacht-Geschichten erzählt. Die vom Gold im Rhein beispielsweise, vom Göttervater Wotan, der sich von Riesen eine Burg bauen lässt, vom mutigen Siegfried, der gegen einen Drachen kämpft. Den „Ring des Nibelungen“ eben. Was sonst. Und die Kleinen? „Sie lieben es.“. Wie könnte es auch anders sein, bei diesem Opa?