Hamburg. Situation hat sich verschärft. Lichthof Theater in Bedrängnis. Die Künstler fordern ein grundsätzliches Umdenken.
Der Weg ins Lichthof Theater führt in Bahrenfeld in den zweiten Stock eines unscheinbaren Backsteinbaus, vorbei an einem Kampfsport-Zentrum und einem Yoga-Studio. Die Theatergänger kommen dennoch gerne hierher. Um Ex-Thalia-Schauspielerin Judith Rosmair auf der Bühne zu erleben oder anerkannte junge Regisseure wie Clara Weyde oder Henri Hüster. Auch Nino Haratischwili, hoch gelobte Hamburger Autorin („Das achte Leben (Für Brilka)“) und Regisseurin, inszenierte hier erste eigene Texte.
Matthias Schulze-Kraft, seit 2008 künstlerischer Leiter des Lichthof Theaters, ist dennoch nachdenklich dieser Tage. Die Jurys haben über Projektanträge in Tanz, Theater, Performance, Musiktheater und Kinder- und Jugendtheater entschieden und 31 Förderungen der Behörde für Kultur und Medien vergeben – doch wo für das Lichthof Theater zuletzt fünf bis acht Förderungen die Regel waren, sind es für die Spielzeit 2018/2019 nur zwei.
Viele grundsätzliche Fragen
„Das bedeutet ganz praktisch, dass wir nicht wissen, wie wir eineinhalb Monate unseres Spielplans bestreiten können“, sagt Schulze-Kraft. „Wir stellen eine Infrastruktur zur Verfügung, deren Nutzung extrem vom good will einer Jury abhängt.“ Der Schock sitzt auch so tief, weil die Entwicklung am Lichthof eigentlich seit zehn Jahren in eine andere Richtung weist. Immer mehr Künstler entdecken das Haus in der Mendelssohnstraße 15 als Präsentations- und Probenort mit idealer Größe und Betreuung. Da gilt es, das erarbeitete Profil aufrechtzuerhalten. Aber wie? Gastspiele oder Vermietungen wären für Schulze-Kraft die letzte Wahl.
Die schwierige Lage des Lichthof Theaters berührt viele grundsätzliche Fragen des gegenwärtigen Fördersystems, die derzeit auch den Dachverband freie darstellende Künste Hamburg e. V. beschäftigen. In diesen Tagen ist ein Konzeptionspapier zum Auf- und Ausbau der Förderstrukturen der freien Szene an die Kulturbehörde gegangen. Der Zeitpunkt ist kein Zufall. Die Verhandlungen zum Doppelhaushalt 2019/2020 stehen an. „Die freie Szene hat sich in den vergangenen zehn Jahren stark verändert“, so die stellvertretende Leiterin des Dachverbands, Barbara Schmidt-Rohr.
Siinguläre Finanzspritzen
Die freien darstellenden Künste in Hamburg galten noch nie als auskömmlich finanziert. Zuletzt gab es singuläre Finanzspritzen und eine höhere Festivalförderung, der Gesamtetat liegt bei 1,06 Millionen Euro. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Zum Vergleich: Gerade hat die Stadt Frankfurt eine Förderung von drei Millionen Euro jährlich für die freie Szene etabliert. Bei weniger als halb so vielen Einwohnern wie Hamburg.
„Die Kulturpolitik hat anderswo verstanden, dass die freie Szene die dritte Säule der Theaterlandschaft ist. Jede vierte Theaterproduktion entsteht inzwischen in der freien Szene“, so Schmidt-Rohr. „Es ist Tatsache, dass die freie Szene für die künstlerische Entwicklung der Theaterkunst längst eine maßgebliche Rolle spielt. Da braucht es eine kulturpolitische Entscheidung, die das auch anerkennt.“
Die Tücke steckt wie so häufig im Detail. „Durch das Einhalten von Mindesthonoraren werden die einzelnen Projekte eher teurer, gleichzeitig gibt es einen Ansturm an wirklich guten Projekten, da geht die Schere zwischen dem, was man fördern müsste, und dem, was man kann, immer weiter auseinander“, meint Schulze-Kraft.
