Hamburg. Yoga bringt immer mehr Menschen auf die Matte. Das Geschäft boomt – mit immer neuen kommerziellen Ideen. Zum Beispiel Skype-Yoga.
Vanessa Maempel beginnt die Kursstunde mit dem Sonnengruß. Die 34-Jährige steht im Yogaraum ihrer Wohnung in Eimsbüttel auf einer Matte und legt für die Ausgangsposition beide Hände vor dem Herz zusammen. Vor ihr steht ein aufgeklappter Laptop. Auf dem Monitor verfolgt die Gründerin des Start-ups Yoga2b, wie die fünf Teilnehmerinnen, Mitarbeiterinnen einer Hamburger Webdesign-Agentur, die Übung mitmachen – unter strahlend blauem Himmel auf einem Segelschiff im Mittelmeer und in Wohnungen in Paris und Bremen.
„Früher sind sie immer zusammen zum Yoga gegangen“, erzählt die 34-Jährige später. „Jetzt arbeiten sie im Homeoffice, und wir machen das per Skype.“ Das Modell hat sich bewährt. „Alle können mitmachen, egal wo sie gerade sind. Und ich kann auf die individuellen Bedürfnisse eingehen.“
Fester Bestandteil im Leben vieler Menschen
Yoga 2018. Eine eher ungewöhnliche Art für eine Übungsstunde, aber beim Yoga gibt es inzwischen kaum noch etwas, was es nicht gibt. Die vor 40 Jahren noch misstrauisch beäugte Lehre aus Indien ist heute fester Bestandteil im Leben vieler Menschen. Das ganze Land, möchte man manchmal meinen, tönt inzwischen „Om“.
Ständig werden neue Yogastile erfunden, Yoga wird mit Pilates, Walking oder Fahrradfahren kombiniert, und laufend kommen neue Produkte rund um Yoga auf den Markt. „Das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Entspannung und Ausgleich wächst“, sagt Jessica Fink vom Berufsverband der Yogalehrenden in Deutschland (BDY). „Der Alltag wird immer stressiger. Yoga ist eine Kraftquelle und ein Ruhepool.“ Die positiven Wirkungen regelmäßiger Praxis auf Körper und Seele sind allgemein anerkannt, wissenschaftlich nachgewiesen – und sogar krankenkassenfähig.
Weitere Professionalisierung wird erwartet
Knapp drei Millionen Deutsche machen regelmäßig Yoga. Das ergab eine Umfrage im Auftrag des BDY. Tendenz steigend. Spezialisierte Studios, immer mehr Sportvereine und Fitnesscenter bieten Kurse an. Wer etwas auf sich hält, weiß, dass „Asana“ eine Körperübung im Yoga bezeichnet, „Prana“ Lebensenergie bedeutet und eine „Yogini“ die weibliche Form eines Yogateilnehmers ist. Stars und Sternchen lassen sich mit Matte fotografieren und verleihen Yoga Glamourfaktor.
Allein in Hamburg existieren nach einer Studie des Online-Sportportals Fitogram zum Yogamarkt 151 Anbieter. Mit gut acht Studios auf 100.000 Einwohner liegt die Hansestadt unter den deutschen Metropolen im Mittelfeld. Das Angebot ist breit gefächert von den traditionsreichen Formen wie Hatha oder Kundalini bis zu Lach-Yoga oder Schüttel-Meditationen – und alle Mischformen. Es gibt Pausen-Yoga am Arbeitsplatz, Programme in Kitas, Seniorenheimen und im Knast. Sporthändler wie Sport- Scheck bieten Morgenyoga im Laden an. Und für alle, die lieber zu Hause üben, lassen sich im Internet unzählige Übungsvideos klicken.
Das Ziel ist immer die Selbstfindung
„Die Frage lautet nicht mehr: ,Machst du Yoga?‘“, sagt Leonie Jockusch. „Sondern: ,Wo machst du Yoga?‘“ Die 43-Jährige hat vor etwas mehr als einem Jahr ein kleines Studio in einem Hinterhof in Harburg übernommen. Im Yogabereich auf der Empore brennt sanftes Licht, an der Wand hängt ein Bild von Elefanten-Gott Ganesha. Es riecht angenehm. Kein Schweiß, keine Turnschuhe.
