Hamburg. Wertvolle Zutaten werden eingespart und durch billigere Inhaltsstoffe ersetzt, so der Vorwurf der Verbraucherschützer. Die große Liste.

Der Fall hatte im vergangenen November für Schlagzeilen gesorgt. Nutella sah plötzlich anders aus. Die beliebte Nuss-Nougat-Creme, die für viele Deutsche zum perfekten Frühstück dazugehört, erschien deutlich heller. Über Kunden wurde die Verbraucherzentrale Hamburg (vzhh) auf den Fall aufmerksam und brachte ihn an die Öffentlichkeit.

Mit einem Blick auf die Etiketten von alten und neuen Gläsern stellte sie fest, dass der Magermilchpulveranteil von 7,5 auf 8,7 Prozent gestiegen war. Die Lebensmittelexperten Silke Schwartau und Armin Valet hatten noch eine zweite Vermutung. Im Gegenzug müsste der Kakaoanteil gesunken sein – und erhielten durch eine Untersuchung nun recht.

„Ein von uns beauftragtes Labor ermittelte in der alten Variante der Schokocreme einen Kakaoanteil von etwa 8,5 Prozent und im neuen Nutella nur noch von rund 7,4 Prozent“, sagt Valet. „Die Laborwerte belegen schwarz auf weiß, dass wir mit unserem Verdacht der Wertminderung richtig lagen.“ Hersteller Ferrero hatte im Stillen die Rezeptur geändert.

Wertvolle Zutaten durch Aromen ersetzt

In einer Stellungnahme sprach das Unternehmen von einer „Feinjustierung“, die einen minimalen Anteil des gesamten Produkts betreffe, bezifferte den Kakaogehalt auf Anfrage aber nicht. Für Valet ist das eine verharmlosende Umschreibung für eine Verschlechterung der Ware.

Vom Fall Nutella ausgehend nahmen die Verbraucherschützer weitere Produkte unter die Lupe. Sie wurden bei einer Reihe von Herstellern fündig. Sie hatten entweder ohne Ankündigung oder mit Slogans wie „verbesserte Rezeptur“ die Inhaltsstoffe geändert – letztlich aber nichts anderes getan, als wertvolle Zutaten wie Kakao, Haselnüsse oder Rapsöl eingespart und durch billigere Inhaltsstoffe oder Aromen ersetzt, also ein sogenanntes Downgrading betrieben. „Durch Downgrading wollen Lebensmittelkonzerne meistens Rohstoffkosten einsparen, legen die Karten jedoch nicht offen auf den Tisch“, sagt Schwartau. Dabei würden häufig angebliche Kundenwünsche zur Begründung herangezogen.

Die beiden Hamburger wollten es genau wissen und stiegen in ihr eigenes Archiv ein. Dort haben sie in den vergangenen Jahren die Zutatenlisten von zig Produkten abgelegt und verglichen die alten Listen mit neuen Angaben. So erstellten sie eine Liste von 17 Produkten, bei denen die Hersteller die Ware „downgradeten“.

Überraschend war für Schwartau und Valet, die bundesweit als Lebensmittelexperten gefragt sind, dass auch viele Markenhersteller unter den Tricksern sind. Das Abendblatt dokumentiert die Liste der Verbraucherzen­trale, die Valet nur für „die Spitze des Eisberges“ hält:


Homann Milder Eiersalat: Der Anteil der Eier sank von 58 auf 50 Prozent. Negativ fiel zudem auf, dass zwei Konservierungsstoffe neu in das Produkt kamen. Positiv: Der Salzgehalt wurde von 1,8 auf 0,61 Prozent reduziert. Homann warb mit dem Slogan „Neue Rezeptur“ und hält den „verbesserten milden Eiersalat“ für „geschmacklich ausgewogen“. Ein Hinweis auf das Senken des Eieranteils fehlt im Schreiben, bemängelte die vzhh und stellte fest, dass in einer früheren Version der Eieranteil sogar bei 63 Prozent lag.


