Vor 60 Jahren wurden die Hochhäuser fertiggestellt. Sie galten als Avantgarde – nun sind sie reif für die Abrissbirne.
Häuser sind Kinder ihrer Zeit. Für kaum ein Gebäude gilt diese Wahrheit so wie für den umstrittenen City-Hof. Viele Hamburger halten die vier Hochhausscheiben am Hauptbahnhof für eine Bausünde und würden sie lieber heute als morgen niederreißen; andere kämpfen für den Erhalt dieses Zeugnisses der Nachkriegsmoderne. Und wie so oft gilt: Es gibt nicht die eine Wahrheit. Allerdings befindet sich der Bau, in dem noch das Bezirksamt Mitte zu Hause ist, in bemitleidenswertem Zustand: Die Wände haben lange keinen Anstrich mehr gesehen, Graffiti und Dreck verschmutzen die Passage, die verwaist da(nieder)liegt. Die Schaufenster sind blind oder abgeklebt, in einem ehemaligen Geschäft stehen die Mülleimer. Wer hier schlendert, wähnt sich nicht in Hamburgs Innenstadt, sondern in den Außenbezirken von Wladiwostok.
Katastrophale Modernisierung
Das Gebäude ist ein Opfer falscher Stadtentwicklung und vor allem einer katastrophalen Modernisierung. Der ursprüngliche Bau des bekannten Hamburger Architekten Rudolf Klophaus, der über 30 Jahre die Hansestadt mitgestaltet hatte, überzeugte die Menschen gerade nach der Fertigstellung.
Anders als die dunklen Backsteinbauten, die Hamburg heute als Weltkulturerbe zur Ehre gereichen, mochten die Menschen damals die helle Moderne der Nachkriegsjahre. Mit seiner Keramikfassade und den braunen Holzfenstern gehörte der alte City-Hof zu einem beliebten Fotomotiv. Dem Architekten gelang ein Kontrast zum Kontorhausviertel und ein Anklang an die Moderne der 20er-Jahre.
Reisende, die am Hauptbahnhof ankamen, waren von den Hochhausscheiben begeistert. „Als wir morgens früh in Hamburg einliefen, haben mich die City-Hochhäuser schwer beeindruckt: Das ist eine Großstadt, dachte ich“, erinnert sich Ex-Finanzminister Manfred Lahnstein an seinen ersten Hamburg-Besuch.
800 Eisbeine serviert
Es war schon die dritte Klophaus-Idee, an dieser Stelle markante Hochhäuser zu errichten. In den 20er-Jahren hatte er Entwürfe für ein geplantes, aber nie realisiertes Messezentrum eingereicht; im Faschismus begann das NSDAP-Mitglied dort mit dem Bau des 17-stöckigen Verwaltungsgebäudes der Hochbahn. Der Krieg verhinderte die Vollendung, der vierstöckige Torso wurde abgerissen.
Neue Ideen präsentierte Klophaus im Oktober 1954 – damals sollte der Stahlbetonbau noch wie die Grindelhochhäuser mit gelbem Klinker verblendet werden. Im Juli 1956 – nach nur 14 Monaten Bauzeit – wurde Richtfest gefeiert, die privaten Bauherren servierten stolz 800 Eisbeine. 1958, ein Jahr nach dem Tod Klophaus’, wurde das Gebäudeensemble mit dem halbenglischen Namen am Johanniswall fertiggestellt.
Umbauten in der 70ern zerstörten die Ästhetik
Zeitgenossen schwärmten von so viel Modernität – die Fußgängerzone zwischen den Läden oder die „größte unterirdische Garage Hamburgs mit 470 Plätzen ... Aufzüge fahren bis ins unterste Kellergeschoß, so daß die im Hause arbeitenden Wagenbesitzer aus der Garage gleich in ihr Büro hochfahren können“, schrieb das Abendblatt.
Die Umbauten der 70er-Jahre zerstörten die Ästhetik des Gebäudes. 1972 ersetzen Kunststofffenster die alten Schwingflügel-Holzfenster, sechs Jahre später verschwanden die weißen Leca-Fliesen hinter abstoßenden grauen Eternitplatten. Der Schwan verwandelte sich in ein hässliches Entlein. Auch die Umbauten verfehlten ihr Ziel: Die Einkaufspassage funktionierte nie richtig. Als No-go-Area trennt sie Innenstadt vom Kontorhausviertel. Der langjährige Oberbaudirektor Jörn Walter sagte schon 2000, das Gebäude sei so marode, dass ein Abriss und anschließender Neubau sinnvoller seien.
„Bausünde“ genannt
Seit der Verschandelung hatten die Hochhausscheiben nur noch wenige Freunde in der Bevölkerung. Boulevardmedien bezeichneten sie gern als „Bausünde“, und in Umfragen stellten die Abrissfans stets die Mehrheit.
Doch das ficht Denkmalschützer und Architekten nicht an. Das Büro GMP hatte 2015 mit Hochtief den interessanten Plan entwickelt, das Gebäude zu sanieren und in seinen hellen Ursprungszustand zurückzuversetzen. Er sah 310 Wohnungen in den Bürotürmen vor, der Sockel sollte neu gebaut und mit drei gestaffelten Gastronomie-Terrassen zum Johanniswall belebt werden. Auf dem Dach sollten Windräder und Solaranlage die Energiebilanz verbessern. Wegen eines Formfehlers wurde der Entwurf ausgebootet – obwohl das Gebäude seit 2013 unter Denkmalschutz steht. „Die Stadt schafft einen Präzedenzfall, aufgrund dessen man den gesamten Denkmalschutz abschaffen kann“, grollte Volkwin Marg.
Kampf gegen den Abriss
Unverdrossen kämpft der Denkmalverein gegen den Abriss, der schon im Juli beginnen könnte. „Die Bauten gehören zu den ersten Hochhäusern, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Hamburg gebaut wurden, und besitzen mit ihrer eleganten Staffelung den Berg hinauf eine hohe städtebauliche Qualität“, sagt Kristina Sassenscheidt vom Denkmalverein. Sie dokumentierten Hamburgs Aufbruch in die Moderne und ständen daher als bedeutende Zeugnisse der Nachkriegsmoderne unter Denkmalschutz. „An den Klophaus-Gebäuden von Mohlenhof aus dem Jahr 1928 bis City-Hof drei Jahrzehnte später lässt sich der gesellschaftliche und politische Wandel der 1920er- bis 50er-Jahre ablesen wie aus einem gebauten Geschichtsbuch.“
Sie hofft auf eine breite öffentliche Debatte über den Umgang mit Baudenkmälern, die das neue Bündnis Stadtherz derzeit forciert. „Noch gibt es keine Genehmigung für den Abriss des City-Hofs, und nach Gesetzeslage dürfte es sie auch nicht geben“, sagt Sassenscheidt. Die Pläne für einen gestaffelten Neubau aus Backstein aber sind fertig: Der Hamburger Projektentwickler Aug. Prien will dort 140 Wohnungen, Büros, Gastronomie, Läden, ein Hotel und eine Kita errichten. Der Neubau soll das Quartier beleben. Die Gegner indes nennen den Neubau nur eine „Backsteinwurst“.