Hamburg. Ex-Fußballprofi Holger Stanislawski startet in seiner Filiale mit Test. Auch Konkurrenz reagiert auf höheres Gesundheitsbewusstsein.
Holger Stanislawski führt das Holzlöffelchen zum Mund, wiegt ein bisschen den Kopf und sinnt dem Geschmack hinterher, dann greift er sich das nächste Schälchen mit Schokopudding und probiert erneut. Kurz darauf steht das Ergebnis des Selbsttests fest. „Minus 30 Prozent schmeckt mir am besten“, sagt der frühere Fußballprofi und -trainer und heutige Co-Chef des Rewe-Centers Stanislawski und Laas an der Dorotheenstraße in Winterhude. Mit seinem Geschmacksurteil liegt Stanislawski auf einer Linie mit fast der Hälfte der Rewe-Kunden. 45 Prozent von ihnen wäre am liebsten, der Schokopudding der Eigenmarke „Rewe Deine Wahl“ würde künftig 30 Prozent weniger Zucker enthalten.
Statt 14 Gramm pro 100 Gramm nur noch 9,7. Die Lebensmittelkette weiß das so genau, weil sie die Kunden derzeit darüber abstimmen lässt. Es ist der Auftakt zu einer groß angelegten Überarbeitung der Rezepte aller Eigenmarken-Produkte. „Bis 2020 sollen alle überprüft und angepasst sein und dabei geht es sowohl um den Zucker- als auch um den Salzgehalt“, sagt Jochen Vogel, Vorsitzender der Geschäftsleitung bei Rewe Nord.
Eine Art Marktforschung
Den Anfang macht der Lebensmittelhändler mit dem Schokopudding und mit einer Probieraktion inklusive Abstimmung. Es ist eine Art Marktforschung. Rewe hat den Hersteller des Schokopuddings im hessischen Breuberg beauftragt, eine Million Viererpacks mit dem Dessert zu produzieren. Jeweils 85 Gramm mit der Originalrezeptur und drei Varianten, die 20, 30 oder 40 Prozent weniger Zucker enthalten – und auch keine Ersatzstoffe für den Süß-, aber auch Dick- und Krankmacher. Die Kunden können dann im Laden abstimmen, welcher Pudding ihnen am besten schmeckt.
Gestern Vormittag, gut zwei Wochen nach dem Start der Aktion, die noch bis zum 12. Februar läuft, war die Tendenz bereits ziemlich eindeutig: Nur 5,4 Prozent der bislang 70.000 Abstimmenden möchten, dass der Pudding so bleibt wie er ist, knapp jeder Fünfte (19,7 Prozent) hätte gern 20 Prozent weniger Zucker, knapp jeder Dritte (29,9 Prozent) sogar 40 Prozent. Der große Rest hält es wie Stanislawski: 30 Prozent weniger Zucker im Pudding schmeckt am besten.
Nicht der einzige Lebensmittelhändler
„In vielen Lebensmitteln steckt ja zu viel Zucker, nicht nur in Schokolade oder Marzipan“, sagt Stanislawski. Er ist überzeugt, dass die Pudding-Aktion (Slogan: „Wie viel Zucker brauchst du noch?“) einen Anstoß für ein größeres Ernährungsbewusstsein geben kann, mindestens aber zu einem Nachdenken über die Frage „Wie viel Zucker esse ich eigentlich?“
Rewe ist nicht der einzige Lebensmittelhändler, der gerade selbst umdenkt, aber der erste, der die Zuckerreduzierung konsequent vorantreibt. Der Discounter Lidl hatte schon Anfang 2017 angekündigt, den Anteil an zugesetztem Zucker und Salz in seinen Eigenmarken um je 20 Prozent verringern zu wollen – bis zum Jahr 2025. Auch Edeka und Aldi haben angekündigt, bei den Lebensmittel-Rezepturen stärker als bisher Gesundheitsfragen zu berücksichtigen.
Diskussion um Nährwert-Ampel
Womöglich ist das auch eine Reaktion auf die Diskussion um eine sogenannte Nährwert-Ampel. Sie würde auf Lebensmitteln anzeigen, wie hoch der Anteil an Fett, Zucker oder Salz in ihm ist – und wird von der Ernährungsindustrie abgelehnt. Rewe-Nord-Sprecherin Daniela Beckmann allerdings versichert, die Ampel-Diskussion sei nicht der Hintergrund für den vom Unternehmen gefassten Grundsatzbeschluss zur Überarbeitung der Eigenmarken-Produkte.
Beim Pudding hat dieser den willkommenen Nebeneffekt, dass die Kalorienzahl sinkt. Das Originalrezept hat 163 Kalorien pro hundert Gramm, die zuckerärmste Variante dagegen 149 Kalorien. Allerdings: Je weniger Zucker, desto mehr Fett. Bei der zuckerärmsten Variante sind es 9,1 Gramm pro hundert Gramm, beim Originalrezept sind es 8,5 Gramm. Rewe-Manager Vogel aber versichert: „Ernährungsexperten sagen, dass der Vorteil der Zuckerreduzierung sehr viel größer ist.“
Kunden „aktiv mitnehmen“
Die Abstimmung über den Zuckergehalt sei auch ein Weg, die Kunden „aktiv mitzunehmen“, sagt Stanislawski. Die Verbraucher sollen nicht bevormundet werden, sondern mitentscheiden. Jedenfalls beim Pudding. „Weitere solche Aktionen sind vorerst nicht geplant“, sagt Vogel. Allerdings ist jetzt schon klar, dass der Lebensmittelhändler die Umstellung der Rezepte mit hohem Tempo vorantreibt: Bis Jahresmitte sollen weitere 100 Eigenmarken-Produkte mit reduziertem Zuckergehalt in den Regalen stehen – vorwiegend in der Kühltheke. Zunächst werden vorwiegend die Rezepte von Milchprodukten wie Joghurt und Eis und bei alkoholfreien Erfrischungsgetränken verändert.
Große Markenhersteller animieren
„Natürlich besteht die Gefahr, dass es dem einen oder anderen nicht mehr so gut schmeckt, dass man Kunden verliert. Aber das haben wir vor der Abschaffung der Plastiktüten auch befürchtet, doch bei den Kunden ist das sehr gut angekommen“, sagt Stanislawski. Er hofft, dass der Vorreiter Rewe auch die großen Markenhersteller animieren kann, ihre Produkte gesünder zu machen. Bei Rewe fällt die Entscheidung über den Zuckergehalt des Puddings in den nächsten Wochen. Das Votum der Verbraucher sei für das Unternehmen bindend, versichert Jochen Vogel. Doch sehr zuckerhaltiger Pudding steht auch weiter in der Rewe-Kühltheke – er stammt dann allerdings von anderen Herstellern.