Hamburg. Heute wird der Internationale Weltfrauentag gefeiert. Warum es jetzt wichtig ist, die angebliche Gleichberechtigung zu hinterfragen.

„Heraus mit dem Frauenwahlrecht!“, forderten die „Mütter“ des Weltfrauentages vor genau 107 Jahren. Es waren Frauen wie die Politikerin Clara Zetkin, die auf der Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz auf ihr Recht pochten. Und es 1918 mit der Verankerung im Reichswahlgesetz bekamen. Damit nicht genug: Arbeitsschutzgesetze, gleicher Anspruch auf Bildung, Schutz für Mütter und Kinder, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, legaler Schwangerschaftsabbruch waren weitere Errungenschaften dieser Bewegung.

Kurz: Alles, was wir heute als selbstverständlich ansehen, von dem wir profitieren, wurde damals erkämpft und erstritten. Es wäre also spätestens jetzt mal an der Zeit, den Vordenkerinnen und Vorkämpferinnen laut „Danke“ zu sagen. Auf alles bisher Erreichte stolz zu sein – und sich dann wieder gemütlich zurückzulehnen.

Lebensentwürfe nähern sich an

Weil es einem ja eigentlich ganz gut geht. Als Frau. In Deutschland. Wir können Kinder bekommen und in vielen Branchen einen Teilzeitjob antreten. Elterngeld und sogar neuerdings ElterngeldPlus beziehen (sich also die Finanzspritze mit dem Partner teilen). Die Kinder auf Wunsch ganztägig in Kitas und Schulen betreuen lassen und somit wieder Vollzeit in den Job zurückkehren. Oder alles ganz anders machen.

Totale Freiheit gleich totale Gleichberechtigung? Von außen betrachtet führen Frauen und Männer, Mütter und Väter ein gleichberechtigtes Dasein. Und tatsächlich belegt eine große Studie der Zeitschrift „Brigitte“, dass sich die Lebensentwürfe der Geschlechter einander annähern und noch nie so ähnlich waren wie jetzt. Der Wunsch nach tatsächlich gelebter Gleichberechtigung ist also groß. Eine gute Nachricht! Doch jetzt kommt die Schlechte: In der Realität hat sich dieser Wunsch noch nicht erfüllt.

Für die Studie „Mein Leben, mein Job und ich“ stellte das Meinungsforschungsinstitut Ipsos 2002 Frauen und Männern zwischen 18 und 69 Jahren 151 Fragen und erhielt zum Teil überraschende Ergebnisse. Etwa, dass für die Lebenszufriedenheit vieler Frauen der Job (79 Prozent) entscheidender ist, als Mutter zu sein (68 Prozent; die Zustimmungsrate der Männer mit 60 Prozent liegt dabei sehr nahe). Wir sind am Wendepunkt. Aber es gibt noch viel zu tun.

Das bisschen Haushalt ...

Ein Punkt in der Studie enthüllt die tatsächliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern: Das bisschen Haushalt ... erledigen hauptsächlich die Frauen. Spätestens nach dem ersten Kind fallen Paare oft in traditionelle Rollenmuster zurück. Da der Mann oftmals die besser bezahlte Stelle hat, konzentriert er sich auf den Job. Die Frau reduziert auf Teilzeit und übernimmt dafür den Großteil der – unbezahlten – Haus- und Betreuungsarbeit. Selbst jede zweite Mutter, die Vollzeit arbeitet, gibt an, mehr als zwei Drittel der Hausarbeit zu stemmen.

Hamburgs Zweite Bürgermeisterin
Katharina
Fegebank sieht sicher geglaubte
Rechte und Freiheiten durch
rechtspopulistische Strömungen
infrage gestellt. Sie wünscht sich
in Zukunft mehr Solidarität zwischen
Frauen
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank sieht sicher geglaubte Rechte und Freiheiten durch rechtspopulistische Strömungen infrage gestellt. Sie wünscht sich in Zukunft mehr Solidarität zwischen Frauen © HA | Andreas Laible

Es ist also enorm wichtig, genau hinzusehen. Dranzubleiben. Weiterzukämpfen. Was würden denn sonst Clara Zetkin und Co. von uns denken? Deshalb ist es jedes Jahr aufs Neue wichtig, den Weltfrauentag ins Gedächtnis zu rufen. Nicht umsonst lautet das dies­jährige Motto in Deutschland daher „Auf Fortschritt beharren“ (Hashtag PressForProgress).

Moderne Ansätze

Bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie sagen nur 37 Prozent, dass die Situation heute besser ist als früher. Es fehle vor allem an finanzieller Unterstützung für Familien, mehr guten Betreuungsmöglichkeiten für Kinder außerhalb der Familie sowie flexiblen Arbeitsmodellen. Kind und Karriere? Noch immer ein Märchen. Das belegen aktuelle Zahlen der EU-Kommission: Frauen sind in europäischen Führungsetagen immer noch drastisch unterrepräsentiert. Nur 35 Prozent aller Führungskräfte in Firmen mit mehr als zehn Mitarbeitern sind weiblich. Und diese Frauen verdienen knapp ein Viertel weniger als ihre männlichen Kollegen.

