Hamburg/Berlin. Wenn Andreas Dressel den Posten von Olaf Scholz übernimmt, hat die SPD ein Problem. Jetzt fällt eine Vorentscheidung.

Eine politische Hängepartie geht zu Ende: Am Sonntag will die SPD das Ergebnis der bundesweiten Mitgliederbefragung bekannt geben. Mehr als 460.000 Sozialdemokraten können darüber entschieden, ob es eine Neuauflage der Großen Koalition geben soll oder nicht. Lautet die Antwort Ja, dann braucht Hamburg einen neuen Ersten Bürgermeister.

Es gilt als sicher, dass Olaf Scholz als Bundesfinanzminister und Vizekanzler in das Kabinett Merkel wechselt. Scholz, der auch kommissarischer SPD-Vorsitzender ist, und die übrige Parteispitze hüllen sich allerdings nach wie vor in Schweigen darüber, wer die sechs Ministerposten übernehmen soll, die den Sozialdemokraten laut Koalitionsvertrag zustehen. Vermutlich erst im Laufe der kommenden Woche soll das Geheimnis gelüftet werden.

Das Problem der SPD mit dem Fraktionsvorsitz

Erst dann wird auch die Diskussion über die Scholz-Nachfolge in Hamburg Fahrt aufnehmen. SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel bleibt der klare Favorit für das Amt des Ersten Bürgermeisters. In den internen Diskussionen hat sich im Laufe der vergangenen Wochen herausgestellt, dass das eigentliche Problem die Tatsache ist, dass es für Dressel an der Spitze der Rathausfraktion keinen überzeugenden oder bereitwilligen Kandidaten gibt. Dabei ist die Position für die Stabilität des rot-grünen Regierungsbündnisses von entscheidender Bedeutung.

Falls die SPD-Mitglieder Nein zur bei vielen ungeliebten GroKo sagen, was als der unwahrscheinlichere Fall gilt, dann würde sich in Hamburg nicht viel ändern. Scholz würde Bürgermeister bleiben.

In der SPD tun sie noch immer so, als ob nichts los sei

Die Grünen als Koalitionspartner der SPD im Rathaus laden für Sonnabend, den 24. März, zur Mitgliederversammlung ein. Denn wenn alles glatt läuft, dann soll die Bürgerschaft am 28. März einen neuen Bürgermeister wählen. Vorausgesetzt, die SPD-Basis stimmt am Wochenende für den Eintritt der Partei in die Große Koalition auf Bundesebene, und Olaf Scholz wechselt als Bundesfinanzminister und Vizekanzler ins Bundeskabinett.

Ohne die Stimmen der Grünen-Abgeordneten wird kein Scholz-Nachfolger gewählt. Auf sie kommt es also an. Und da die Grünen viel von innerparteilicher Demokratie halten, wird die Basis vorher befragt. Da aber nicht klar ist, ob eintritt, was die meisten erwarten, ist der einschlägige Tagesordnungspunkt mit „Debatte zur aktuellen politischen Lage“ vorerst hinreichend schwammig umschrieben, um den Regierungspartner nicht zu sehr unter Druck zu setzen.

Am Ende wird in Hamburg alles sehr schnell gehen müssen

Denn in der SPD tun die Parteioberen nach außen noch immer so, als ob nichts los sei. Und folglich findet sich auf der Homepage der SPD-Landesorganisation auch bislang unter Termine kein Hinweis auf einen Parteitag, der schließlich einberufen werden muss, wenn ein neuer Bürgermeister vorgeschlagen werden soll. Denn ohne ein Plazet der Parteitagsdelegierten geht es auch in der Landes-SPD nicht.

Nach jetzigem Stand werden Scholz – er ist ja auch kommissarischer SPD-Vorsitzender – und Bundestags-Fraktionschefin Andrea Nahles die Namen der künftigen SPD-Minister einer Großen Koalition erst im Laufe der kommenden Woche oder noch später bekannt geben. Am Ende wird in Hamburg alles sehr schnell gehen müssen, und viel Zeit für die Personaldebatte bleibt den hiesigen Sozialdemokraten dann nicht mehr. Wer sich nicht dem Verdacht aussetzen will, eine Regierungskrise heraufzubeschwören, der muss Scholz’ Personaltableau eben abnicken.

Alles läuft auf Fraktionschef Dressel hinaus

„Wer Führung bestellt, bekommt sie auch.“ Mit diesem Motto trat Scholz 2009 als SPD-Landesvorsitzender an, er hat sich daran gehalten. Und Verschwiegenheit ist dabei nun einmal Teil seines politischen Kapitals. Es ist – bei allen Schwierigkeiten – letztlich eine Situation ganz nach seinem Geschmack. Scholz lässt alle Parteifreunde derart im Ungewissen über seine Pläne, dass viele glauben, dass er sich noch immer nicht für seine Nachfolge festgelegt hat. Dabei läuft alles auf SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel hinaus.

