Donauwörth/Hamburg. Das elektrisch angetriebene Fluggerät könnte den Hamburger Nahverkehr in die Luft bringen und die Stauprobleme reduzieren.

Man könnte in die Luft gehen: 44 Stunden haben die Hamburger Autofahrer im vergangenen Jahr im Stau gestanden. Fünf Stunden mehr als im Vorjahr, nur um beispielsweise vom Flughafen in die Innenstadt oder von zu Hause zur Arbeit zu kommen. Die Straßen sind angesichts dringend notwendiger Bauarbeiten chronisch überfüllt und gefühlt dauernd verstopft. Wenn es nach einem der größten Arbeitgeber der Stadt geht, gibt es für das Problem eine Lösung. Dazu könnte man in einigen Jahren wirklich in die Luft gehen.

Bei Airbus in Donauwörth tüfteln Ingenieure an einem Produkt, das das Stauproblem lösen könnte. Normalerweise werden in dem Werk Helikopter gebaut. Aus der Stadt in Bayern kommen zudem Türen für die Flugzeuge des Konzerns, die unter anderem im Werk auf Finkenwerder mit seinen 12.700 Beschäftigten endmontiert werden. Zukünftig in den Fokus dürfte die Arbeit an einem neuen Programm rücken, das in Donauwörth läuft: „Cityairbus“. Das Fluggerät soll autonom fliegen, senkrecht starten und landen – und könnte den Nahverkehr revolutionieren und einen Großteil des Verkehrs von der Straße in die Luft bringen. „Der Cityairbus ist eine absolute Neuentwicklung“, sagt Marius Bebesel dem Abendblatt. Der 50-Jährige ist der Leiter des Cityairbus-Programms. „In diesem Dezember wollen wir den Erstflug machen.“

Sensoren vermeiden Zusammenstöße

Vor drei Jahren startete das europäische Luft- und Raumfahrtunternehmen eine Marktstudie. Untersucht wurde, ob es eine Nachfrage für ein urbanes Fluggerät gibt. Ja, wenn es elektrisch angetrieben wird, lautete die Erkenntnis. Aus Umweltschutzgründen war eine Neuentwicklung mit einem Verbrennungsmotor offenbar undenkbar für potenzielle Kunden. Die Ingenieure erstellten eine Machbarkeitsstudie und entwarfen den Cityairbus. Er wird von acht Siemens-Elektromotoren angetrieben, die jeweils einen Propeller mit Energie versorgen. Über eine Veränderung der Drehzahl wird die Geschwindigkeit geregelt.

Vor einigen Wochen erfolgte nahe München das Anschalten des sogenannten „Iron Bird“. Der „Eisenvogel“ ist ein Bodenprüfstand, der bei der Entwicklung von Luftfahrtfahrzeugen zum Testen eingesetzt wird. Auf diesem vollelektronischen Prüfstand kann die gesamte Antriebskette unter Höchstlast erprobt werden. Flugzustände werden simuliert. Und es kann geprüft werden, wie bei partiellen Ausfällen Schäden am Gesamtsystem verhindert werden. Mitte des Jahres soll das System nach erfolgreichen Tests in den Prototypen eingebaut werden, bevor der Cityairbus zum Erstflug nach Manching bei Ingolstadt transportiert wird.

„In der Anfangsphase wird es noch einen Piloten geben“, sagt Bebesel. „Er wird allerdings nur in Notfällen eingreifen, zum Beispiel bei einem Vogelschwarm.“ Die Fähigkeit zu autonomen Starts und Landungen sowie zum autonomen Fliegen auf „Highways in the Sky“ habe die Maschine bereits. So könnten die neuen Transportmittel in Höhenabständen von jeweils 100 Fuß auf unsichtbaren Autobahnen übereinanderfliegen. Damit es zu keinen Zusammenstößen kommt, gibt es ein Sense-and-avoid-System. Sensoren testen die Umgebung automatisch ab und sorgen für Ausweichmanöver.

Cityairbus kann nahezu überall starten und landen

Der Demonstrator soll bis zu 15 Kilometer weit fliegen können. „Für den Cityairbus peilen wir eine Reichweite von 50 bis 60 Kilometern an, die Reisegeschwindigkeit soll bei 120 Kilometern pro Stunde liegen“, sagt Bebesel. Dann fliege er am effizientesten – und wäre damit mehr als doppelt so schnell wie der rollende Verkehr. Erwartet wird, dass die Batterien in 30 Minuten voll aufgeladen werden können. In das Fluggerät passen am Anfang neben den Piloten drei Passagiere. „Die zweite Stufe ist das vollautonome Fliegen“, sagt Bebesel. Der Pilot könnte für einen vierten Passagier weichen. Mit Kollegen aus Hamburg befinde man sich bereits in Gesprächen über Kabinenkonzepte. Das Airbus-Werk auf Finkenwerder ist in dem Bereich konzernweit das Kompetenzzentrum.

Der Cityairbus hat Außenmaße von acht mal acht Metern. Damit sei er kleiner als der kleinste Helikopter und man könne eigentlich überall mit ihm starten und landen. Am Anfang werde es sicherlich spezielle Start- und Landeplätze geben. „Die klassische Mission ist vom Flughafen in die City“, sagt Bebesel. Für eine Stadt wie London wären insgesamt rund 200 Start- und Landeplätze sinnvoll. Die Berechnung erfolgte analog zu den U-Bahn-Stationen, sagte Bebesel. Auf Hamburg umgerechnet wären das knapp 100 Stück. So ein Netz ermöglicht neue Nutzungen: zum Kino, Konzert, HSV-Spiel oder Restaurant-Besuch wird nicht mehr gefahren, sondern geflogen.

Damit viele Taxiflüge gleichzeitig durchgeführt werden können, ist zusätzlich allerdings auch ein Air-Traffic-Management-System notwendig, also ein System, das den Luftverkehr regelt. Die erste Pilotanwendung dazu könne 2021/2022 starten. In welcher Stadt ist noch offen. Fünf bis 20 Cityairbusse sollen anfangs eingesetzt werden.

Wenn der Erstflug gut gehe, könne man die Produktion schnell hochfahren, sagt Projektchef Bebesel: „Wir haben sehr kurze Entwicklungszyklen. Die Serienproduktion könnten wir innerhalb von drei Jahren starten.“ Vielleicht ist es bald kein fernes Zukunftsszenario mehr: Um Staus zu verhindern, gehen die Hamburger Verkehrsteilnehmer buchstäblich in die Luft.