Hamburg. Unternehmen setzt stark auf die Hansestadt. Schon 1450 Mitarbeiter in der Metropolregion – Tendenz steigend.
Alexander Antczak schneidet das Laugencroissant auf und schmiert Butter darauf. Dann holt er ein Paket Scheibenkäse aus der Kühlung unter seiner Theke, trennt es mit dem Messer diagonal durch und legt eine Scheibe auf das Croissant. Alle Arbeitsschritte sind dem Verkäufer der Bäckerei Junge aus der Lübecker Zentrale vorgegeben.
Vor ihm hängt ein Tablet, auf dem die Rezepte exakt beschrieben sind – Antczak muss aber kaum hinsehen. „Nach so vielen Jahren beherrsche ich die Handgriffe aus dem Effeff“, sagt er und packt Kochschinken darauf. „Wir erfüllen auch Extrawünsche der Kunden“, sagt sein Chef Tobias Schulz. So kann auf klein gehackte Zwiebeln und Cocktailtomaten bei Bedarf verzichtet oder statt Butter Remoulade verlangt werden.
Zahl der Bäckereien sank bundesweit
Der Küchenbereich nimmt in der Filiale an der Rothenbaumchaussee mehr Platz ein als der Verkaufsbereich. Das passt zu der wirtschaftlichen Entwicklung. „Die Hälfte unseres Umsatzes machen wir mit Snacks, Tendenz steigend“, sagt Schulz, der das Lübecker Familienunternehmen zusammen mit Axel Junge als Geschäftsführer leitet. Belegte Brötchen, Baguettes und Croissants, Rührei, Salate, Nudeln, Kaffeespezialitäten und frisch gepresster Orangensaft werden in den 190 Filialen angeboten.
Seit Kurzem wird in zehn Geschäften – darunter in den Filialen am Mühlenkamp und in der Hamburger Meile – etwas Neues ausprobiert. „Wir experimentieren jetzt mit Quiches“, sagt Schulz. In zwei Varianten werden sie verkauft, vegetarisch und klassisch in der Lorraine-Variante mit Fleisch. Das Stück kostet 3,49 Euro. Wenn das Produkt bei den Kunden nach einer vierwöchigen Testphase gut ankommt, soll es flächendeckend ausgerollt werden.
Druck aus dem Einzelhandel
Bäckereien stehen längst für mehr als Brot, Brötchen und Kuchen. Das ist auch dem in den vergangenen Jahren gewachsenen Druck aus dem Einzelhandel geschuldet. Supermärkte und Discounter fingen an, Backstationen aufzustellen und im Laden fertig gebackene Ware zu verkaufen. „Da sind in Deutschland 3000 Backshops im Handel entstanden“, sagt Schulz.
Eine Entwicklung, die zum Bäckereisterben beiträgt. Die Zahl der Betriebe ging bundesweit seit 2010 um fast 3000 auf 11.737 im Jahr 2016 zurück. Dazu trugen auch fehlende Nachfolger und größer werdende Betriebe bei, also der Trend zur Konzentration. Nun erwartet der 49-Jährige die zweite Offensive der Einzelhändler – mit einer Ausweitung des Snackangebots. So gibt es beim Discounter Aldi beispielsweise schon heute Blätterteig-Kirschkissen, Apfelecken sowie einen Pizza-Snack Salami oder einen Käse-Twister.
Innovationen sind gefragt
Innovationen sind daher beim 1897 gegründeten Traditionsunternehmen gefragt. Bratkartoffeln und Schnitzel schließt der in Eppendorf wohnende Geschäftsführer allerdings aus, weil sie nicht zum Kerngeschäft gehören. „Bei uns ist alles im Zusammenhang mit Teig denkbar. Teig ist die Basis unseres Geschäfts.“ Von daher könnten in Zukunft durchaus auch Pizzen zum Sortiment gehören.
Bei den Getränken betrat Junge im vergangenen Herbst Neuland. In Kooperation mit einem Hamburger Produzenten brachte das Unternehmen sieben verschiedene Teesorten auf den Markt – vom Earl Grey über Grünen Tee bis zur Geschmacksrichtung Mandelgebäck. 5,50 Euro kostet die Schachtel mit 20 Beuteln. Auch heiße Schokolade für zu Hause können Kunden kaufen. 1,49 Euro kostet die Tüte mit „Schokoperlen“: in heiße Milch geben, umrühren – fertig. Beide Produktreihen würden sehr gut angenommen, sagt Schulz und erklärt, warum man in das Segment eingestiegen sei: „Wir wollen unsere eigene Marke kreieren.“
Hamburger sind „Versuchskaninchen“
Häufig „Versuchskaninchen“ für neue Waren sind übrigens die Hamburger. Die Hansestadt sei eine beliebte Testregion für die Gastronomie, weil sich hier finanzstarke internationale Ketten tummeln, die neue Konzepte ausprobieren wollen. Setzten sich Produkte an Alster und Elbe durch, würden sie das auch in anderen Orten schaffen, lautet die Firmendevise.