Wenn der Wandsbeker SPD-Kreischef das Amt will, dann bekommt er es. An seiner Entschlossenheit hat Dressel jedenfalls intern keinen Zweifel gelassen. Über Rückhalt verfügt er auch: Vor zwei Wochen spendeten die SPD-Abgeordneten ihrem Vorsitzenden am Ende einer Rede so auffällig lang anhaltend Beifall, dass es einer Akklamation glich. Nur: Dressel ist klug genug, seine Ambitionen nicht zu früh öffentlich deutlich zu machen.

Das nach wie vor ungelöste Problem liegt woanders

Wer soll Dressel auf dem wichtigen Posten des Fraktionschefs nachfolgen? Es gibt, das zeigen die internen Diskussionen der vergangenen Wochen, keine wirklich überzeugende, von vornherein mehrheitsfähige Lösung. Es gibt allerdings mehrere konkurrierende Interessenlagen, die eine Entscheidungsfindung erschweren.

Da ist zum einen der Wunsch nicht nur vieler Frauen, dass eine Frau an die Spitze der Abgeordneten rückt, wenn schon der Bürgermeister weiterhin männlich ist. Sozialsenatorin und SPD-Vizechefin Melanie Leonhard würden viele in der SPD, auch Scholz, eine wichtigere Rolle wünschen. Aber wer soll dann die als schwierig geltende Sozialbehörde übernehmen? Zudem hat Leonhard zwar großen Rückhalt in der Fraktion, aber sie hat bislang keinen Willen erkennen lassen, ihren Posten im Senat zu verlassen – übrigens auch nicht, um Bürgermeisterin zu werden, was auch eine diskutierte Variante ist.

Von den drei Stellvertreterinnen drängt sich keine als Nachfolgerin auf

Von den drei Stellvertreterinnen Dressels – Ksenija Bekeris, Monika Schaal und Martina Friederichs – drängt sich keine als seine Nachfolgerin auf. Und Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit? Sie scheint sich in ihrem Amt wohlzufühlen, und auch bei Veit wäre die Frage, wer ihre Nachfolge an der Spitze der Bürgerschaft übernehmen sollte. So könnte es aus Mangel an geeigneten oder bereitwilligen Kandidatinnen darauf hinauslaufen, dass Elisabeth Kiausch vorerst die einzige Frau bleibt, die SPD-Fraktionschefin war (1996 bis 1997), und es weiterhin keine Erste Bürgermeisterin in Hamburg gibt.

Nach Lage der Dinge bleiben zwei potenzielle Kandidaten übrig: Milan Pein, Vorsitzender des SPD-Kreisverbandes Eimsbüttel, und Dirk Kienscherf, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion. Pein war es einst gelungen, die heftig zerstrittene Eimsbütteler SPD zu einen. Und er hat als Vorsitzender des G-20-Sonderausschusses einen Perspektivposten inne. Kienscherf verfügt über jahrelange Erfahrung an der Fraktionsspitze.

Die Konstellation ist interessant und auch gefährlich für die SPD, weil sie Konfliktlinien entlang des Regionalproporzes und der alten Flügelzuordnung entspricht, deren Bedeutung zuletzt allerdings stark geschwunden ist. Kienscherf entstammt der SPD Mitte, dem Mitte-Rechts-Flügel zugehörig und geleitet vom machtbewussten Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs.

Einer links, einer rechts – das war die alte Machtteilung

Pein wird eher dem linken Flügel zugeordnet, hat als Kreisvorsitzender eine eigene Hausmacht, wirkt bislang aber eher blass. Nach der traditionellen Machtteilung in der Hamburger SPD würde einem Bürgermeister aus dem Mitte-rechts-Lager – Dressel – ein linker Fraktionschef oder Parteichef gegenübergestellt. Doch diese Zuordnungen gelten spätestens nicht mehr, seit Scholz Landesvorsitzender ist.

Eins ist klar: Scholz wird die Hamburger SPD bei einem Wechsel nach Berlin nicht sich selbst und dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Zu sehr steht ihm vor Augen, in welchem Zustand er die Elb-SPD 2009 übernommen hat: zerstritten, verunsichert, perspektivlos. Scholz wird nicht zulassen, dass der Markenkern des „ordentlichen Regierens“ ins Wanken gerät und von daher für einen starken Fraktionschef oder eben eine solche Fraktionschefin sorgen wollen.