Milka Nussini Waffelschnitte: Der Anteil der Haselnüsse sank von 14 auf 9,5 Prozent. Statt der früher verwendeten Haselnusscreme wird nur noch Creme mit Haselnussgeschmack verwendet. Hersteller Mondelez sprach von einer Weiterentwicklung und Modernisierung des Riegel-Sortiments, um den Konsumenten „Geschmackserlebnisse zu bieten, die mit dem Zeitgeist gehen“. Für Valet ist das eine ungenierte Umschreibung von Downgrading: „Haselnüsse sind mit Abstand das Teuerste an einem Nussini. Da gilt es nur, die Rohstoffkosten zu senken.“


Kellogg’s Schoko-Tresor: Der Anteil von Haselnüssen sank von einst 4,5 auf zwei Prozent, von Schokolade von 4,5 auf vier Prozent, auf Mandeln wird nun ganz verzichtet. Die Kritik der Verbraucherschützer ist die gleiche wie bei Nussini, Kellogg’s äußerte sich auf wiederholte Anfrage nicht.


Rama Dreiviertelfettmargarine: Der Anteil des Rapsöls sank von 46 auf 36 Prozent, dafür wurde mehr Wasser eingesetzt. Hersteller Unilever antwortete, man wolle die Marke Rama aktuell halten und den „Bedürfnissen der Verbraucher“ entsprechen, die eine leichte und cremige Textur bevorzugen. Valet hält das für eine Ausrede, dass wertvolles Rapsöl eingespart wurde.


Krüger Cappuccino Fein & Cremig: Statt 15 Prozent löslichen Bohnenkaffees sind es nur noch zwölf Prozent. Der Zuckeranteil kletterte von 60,4 auf 65,2 Prozent. Man habe einen anderen Kaffee verwendet und daher den Anteil gesenkt, um den Geschmack zu erhalten, teilte Krüger mit und sprach von kontinuierlichen Sensorik-Tests, um den Geschmack des Verbrauchers zu treffen. Die vzhh findet, dass den Verbrauchern die Schuld in die Schuhe geschoben werden soll. Erwarten sie wirklich weniger des teuren Kaffees?


Provamel Mandeldrink ungesüßt: Der Mandelanteil wurde um 1,5 Punkte auf fünf Prozent reduziert, dafür wurden zugleich Zusatzstoffe beigemengt. Hersteller Alpro nannte besseres Geschmacksprofil und angenehmere Konsistenz als Gründe. Valet bezweifelt, dass die Kunden weniger Mandeln im Produkt möchten.


Arko Hütchenpralinen: Statt 25 Prozent Zartbitterschokolade sind es noch 16 Prozent. Der Zuckeranteil stieg um sieben Punkte auf 73 Prozent. Arko gab einem Lieferantenwechsel die Schuld für die veränderte Rezeptur, weil der alte Hersteller die Ware aus dem Programm genommen habe. „Arko stellt sich als das Opfer seiner Lieferanten dar, die angeblich die Rezeptur bestimmen“, sagt Valet. Normalerweise bestimmen diese aber die Auftraggeber.


Weight Watchers Mini Frikadellen:
Das Produkt enthält nur noch 75 statt zuvor 80 Prozent Schweinefleisch, dafür mehr Wasser. Weight Watchers führt die Rezeptveränderung auf einen Lizenznehmerwechsel zurück. Die Kritik der vzhh ist die gleiche wie bei Arko.


Rewe Bio Honig-Dinkel:
Statt 30 Prozent sind nur noch 20 Prozent Honig drin. Rewe spricht von einer branchenüblichen Rezepturanpassung. Die vzhh stößt sich vor allem daran, dass trotz des geringeren Honiganteils der Name von der früheren Bezeichnung „Dinkel-Pops“ auf „Honig-Dinkel“ abgeändert und damit mit der wertvollen Zutat „aufgehübscht“ wurde.