Jockusch, die durch ihren aus Südost-Asien stammenden Vater schon als Kind zum Yoga gekommen ist, sitzt in selbst genähter Yogahose auf einem Sofa. „Yoga ist eine ganzheitliche Lebensphilosophie mit Atem- und Körperübungen sowie Meditation“, sagt sie. Ziel ist die Selbstfindung. Das ist der Lehrerin wichtig, die vorher eine Tanzpädagogik-Ausbildung gemacht hat und seit mehr als 20 Jahren unterrichtet.
Neues Angebot: Yoga und Ängste
In ihrem Studio, das schlicht unter dem Namen Yoga Harburg firmiert, will sie „Yoga jedem zugänglich machen“. Nicht zu esoterisch, nicht zu sportlich. Zehn Kurse umfasst das Programm, außer ihr arbeiten noch drei weitere Lehrerinnen. Sie könnten auch mehr machen. „Das Interesse der Teilnehmer ist da“, sagt Jockusch.
Für ihr neues Angebot Yoga und Ängste hat sie diverse Anfragen. Vergleichsweise günstige 120 Euro kostet die 10er-Karte, die Monats-Flatrate ist für 69 Euro zu haben. Reich wird man damit nicht, aber inzwischen trägt sich der Betrieb. Die zunehmende Kommerzialisierung sieht die erfahrene Yogalehrerin skeptisch, gleichzeitig profitiert sie natürlich auch von dem Hype. „Jeder sucht seine Nische“, sagt sie.
Wo ist die Idee der Bescheidenheit geblieben?
Reine Lehre, das war gestern. Yoga ist längst auch ein gigantischer Markt und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. So mancher Alt-Yogi fragt sich, was aus traditionellen Idealen wie Bescheidenheit geworden ist. Auf vier Milliarden Euro schätzt Jonas Villwock vom Online-Sportportal Fitogram den Umsatz, der in Deutschland im Zusammenhang mit Yoga erzielt wird.
Weltweit sind es nach Schätzungen von Experten 42 Milliarden Euro. „Ich rechne damit, dass Nachfrage und Angebot von Yoga in den kommenden Jahren weiter zunehmen werden“, sagt der Autor der Studie „Yogamarkt in Deutschland 2016“. Die Suchanfragen bei Google sind sprunghaft angestiegen. Andersherum: Allein für die Suchanfrage „Yoga Hamburg“ finden sich aktuell 2,3 Millionen Einträge.
Yoga entspricht dem Selfness-Trend
Auch der Hamburger Trendforscher Peter Wippermann sieht kein Ende des Yoga-Hypes. „Yoga ist eine Lebenshaltung mit der Magie des Sinnstiftenden.“ Das Interessante an der Lehrmethode sei, dass sie einerseits mentale Balance und körperliche Beweglichkeit fördert, durch den Spirit in den Kursen aber zudem soziale Beziehungen entstehen und erhalten werden.
Persönliche Erfahrung? Wippermann schüttelt den Kopf, aber er beobachtet das auch in seinem Umfeld. „Yoga entspricht perfekt der Idee, an sich selbst zu arbeiten“, sagt er. Selfness-Trend wird das auch genannt. Wie es weitergehen könne, lasse sich in den USA oder Kanada beobachten. „Dort ist Yoga noch viel erfolgreicher. Es ist wahrscheinlich, dass es sich hier auch weiter professionalisiert.“
Yoga macht ein Viertel der Angebote aus
Die Premium-Kette Meridian Spa & Fitness, die in Hamburg fünf Center betreibt, hat im vergangenen Jahr massiv in den Ausbau des Yogabereichs in Eppendorf investiert und nennt ihn Spirit Loft. „Die Nachfrage von Yoga ist in den vergangenen Jahren erheblich gewachsen“, sagt Geschäftsführerin Christin Lüdemann.
In den großen Anlagen wie Eppendorf, Alstertal oder Wandsbek gibt es 145 Kurse pro Woche, insgesamt sind mehr als ein Viertel aller Angebote inzwischen Yogakurse. In Eppendorf nehmen laut Lüdemann jede Woche gut 3000 Teilnehmer einen Yogakurs. Laut der Fitogram-Studie setzen inzwischen mehr als 70 Prozent aller Fitnessstudios mit Kursangeboten auf Yoga. Diese Kurse machen 37 Prozent des Angebots aus.
