Hamburg. Preisgekröntes Projekt der Polizeiakademie enthüllt, wie die Navigation selbst für Laien zu manipulieren ist – mit weltweiten Folgen.

Als Experten der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung (BSU) die Ursache für eine Kollision ermitteln wollten, die sich in einer Nacht des 5. September 2014 in der Kieler Förde ereignet hatte, standen sie vor einem Rätsel. Bei guter Sicht waren in Höhe des Leuchtfeuers Friedrichsort die Frachter „RMS Bremen“ und „Francisca“ ineinandergekracht. Dabei hätte es laut den Aufzeichnungen der Geräte an Bord gar nicht dazu kommen können.

566 Meter betrug der Abstand zwischen den GPS-Antennen der beiden Schiffe laut nachträglicher Auswertung zum Zeitpunkt der Kollision. Störungen an den baumustergleichen GPS-Empfängern, die den Standort mit einer Genauigkeit von acht bis 13 Metern messen, wurden nicht nachgewiesen. Auch setzten die Systeme keine Warnung ab. Schlussfolgerung der Sachverständigen: „Offensichtlich handelte es sich um GPS-Fehler.“

Was, wenn die Empfangsgeräte manipuliert wurden? Entsprechende Indizien konnten die BSU-Experten zwar nicht ermitteln. Und doch wäre es durchaus möglich, wie ein Team der Hamburger Akademie der Polizei herausgefunden hat. „Derzeit gibt es dagegen gar keinen wirksamen Schutz“, sagt Professor Wilfried Honekamp.

Störgeräte für wenige Hundert Euro

Er leitet das Projekt „Identifikation von Cyberrisiken bei der elektronischen Navigation von Schiffen“, das jetzt in der Handelskammer mit dem Hamburger Sicherheitspreis ausgezeichnet wurde. Zwei Jahre lang haben Honekamp und seine Mitarbeiter Stefan Sielaff, Andreas Blokisch und Jörg Mielke nach Sicherheitslücken in den gängigen Navigationssystemen gesucht. Die Wasserschutzpolizei und das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) stellten für das Projekt ihre Schulungs- und Referenzanlagen zur Verfügung.

Das Ergebnis lässt aufhorchen. Honekamp: „Elektronische Seekarten lassen sich relativ leicht verändern, ohne dass die Manipulation erkennbar wäre.“ Braucht es dafür noch Zugang zum Navigationssystem, lassen sich GPS-Anlagen auch von außen beeinflussen – mit potenten Störgeräten (Jammern), die bereits für wenige Hundert Euro erhältlich sind.

Zwar erkennen die Empfangsgeräte auf den Schiffen solche Manipulationen für gewöhnlich. „Aber wir konnten nachweisen, dass unter bestimmten Umständen GPS-Daten falsch interpretiert werden, ohne dass die Geräte den Fehler melden“, sagt Honekamp.

Möglicher Millionenschaden

Eine Erkenntnis, die das Spektrum möglicher Manipulation deutlich erweitert. Glaubte man bisher, dass nur Crewmitglieder mit Insiderwissen Schiffe auf Kollisionskurs bringen konnten, weiß man jetzt, dass dies auch Laien möglich ist.

Die Folgen sind kaum zu überblicken. Was, wenn jemand auf die Idee käme, eine Reederei, gar die ganze Stadt zu erpressen? Schon ein Tag, an dem die Elbe wegen eines havarierten Schiffes nicht passierbar wäre, würde die Hafenwirtschaft Millionen kosten.

Alternativen: Sicht – und Radar?

Beim BSH ist man bereits hellhörig geworden. Die Seeschifffahrt sei weltweit für das Problem der Sicherheitslücke sensibilisiert, sagt Honekamp. „Aber bis die nötigen Schutzmaßnahmen durch die internationalen Gremien gehen, wird einige Zeit vergehen.“ Einstweilen könne er nur empfehlen, nicht nur blindlings der Elektronik zu vertrauen: „Es gibt auch weitere Navigationsmittel: Sicht und Radar.“ Ob und wie man auch Letzteres manipulieren kann, wollen Honekamp und sein Team im nächsten Projektschritt ermitteln.

Die verantwortlichen Wachoffiziere auf den Brücken der „RMS Bremen“ und der „Francisca“ hatten sich offenbar ganz auf ihre elektronische Seekarte verlassen. Ihnen empfahl die BSU in ihrem Gutachten, „die Schiffspositionen in küstennahen Gewässern fortlaufend mit zwei unabhängigen Systemen ... zu überprüfen sowie insbesondere nachts den Ausguck einzubeziehen“.