Das Konzeptionspapier legt nun einen Katalog an Empfehlungen vor, der in der Hamburger Szene inklusive aller Spielstätten abgestimmt wurde. Im Zentrum steht die Erhöhung der Projektförderungen, aber auch die Bereitstellung günstiger Arbeitsräume und einer besseren technischen und personellen Ausstattung. Die detailliert hergeleitete Empfehlung läuft auf eine Erhöhung der Mittel auf 3.207.500 Euro im Jahr und eine einmalige Aufwendung von 23.000 Euro hinaus.
Es wird in allen Bereichen ausgebildet
Die Situation in Hamburg hat sich auch dadurch verschärft, dass in allen Bereichen ausgebildet wird und die Absolventen des Studiengangs Performance Studies oder auch die Regiestudierenden der Theaterakademie neben dem Stadttheater zunehmend die freie Szene als Arbeitsort entdecken. Mit der Ausbildung in der Tasche erhalten sie mit Glück eine Nachwuchsförderung für ein Projekt; dann sind sie meist gezwungen, andere Städte anzusteuern. „Hamburg muss sich überlegen, ob es Ausbildungsmaschine für den nationalen Markt sein oder einen Raum schaffen will, sodass die Leute hier mit einer längerfristigen Perspektive arbeiten können“, so Schulze-Kraft.
Weil immer mehr junge Künstler sich interdisziplinär aufstellen und die Mittel für den Tanz in Höhe von 240.000 Euro einem Gesamttopf für Sprechtheater, Kinder- und Jugendtheater und Performance von 255.000 gegenüberstehen, werden in der laufenden Förderrunde im Tanz sowie im Kinder- und Jugendtheaterbereich jeweils acht von 30 Anträgen bewilligt, im Förderbereich Sprechtheater, Musiktheater, Performance von stolzen 62 Anträgen aber nur sieben, darunter nur zwei reine Sprechtheaterprojekte. Zudem hat die Jury in diesem Jahr eher teurere Projekte gefördert, die sich häufig überhaupt nur auf Kampnagel realisieren lassen. Kleinere Spielstätten haben das Nachsehen. In einem ausführlichen Kommentar mahnte die Jury, die deutlich mehr Projekte als förderungswürdig bewertet hat, die Unterfinanzierung detailliert an.
Signal ist in der Kulturbehörde angekommen
Das Signal ist in der Kulturbehörde angekommen. Man nehme die Hinweise sehr ernst und sei bestrebt, weitere Fördergelder für die Szene bereitzustellen, heißt es aus der Behörde auch mit Blick auf die anstehenden Haushaltsverhandlungen. Der Dachverband plant weitere Aktionen. Mit einem „Spielzeitkalender“, der auch alle relevanten Künstler aufführt, die nicht gefördert wurden, soll auf das Potenzial der Szene verwiesen werden. Podiumsdiskussionen mit kulturpolitischen Vertretern auch anderer Städte sind geplant.
Matthias Schulze-Kraft ist das im Moment alles kein Trost, aber er will sich nicht unterkriegen lassen. Man könne nicht aus der diesjährigen auf die allgemeine Situation schließen, in der das Lichthof Theater eine Lücke zwischen kleineren Bühnen und Kampnagel schließt, in der Künstler sich von der lokalen in eine überregionale Szene entwickeln könnten. „Hamburg muss begreifen, dass hier ein Haus mit hoher Qualität existiert, das entsprechend ausgestattet sein muss.“
Einige der abgelehnten Künstler suchen nach Wegen, ihre Arbeiten irgendwie doch noch zu realisieren. „Im Moment ist es so, dass ein wesentlicher Teil unserer Inhalte nicht stattfinden kann“, sagt Matthias Schulze-Kraft. „Aber ich glaube daran, dass Hamburg noch aufwacht.“