Hamburg. Gesellschafter des Handelskonzerns brachte fast ein Dutzend Firmen auf den Markt. Sein neues Projekt: Gemeinschaftsbüros mit Pfiff.

Ihm gefällt das Labor am besten. „Das haben wir so genannt, weil die Kaffeerösterei, die früher in den Räumen war, hier Bohnen getestet hat“, sagt Benjamin Otto. Jetzt sind in dem Raum ein Dutzend Arbeitsplätze untergebracht. Er hat an diesem Tag den Schreibtisch in der letzten Fenstergaube gewählt. Seinen Laptop aufgebaut, den Parka über den Stuhl gehängt. Wie Start-up-Unternehmer das so machen. Insgesamt gibt es mehr als 50 Büroplätze in der obersten Etage des historischen Kontorhauses am Zippelhaus. Viele Steckdosen, frei hängende Lampenkabel, Gymnastikbälle, und ja, auch den unvermeidlichen Fußball-Kicker. Wie es in einem Co-Working-Space eben aussieht. Fast. Unter den Tischen liegen große Perserteppiche in leuchtenden Farben. „Über die ist schon mein Großvater gegangen“, sagt Benjamin Otto und lächelt auf seine zurückhaltende Art. Es ist nicht das Einzige, was er aus der Bramfelder Zentrale des Handels-Konzerns eingebracht hat.

Am Modehändler About you erhöhte er seinen Anteil

„Die Atmosphäre soll beflügeln und In­spirationen schaffen, um kreativ zu werden“, sagt der Unternehmer über sein neues Projekt CoWork. Auf einer Büro- und Arbeitsfläche von 450 Quadratmetern will er künftig Firmengründer beim Start unterstützen. Das Mobiliar ist einfach, das meiste schon mal irgendwo benutzt oder künstlerisch redesignt wie die Sessel aus alten Einkaufswagen. „Ich möchte etwas zurückgeben“, so der 42-Jährige, der selbst fast ein Dutzend Start-ups auf den Weg gebracht hat und seit zwei Jahren als Gesellschafter im Aufsichtsrat der Otto Group für die Themen Kulturwandel, Werte und digitale Kompetenz zuständig ist.

249 Euro Miete im Monat

Co-Working soll deshalb mehr sein, als nur eine weitere Möglichkeit, sich günstig Büroraum zu teilen. „Eine Plattform“ stellt sich der Ideengeber vor, der bei Otto intern erfolgreich den Anstoß für die gemeinsame Arbeitsfläche Col­labor8 gab. Das Konzept soll jetzt quasi aus dem Konzern herauswachsen und Jungunternehmern Austausch und Beratung ermöglichen. Ein ausgewogener Firmenmix aus unterschiedlichen Branchen ist ihm wichtig. Erste Mentoren konnte Benjamin Otto gewinnen, darunter Arne Kahlke, erfolgreicher Gründer und Macher von Singlebörsen wie ElitePartner, Parship und neuerdings LemonSwan.

Der Umbau der Büroetage vis-à-vis der Speicherstadt hat mehrere Monate gedauert. Seit Anfang März können Interessenten sich bewerben. Die Miete für einen Arbeitsplatz in Bereichen, die Playground, Marketplace oder Loft heißen, beträgt bei flexiblen Startterminen inklusive Büroassistenz und Service wie WLAN oder Drucker 249 Euro im Monat und liegt im Vergleich zu anderen Anbietern in dem stark wachsenden Segment eher im unteren Bereich. Zu den ersten Mietern zählt die JLT GmbH. Dahinter steckt das Unternehmen seiner Frau Janina Lin Otto, die Fertiggerichte aus natürlichen Zutaten unter der Marke Frau Ultrafrisch herstellt. Auch die Hamburger Software-Schmiede AppCamps, die kostenlose Unterrichtsmaterialen zu digitalen Themen und Informatik entwickelt, hat sich eingemietet.