In der Metropolregion wächst Junge kräftig und dürfte nach der Von-Allwörden-Gruppe und Dat Backhus der größte Anbieter sein. Seit Ende 2015 stieg die Zahl der Beschäftigten um rund 350 auf 1450. Das hängt mit Umbau und Vergrößerung bestehender Läden zusammen und mit Neueröffnungen. Zuletzt machte die Firma in Groß Borstel, Jenfeld und an der Rothenbaumchaussee Filialen auf.
Neue Geschäfte in Lüneburg und Neumünster
Mehr als 60 der insgesamt 190 Geschäfte befinden sich in der Vertriebsregion Hamburg, die im Süden bis nach Winsen/Luhe und Wentorf reicht und im Norden auch Itzehoe und Reinfeld umfasst. Dort gibt es übrigens eine Besonderheit: einen Drive-in. Vor drei Jahren wurde die Durchfahrfiliale eröffnet – und das Angebot kommt bei Kunden gut an. 20 Prozent des Umsatzes stammen von Autofahrern, die am Fenster ihre Bestellung aufgeben, bezahlen und ihre Ware erhalten. Dieses Geschäftsmodell könne man sich zukünftig auch woanders vorstellen, man strebe aber immer eine Anbindung an den Ort an. So sollen die Dutzende Sitzplätze im Innern und möglichst auch Außenbereich gefüllt werden.
In der Hansestadt sucht die Expansionsabteilung weiter in interessanten Stadtteilen, die auf der Junge-Karte noch weiße Flächen sind, nach Immobilien. „In Hamburg werden wir in diesem Jahr drei neue Geschäfte aufmachen“, sagt Schulz. Die Standorte sind noch Geheimsache. Verkündete Sache sind bisher nur die zwei neuen Geschäfte in Lüneburg und Neumünster, die im Frühjahr erstmals die Türen öffnen sollen.
Ware vom Vortag wird für kleines Geld verkauft
Sie werden dann mit firmeneigenen Lastwagen aus Rostock mit Croissants und Franzbrötchen beliefert, die in der dortigen Bäckerei zentral für Norddeutschland gebacken werden. Die Torten stammen aus der Lübecker Zentrale an der Hafenstraße. Brot und Brötchen kommen aus dem Lübecker Industriegebiet Roggenhorst. Die Firma sei profitabel und gesund, extremes Wachstum mit der Übernahme von Konkurrenten sei nicht das Ziel, sagt Schulz: „Wir wollen jedes Jahr zwischen vier und sechs Prozent beim Umsatz zulegen.“ 2017 habe man rund 150 Millionen Euro erlöst, 35 Millionen Euro mehr als vor fünf Jahren.
Zunehmend gebe es Probleme, gutes Personal zu finden. Dabei sei der Mensch neben der Qualität der Ware die entscheidende Komponente, um erfolgreich zu sein. Auszubildende werden daher mit einem pauschalen Bonus von 100 Euro auf die Vergütung gelockt. Bei besonders guter Arbeit können sie noch 200 Euro Leistungszulage erhalten und so im ersten Jahr auf 800 und im dritten Lehrjahr auf bis zu 1070 Euro brutto im Monat kommen.
Kooperation mit Straßenmagazin
Vier der heute 3600 Mitarbeiter wurden übrigens aus einem Sozialprojekt gewonnen. Vor zwei Jahren rief Junge in Bergedorf in Kooperation mit dem Straßenmagazin „Hinz & Kunzt“ die BrotRetter ins Leben und tut damit im doppelten Sinne Gutes. Zum einen wird Ware vom Vortag, die sonst im Mülleimer gelandet wäre, für kleines Geld verkauft; ein Brot gibt es für 99 Cent. Und zum anderen ermöglicht es früheren Wohnungslosen (wieder) einen Job. Sie erhielten einen Arbeitsvertrag.
Das Projekt verlief so erfolgreich, dass vor eineinhalb Jahren in Kooperation mit der Diakonie ein Laden in Lübeck folgte. Nun ist Geschäft Nummer drei im Gespräch. „Wir denken darüber nach, in Rostock einen BrotRetter-Laden zu eröffnen“, sagt Schulz. „Das Konzept ist für alle eine Win-win-Situation.“