Hamburg. Als Erster Bürgermeister schlief von Beust schlecht. Er schildert, warum er oft müde war – und welche Gefahren das Amt noch hat.
Während Hamburg darüber diskutiert, wer nach dem wahrscheinlichen Wechsel von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) nach Berlin neuer Senatschef im Rathaus wird, gibt sein Vor-Vorgänger einen ungewohnten Einblick in sein Seelenleben während seiner Regierungszeit. Ole von Beust, mittlerweile 62 Jahre alt, war als Bürgermeister der Hansestadt von 2001 bis 2010 außerordentlich populär. Als „Aktenfresser“, der bis spät in die Nacht in seinem Eckbüro im Rathaus Vorlagen und Berichte las, galt der CDU-Politiker indes nicht. Auch seine Neigung, Abendveranstaltungen selten nach 22 Uhr zu verlassen, war stadtbekannt – und bisweilen Anlass für Spott. Dahinter steckte Prinzip, erzählte von Beust jetzt der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Denn: Er schlafe einfach gern.
Dass dies nicht unbemerkt blieb, weiß von Beust. „Am Anfang wurde gefragt: Warum geht der so früh? Es wurde auch gespottet, ah, der will nur nach Hause. Fauler Typ und so“, erzählte er freimütig. Der frühere Berliner Senatschef Klaus Wowereit, der selbst als Party-Bürgermeister galt, veräppele ihn bis heute als Langweiler, weil er immer so früh gegangen sei. „Aber wenn man das ehrlich sagt, dann gewöhnen sich die anderen auch daran. Wichtig ist, es generell bei allen Gelegenheiten so zu halten. Wo es einem gut gefällt, länger zu bleiben, und wo man ohnehin froh ist wegzukommen, früh abzuhauen – das geht nicht, da sind die Leute beleidigt“, hat von Beust beobachtet.
Ein Naturell wie Kanzlerin Merkel hat von Beust nicht
Bei Verhandlungen sei das natürlich anders, da könne man nicht einfach mittendrin aufstehen und gehen, so der 62-Jährige. „Da heißt es dann leiden.“ Insofern dürfte von Beust die Unterhändler von CDU und SPD um ihren Koalitions-Verhandlungsmarathon der vergangenen Woche nicht beneiden. Er sei eben nicht so wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die „eine beneidenswerte Gesundheit, ein beneidenswertes Naturell“ habe. „Ich kann das nicht“, so von Beust. Er brauche seinen Schlaf. Im Übrigen habe er in seiner Regierungszeit oft schlecht geschlafen. „Todmüde wie ein Stein ins Bett gesunken. Dann gegen 4 Uhr morgens aufgewacht. Da geht einem viel durch den Kopf.“ Und er habe mit niemandem darüber reden können. Die Einsamkeit an der Spitze.
Auch andere Einsichten von Beusts darf SPD-Fraktionschef Andreas Dressel, der Favorit für die Scholz-Nachfolge, als Ratschlag verstehen, wenn er möchte. Beim Alkohol nämlich, sagte von Beust der „Allgemeinen Frankfurter Sonntagszeitung“, müsse man als Spitzenpolitiker „höllisch aufpassen“. Wenn er Alkohol trinke, werde er fröhlich und leutselig, bekennt der Altbürgermeister, und das könne sich bitter rächen. „Man redet an der Bar dann auch mal Mist, und die Duzerei fängt an, gerade auf Auslandsreisen.“ Solche Situationen habe er immer zu vermeiden versucht. Vermutlich ist das die Erklärung dafür, dass sich Beust auch auf seinen Delegationsreisen ins Ausland meist streng an seine 22-Uhr-Regel hielt und nach dieser Uhrzeit praktisch nie in geselliger Runde gesehen wurde.
Aufpassen beim Essen!
Zweite Gefahr im Leben eines Bürgermeisters: das Essen. „Auch da heißt es aufpassen“, so von Beust. „Eigentlich steht immer etwas zu essen rum.“ Die Tagungskekse beispielsweise seien gefürchtet. „Irgendwann fängt man an zu futtern. Aus Langeweile oder aus Hunger.“ Die Speisekarten, die vor offiziellen Staatsempfängen veröffentlicht werden, klängen meist ganz toll. „Aber jeder Koch kann sich noch so viel Mühe geben, wenn er für 300 Leute kocht, ist es nie so toll. Das Gemüse verkocht, das Essen zu kalt. Bei offiziellen Anlässen ist es kein feierliches Essen, sondern eher Nahrungsaufnahme.“ Das dürfte der jetzige Bürgermeister Scholz ähnlich erlebt haben. Er kämpfte mit festen wöchentlichen Laufterminen und Rudern auf der Alster gegen die negativen Folgen an.
Leutselig – aber nicht gesellig
Im Interview räumt Ole von Beust auch endgültig mit einem Missverständnis auf. Als Bürgermeister wie auch zuvor als Oppositionschef trat der CDU-Politiker stets ausgesprochen leutselig, umgänglich und verbindlich auf, was manchen zu dem Irrtum verleitete, er sei kommunikativ und gern unter Leuten. Doch besonders gesellig sei er in Wahrheit nicht, bekannte von Beust jetzt. Bei den regelmäßigen Treffen der CDU-Ministerpräsidenten am Vorabend von Bundesratssitzungen sei der informelle Teil am späteren Abend nichts für ihn gewesen. „Man spricht über die allgemeine Lage und das Leben an sich. Da gehe ich lieber und lese im Bett noch einen schwedischen Krimi“, bekannte von Beust. Als Freunde habe er die anderen Ministerpräsidenten seiner Partei ohnehin nicht gesehen, sondern als Kollegen. „Das kam nicht so gut an.“
Die Müdigkeit nach 22 Uhr zu bekämpfen – das findet von Beust „enorm anstrengend“. Und sieht keinen Grund, sich um weniger Schlaf zu bemühen. „Ich sehe daran nichts Ehrenrühriges.“
Die Hamburger taten dies offenbar auch nicht. Sie haben ihn dreimal zum Bürgermeister gewählt.