„Es geht nicht ums Geldverdienen“, sagt Benjamin Otto. Dass seine Ideen dazu normalerweise taugen, hat er unter Beweis gestellt. Etwa beim von ihm mitgegründeten Online-Modehändler About you, der mit zuletzt 135 Millionen Umsatz inzwischen als einer der wichtigen Wachstumstreiber des Handelskonzerns gilt. Gemeinsam mit seiner Schwester Janina Özen-Otto hat er seinen Anteil gerade auf 24,9 Prozent erhöht. Auch der Immobilienentwickler Evoreal, den er mit seinem Freund Marius Marschall von Bieberstein aufbaute, arbeitet erfolgreich. In der Satzung der CoWork rocks GmbH dagegen ist festgelegt, dass die Gesellschaft keinen Gewinn machen darf. „Die Kosten sind so kalkuliert, dass sich das Projekt trägt.“ Sollte sich zeigen, dass Überschüsse erwirtschaftet werden, werde die Miete gesenkt.

Er initiiert soziale und ethische Projekte

Für den Enkel von Versandhaus-Gründer Werner Otto und Sohn des aktuellen Aufsichtsratschefs Michael Otto ist CoWork auch ein Startpunkt. „Ich habe vor, in Zukunft – mehr als bisher schon – auch eigene Aktivitäten mit ethischem Anspruch anzustoßen“, sagt der bekennende Liebhaber asiatischer Lebensweise, der sich gern auch mal zum Meditieren zurückzieht. Ihm geht es darum, Signale zu setzen. Schon vor ei­niger Zeit hatte er etwa das Holistic Health Institute Stiftung für ganzheitliche Heilung gegründet.

Benjamin Otto, der vor seinem Wirtschaftsstudium in London eine Banklehre absolviert hatte und dem bereits heute ein beträchtliches Vermögen zugeschrieben wird, ist ein Suchender. 2015 sorgte er mit seinem Verzicht auf den Vorstandsposten beim deutschlandweit zweitgrößten Online-Händler mit knapp 50.000 Mitarbeitern für Schlagzeilen. Parallel zog er sich aus dem operativen Geschäft des Mode-Start-ups About you zurück. Damals sagte er: „Wenn man im operativen Geschäft tätig ist, hat man selten Zeit, strategisch zu denken.“ Im Entwickeln von richtungsweisenden Strategien sehe er aber sein Talent. Heute sagt er: „Ich habe das nicht bereut, weil ich dadurch – neben meiner Tätigkeit als gestaltender Gesellschafter bei der Otto Group – Freiräume habe, die ich jetzt nutzen kann, um eigene soziale und ethische Projekte zu initiieren.“

Yoga-Matten am Eingang

Nahezu unbekannt ist, dass Benjamin Otto über seine Firma BPO Capital ein weiteres Standbein hat und in junge, digitale Geschäftsmodelle mit Anspruch investiert. „Ethisches Unternehmertum in der Generation meines Großvaters und meines Vaters ist anderes als in meiner Generation“, sagt er. Zu seinem Portfolio gehören unter anderem die Plattform Lokalleads, für die lokale Handwerksbetriebe ihre Leistungen online anbieten können. Oder auch Exporo, ein Portal für Immobilien-Investments, auf der Privatleute bereits ab 500 Euro ohne Gebühren investieren können. Oder Uberall, eine Geo-Marketing-Plattform, über die stationäre Anbieter ihre Online-Präsenz erhöhen.

Das sind viele unterschiedliche Herausforderungen. Aber Benjamin Otto mag das so. Eine hat ihm noch nie gereicht. Er hat sich vorgenommen, immer wieder in seinem Gründerzentrum zu sein und sich auf einen der Schreibtische zu setzen – auch wenn sein Haupt-Arbeitsplatz in der Otto-Zentrale ist. Von dort hat er auch die braune Pilz-Leuchte mitgebracht, die lange ihren Stammplatz im Vorstandsbüro seines Großvaters hatte. Jetzt erhellt sie den Konferenzraum. Und auf einem Wagen am Eingang liegen gerollte Yoga-Matten. Das hat auch Labor-Charakter.