Hamburg. In seinem 111. Jahr zählt der Hamburger Nabu mit 23.000 Mitgliedern mehr als alle Parteien zusammen.
Zur Legendenbildung hätte der Storch besser gepasst, aber ehrlicherweise, sagt Rolf Bonkwald, war der Seeadler schuld. Jener stolze Greifvogel, der in Westeuropa fast ausgerottet war. Mit ihm hat alles angefangen. Es war 1978, der Chemielaborant war 31 Jahre alt, und in Bad Segeberg wurde jemand gesucht, der einen seltenen Seeadlerhorst bewacht. „Da habe ich mich gemeldet“, sagt Bonkwald. „So bin ich zum Naturschutzbund gekommen.“
39 Jahre später ist der Hamburger Nabu mit 23.000 Mitgliedern der größte Umweltverband der Stadt und erhält, gemessen an Zahlen, mehr Zuspruch als alle Parteien zusammen. Auch Rolf Bonkwald ist dabei geblieben, mehr noch: 20 Jahre lang war er Vorsitzender, erhielt das Bundesverdienstkreuz, ist aktuell Ansprechpartner für die Elbtal-aue und Vorsitzender der Nabu-Stiftung. Ein 70 Jahre alter Mann mit mehr Lach- als Sorgenfalten. Im 111. Jahr des Bestehens erfüllt der Nabu das Leben von Bonkwald. Vielleicht ein Grund, warum immer mehr Hamburger folgen.
Arten- und Biotopschutz
Die Entwicklung des Nabu in Deutschlands zweitgrößter Stadt kannte jedenfalls nur eine Richtung: nach oben. Als monothematischer Bund für Vogelschutz gegründet, waren Ornithologen wie Bonkwald die Väter und Mütter des Publikumserfolgs. Aus vogelkundlichen Wanderungen wurde Arten- und Biotopschutz, bevor spätestens in den 70er-Jahren auf umfangreiche Naturschutz- und Politikarbeit umgesattelt wurde. Themen wie Lebensraumverlust durch Industrie und Straßenbau sind bei anhaltender Flächenkonkurrenz nach wie vor Dauerbrenner. Als moderner Umweltverband bedient der Nabu heute nicht nur eine Art Lebensgefühl, sondern bietet auch niedrigschwellige Einstiegsangebote für Kinder, Erwachsene und Rentner.
Diese Vielfalt sei reizvoll, und zwar für Laien und Fachleuten gleichermaßen, sagt Ilka Bodmann. Auf den Nabu können sich viele einigen – Professoren, Maler, Lehrer. Mit 39 Jahren gehört Bodmann durchaus zur Zielgruppe derjenigen, die in der Mitte des Lebens stehen und entweder durch ihre „Fuchsmobil“-begeisterten Kinder mit dem Nabu in Berührung kommen oder sich von ganz allein fragen, ob Umweltschutz ihrem Leben nicht eine sinnvolle Facette hinzufügen könnte. „Bei mir war es meine ökologisch bewegte Familie“, sagt Bodmann. Irgendwann habe sie sich auf diese Wurzeln besonnen und hauptamtlich beim Nabu angefangen. Jetzt ist sie für die politische Lobby- und die intensive Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Grundrichtung trifft den Zeitgeist
Die Erfolgsgeschichte des Nabu empfänden sie als „sehr motivierend“, sagen sowohl Bonkwald als auch Bodmann. Trotz kleinerer und größerer Rückschläge – zuletzt musste der Nabu einräumen, dass die Zahlenbasis bei der aktuellen Volksinitiative „Hamburgs Grün erhalten“ nicht so belastbar wie angenommen war – treffe die Grundrichtung den Zeitgeist. „Viele wollen ihr grünes Wohnumfeld schützen, und da ist der Nabu meist der erste Ansprechpartner“, sagt Bonkwald.
Im Gegensatz zu Parteien könne sich der Verband fokussieren, müsse nicht alle komplexen Fragestellungen lösen. „Umso mehr ärgert es uns, wenn wir wie bei der Klage gegen die Elbvertiefung auf den Schierlings-Wasserfenchel reduziert werden“, sagt Bonkwald. Oder auf den Wachtelkönig bei der A 26. „Da ist der Ton, gerade aus Wirtschaftskreisen, oft unterirdisch“, sagt Ilka Bodmann. Andererseits bereite der anhaltende Zuspruch aus der Bevölkerung durchaus Genugtuung.
„Praktischer Umweltschutz“
Was früher der Streit um das Mühlenberger Loch war („Vielleicht meine bitterste Niederlage“, sagt Rolf Bonkwald), sind heute Luftreinhaltung, Stadtgrün, Flächenverbrauch. Die Themen gehen dem Nabu nicht aus. Im Gegenteil: Sie sind aktueller denn je, was auch den Zulauf beim anderen großen Umweltverband, dem BUND, erklärt. „Das waren anfangs alte Nabu-Leute“, sagt Bonkwald. „Denen waren wir früher nicht progressiv und politisch genug.“
Inzwischen streiten die Verbände oft Seite an Seite. Der Nabu bietet neben dem großen Ganzen aber auch „praktischen Umweltschutz“ vor der Haustür an, der schnelle Erfolgserlebnisse liefere. „Das trifft bei vielen den Nerv“, sagt Ilka Bodmann. Ein großes „Pfund“ sei zudem das grüne Netz der Stadt – die Naturschutzgebiete, die fast zur Hälfte vom Nabu verantwortet werden. An jeder Ecke wirbt der Verband dort als Informations- und Sympathieträger.
Manchmal sind es aber auch die kleinen Sachen, die entscheiden. „Mein schönstes Erlebnis ist Jahr für Jahr der Storchentermin, bei dem ich mit einer Hebebühne ins Storchennest gucken kann – großartig“, sagt Ilka Bodmann. Da lacht auch Rolf Bonkwald. Denn selbst wenn seine Nabu-Geschichte mit dem Seeadler begann. „Unser Wappentier, den Storch, habe ich trotzdem lieb.“