Asanas auch in immer mehr Sportvereinen
Auch die Sportvereine haben immer mehr Yogakurse im Programm. Beim ETV in Eimsbüttel etwa gibt es aktuell 39 Kurse. Im Vergleich zu vor fünf Jahren hat sich die Zahl mehr als verdoppelt. „Yoga ist aus der Esoterikschiene raus und in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, sagt ETV-Sprecherin Friederike van der Laan.
Auch wenn das Hauptklientel Frauen sind, besuchen auch immer mehr Männer Yogakurse, bevorzugt die mit starkem sportlichen Anteil. Ähnlich bei Sportspaß, dem mit 68.000 Mitgliedern größten Freizeitsportverein der Stadt. „Wir haben pro Woche 108 Yogakurse im Programm“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Kristina Vock. Vor fünf Jahren waren es noch 71. „Früher haben die Teilnehmer irgendeinen Yogakurs gesucht. Inzwischen wollen sie einen bestimmten Stil“, so Vock. Die Teilnehmerzahlen liegen zwischen acht und 40. Besonders beliebt sind auch Special-Reihen, wie „Chakra Yoga – Energie wecken und lenken!“ in der Vorweihnachtszeit. „Wir waren überrascht von der Resonanz.“
Tatsächlich kann man aber auch scheitern
Dass es beim Yoga aber eben doch ein bisschen anders läuft als etwa im Fitnessbereich, zeigt das Scheitern des Berliner Millionärs und Start-up-Unternehmers Paulus Neef, der die Yogakette Unyte in Deutschland aufziehen wollte. Auch die Samwer-Brüder hatten ihrem Firmenimperium Rocket Internet (Zalando, Hello Fresh) mit dem Portal Somuchmore eine Wellness-Komponente mit ganzheitlichem Anspruch zugefügt. Inzwischen ist diese von der Berliner Plattform Urban Sports Club übernommen worden.
Dagegen wächst die Zahl der Yogastudios. Und auch die Zahl derer, die den Quereinstieg wagen und sich für eine Yogaausbildung entscheiden. Vanessa Maempel ist eine davon. Die Betriebswirtin, die zuletzt in der europäischen Konzernzentrale des Mineralkonzerns ExxonMobil in Hamburg ange- heuert hatte und als Change-Managerin viel im Ausland unterwegs war, ließ sich 2014 in einem Crashkurs auf Bali zur Yogalehrerin ausbilden.
„Anfangs war es ein Hobby“, sagt sie und setzt sich im Lotussitz zurecht. Dann sei ihr bewusst geworden, was in Yoga alles drinsteckt und, dass viele Unternehmen davon profitieren könnten. 2016 kündigte sie ihren Job, zwei Monate später gründete sie Yoga2b. „Wir bringen Yoga in Unternehmen“, sagt Maempel. Inzwischen hat sie mit Miriam McHardy, einer Physiotherapeutin mit Abschluss in Public Health, eine Partnerin an Bord.
Yoga2b bietet Firmenprogramme an
Das Start-up bietet maßgeschneiderte Firmenprogramme an, Yoga auf der Matte gibt es genauso wie ein Programm Yoga & Arbeit, bei dem es darum geht, Yoga als Inspirationsquelle im Beruf zu entdecken und Gelassenheit, Wir-Gefühl und mehr Spaß zu finden. „Viele Unternehmen erkennen, dass dies wichtig ist“, sagt die Gründerin, die viele Vorträge hält und eine Konferenz Business meets Yoga organisiert hat.
Die Preise für die Yoga2b-Jahres-Pakete mit Eröffnungsveranstaltungen, Workshops und regelmäßigen Kursen liegen bei 10.000 Euro, buchbar sind auch einzelne Konzeptbausteine. Zu den Kunden gehören die Wirtschaftsprüfungsfirma Deloitte, Maempels früherer Arbeitgeber ExxonMobil, die Wünsche Group und die PR-Agentur Brands4Friends.
„Inzwischen kann ich davon leben. Wenn auch nicht auf dem Niveau von früher“, sagt die Ex-Managerin und klingt zufrieden. Auf der Agenda für dieses Jahr hat sie: Wachstum. Die ersten Gespräche mit freien Mitarbeiterinnen laufen bereits. Skype-Yoga kann man schließlich von überall anbieten. Sagt’s und stellt sich auf ihre Matte, die Position heißt Baum und klappt sogar mit Laptop.