Kölln Müsli Schoko Kirsch: Der Schokoladeanteil sank von zehn auf sieben Prozent, der Kakaoanteil in der Schokolade von 60 auf 40 Prozent. Kölln begründete dies mit „dem Wunsch unserer Verbraucher nach einem weniger intensiven Schokoladengeschmack“. „Wieder sind die Verbraucher schuld, sie wünschen sich angeblich bei einem ,Schoko-Kirsch-Müsli‘ weniger Schokoladengeschmack“, sagt Valet und bezweifelt, dass die Kunden dies wirklich wollen. Er kritisiert zudem, dass mehr getrocknete Cranberrys als gefriergetrocknete Kirschen in dem Kirsch-Müsli sind. Positiv hob er hervor, dass der Anteil von Zucker von 17,1 auf 16 Prozent sank und von Vollkorn-Haferflocken von 67 auf 69 Prozent stieg.


Tip Milchreis mit Kirschen: Wasser löste Reis als wichtigste Zutat ab, der Reisanteil sank, dafür macht Zucker nun 13 statt zuvor 11,4 Prozent aus. Real als Hersteller der Eigenmarke sprach von einer Optimierung von Cremigkeit und Mundgefühl. Fragen zum geringeren Reisgehalt und höheren Wasserzusatz wurden nicht beantwortet.


Meßmer Brennnessel Mischung: Der Brennnesselanteil sank um elf auf 51 Prozent. Meßmer begründet die Rezeptveränderung mit einer begrenzten Verfügbarkeit des Rohstoffs in der geforderten Qualität. Valet findet, dass die Deklaration „Brennnessel-Mischung“ einen höheren Gehalt als 51 Prozent suggeriert.


Hütten Schmaus Schinken Hörnli von Knorr: Statt Milchzucker wurde Glukosesirup verwendet. Hersteller Unilever teilte mit, durch Zutatenaustausch die Cremigkeit erhöht zu haben. Die vzhh bezweifelt das und vermutet eine preiswertere Alternative.


Milbona Dessert mit Sahne: Der Sahneanteil sank von zwölf auf elf Prozent. Lidl als Hersteller der Eigenmarke verweist auf Kunden, die das gewünscht hätten, und spricht von einem leicht erhöhten Kakaoanteil. Valet bezweifelt, dass die Verbraucher bei einem „Dessert mit Sahne“ weniger Sahne wünschen. Zudem sei der Verweis auf mehr Kakao falsch, der Anteil blieb laut Verpackung bei 1,4 Prozent.


Dany Sahne Schoko: Hersteller Danone setzt nach einer Rezepturänderung zusätzlich Glukose-Fruktosesirup ein und betont, bis 2020 den Zucker- und Kaloriengehalt senken zu wollen. Warum dieses Ziel mit der Rezeptänderung nicht gleich angegangen wurde, versteht Valet allerdings nicht.


Vitalis Früchtemüsli: Es gibt mehr gezuckerte Früchte, der Zuckeranteil steigt von 26 auf 27 Prozent, der Vollkornanteil sinkt um 4,5 Punkte auf 47,5 Prozent. Gut: Wurde früher Aroma zugesetzt, entfällt das nun. Hersteller Dr. Oetker wirbt mit einer „verbesserten Rezeptur“. Verbraucher hätten in Sensoriktests signalisiert, dass sie eine weichere Konsistenz und einen intensiveren Fruchtgeschmack wünschten. Daher seien eher geschmacksneutrale Früchte wie geröstete Bananenscheiben mit intensiveren wie Cranberrys getauscht worden. Die vzhh kritisiert, dass zusätzlich gezuckerte Früchte keine „intensiver schmeckenden Trockenfrüchte“, sondern zuckrig schmeckende Süßigkeiten seien. Letztlich würde den Kunden die Verantwortung zugewiesen, da sie sich „intensiv schmeckende Fruchtsorten“ wünschen.