„Frauen wird immer wieder gesagt, Lohnunterschiede von beispielsweise sechs Prozent seien doch nicht die Welt. Aber wenn man das auf die Lebensarbeitszeit hochrechnet, sind das keine Peanuts“, sagt Brigitte Huber (53). Sie sieht daher die Familienpolitik in der Pflicht, moderne Ansätze durchzubringen, etwa den längst überfälligen Anspruch auf Betreuung im Grundschulalter oder die flexible Vollzeit, um Frauen Karriere tatsächlich zu ermöglichen.

Die Unternehmerin Angelika Dammann diskutiert bei
der Hamburg Women Connect über ungleiche Löhne
und Karrierechancen. Sie fordert mehr mutige Männer,
die kulturelle Veränderungen in Unternehmen anstoßen
Die Unternehmerin Angelika Dammann diskutiert bei der Hamburg Women Connect über ungleiche Löhne und Karrierechancen. Sie fordert mehr mutige Männer, die kulturelle Veränderungen in Unternehmen anstoßen © SAP

Auch darüber wird zu reden sein am heutigen Abend im Gruner & Jahr Auditorium. Im Rahmen des „Brigitte Academy Meet-Up“ diskutieren Vorstand Julia Jäkel und Brigitte Huber mit Katharina Fegebank (41, Grüne), Hamburgs Zweiter Bürgermeisterin. Zur Aufgabe der Politik sagt sie: „Wir haben mit dem Entgeltgleichheitsgesetz, das seit dem 1. Januar greift, ein Gesetz, das die Lohntransparenz fördert. Mit einer Auskunftspflicht für Unternehmen ab 200 Mitarbeitern greift es noch zu kurz, aber es ist ein erster Schritt in Richtung mehr Geschlechtergerechtigkeit.“

Solidarität gefordert

Für die Gleichstellungsbeauftragte ist der Weltfrauentag „wichtiger denn je: Wir erleben in Zeiten von rechtspopulistischen Strömungen in Europa eine Situation, in der sicher geglaubte Rechte und Freiheiten infrage gestellt werden. Deshalb ist jetzt der richtige Moment die Stimme zu erheben: Frauenrechte sind Menschenrechte!“

Suzana Kamperidis,
Geschäftsführerin der
Interkulturellen Begegnungsstätte,
informiert
mit einer Broschüre über
Gewalt in Beziehungen
Suzana Kamperidis, Geschäftsführerin der Interkulturellen Begegnungsstätte, informiert mit einer Broschüre über Gewalt in Beziehungen © Interkulturelle Begegnungsstätte e.V.

Für die Zukunft wünscht sie sich, dass Frauen sich noch mehr gegenseitig unterstützen: „Solidarität beginnt damit, dass man nicht mitlacht, wenn über das Aussehen einer Kollegin gelästert wird, sondern besser über den Inhalt ihrer Präsentation redet.“

Suzana Kamperidis (51) geht noch weiter: „Gleichberechtigung lässt sich nur erreichen, wenn beide Geschlechter dazu bereit sind und gemeinsam daran arbeiten“, sagt die Geschäftsführerin der Interkulturellen Begegnungsstätte. Anlässlich des Weltfrauentages lädt sie am heutigen Nachmittag zusammen mit Kolleginnen von Lâle und der GWA St. Pauli zu einer Veranstaltung zum Thema „Kann das Liebe sein? Alarmsignale für Gewalt in Beziehungen“ ein. „Viele Frauen wissen gar nicht, dass sie davon betroffen sind. Dabei gibt es viele Formen von Gewalt: psychische, körperliche, sexualisierte. Wir wollen informieren und Hilfe anbieten.“

Männern an den Kragen gehen

Bei der Talkrunde „Hamburg Women Connect“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften am Abend wird es vor allem den Männern an den Kragen gehen. Angelika Dammann (58), einst erste Frau im Vorstand bei SAP und mehrfach preisgekrönte Unternehmerin, fordert: „Wir hängen nach wie vor am traditionellen Familienmodell. Wir brauchen mehr mutige Männer, die notwendige kulturelle Veränderungen im Unternehmen anstoßen, einfordern und selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen.“ Wie gesagt: Es gibt noch viel zu tun.

Veranstaltung von Lâle, IKB und GWA St. Pauli „Kann das Liebe sein?“: Kölibri, Hein-Köllisch-Platz 12, 15–18 Uhr, www.gwa-stpauli.de, Eintritt frei.Für das „Brigitte Academy Meet-Up“ gibt es noch Karten unter www.brigitte.de/academy für zehn bzw. ermäßigt 5 Euro. Gruner & Jahr, Am Baumwall 11, Beginn: 19.30 Uhr.