Hamburg . Nachdem der Bundesgerichtshof die Urteile teilweise aufgehoben hatte, wurde der Prozess neu aufgerollt. Erstmals sagt das Opfer aus.
Justizbeamte sichern den Zugang zu Gerichtssaal 378 mit Absperrgittern. Vor dem Prozess herrscht ein Klima nervöser Angespanntheit. Nach einer Verfügung der Vorsitzenden Richterin Anne Meier-Göring sollen die Journalisten, die in Bild und Ton über den Prozess berichten wollen, 15 Meter vom Saal entfernt, und zwar vom darunter gelegenen Zwischengeschoss aus ihre Aufnahmen machen. Was soll man da filmen? Stufen?
Meier-Göring schaut kurz vor Prozessbeginn bei den protestierenden Medienvertretern vorbei: Es bleibe bei der Verfügung, darüber werde nicht diskutiert. Wenig später dann schließt das Gericht die Öffentlichkeit vornehmlich mit Blick auf das schutzwürdige jugendliche Alter der Angeklagten von der gesamten Verhandlung aus.
Bundesgerichtshof hob den ersten Schuldspruch teilweise auf
Die Aufregung überrascht kaum. Schon der erste Prozess um die Gruppenvergewaltigung eines 14 Jahre alten Mädchens in Harburg hat wie kaum ein anderer in den vergangenen Jahren bundesweit für Empörung gesorgt. Seit Mittwoch, 15 Monate nach dem ersten Urteil, verhandelt das Landgericht erneut. Grund: Im Juli hatte der Bundesgerichtshof (BGH) den ersten Schuldspruch bis auf die Feststellungen zum Tatgeschehen aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen.
Und so stehen am Mittwoch die fünf Angeklagten erneut vor Gericht. In erster Linie geht es um den „schweren sexuellen Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person“. Sie sitzen neben ihren Verteidigern, dicke Aktenordner vor sich. Da sind die vier zur Tatzeit Jugendlichen Zivorad S. (18), Alexander K. (18), Dennis M. (15) und Lisa H. (17). Und da ist der einzige Erwachsene im Bunde Bosko P. – der 23-Jährige sitzt aktuell in der sozialtherapeutischen Anstalt in Bergedorf ein.
Anwohner hörte das Wimmern des Mädchens
In den frühen Morgenstunden des 11. Februar 2016 hatten die Angeklagten in einer Wohnung an der Bornemannstraße (Harburg) den 14. Geburtstag von Dennis M. gefeiert. Mit dabei war auch Sabina A. (Name geändert), ebenfalls 14 Jahre alt.
Erst verging sich Bosko P. an der völlig wehrlosen, betrunkenen 14-Jährigen. Dann führten die Teenager Glasflaschen in ihre Vagina ein und filmten die Greueltat auch noch mit ihren Handys. Schließlich wurde das Mädchen wie Müll bei klirrender Kälte im Hinterhof abgelegt. Ein Anwohner, der Sabinas Gewimmer hörte, alarmierte die Feuerwehr – gerade noch rechtzeitig.
Für Empörung sorgten damals nicht nur das skrupellose Vorgehen der Täter, sondern auch das Auftreten einiger Angeklagter nach der Urteilsverkündung im Oktober 2016. Damals brach lautstarker Jubel im Gerichtssal aus. Bosko P. machte – wohl mit Bezug auf das missbrauchte 14 Jahre Opfer – obszöne Stoßbewegungen mit der Hüfte.
Vier der fünf Angeklagten erhielten lediglich Bewährungsstrafen von bis zu zwei Jahren und erzieherische Weisungen. Einzig Bosko P. wurde zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Nach dem von vielen Menschen als skandalös milde empfundenen Urteil schalteten sich Politiker ein, hunderttausend Bürger forderten die Staatsanwaltschaft per online-Petition auf, Rechtsmittel einzulegen. Das hat sie auch getan – allerdings völlig unbeeinflusst vom öffentlichen Furor.
Erstmals wird auch das Opfer gehört
Auf ihre Revision hin gab der BGH zu Bedenken, dass im ersten Prozess weitere in Frage kommende Straftatbestände vom Gericht möglicherweise außer Acht gelassen worden waren. So sei beispielsweise zu prüfen, ob das Filmen mit den Handys nicht auch als Herstellen von Jugendpornografie gewertet werden könne. Zudem komme auch eine sogenannte lebensgefährliche Aussetzung des Mädchens bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in Betracht.
Keinesfalls sicher ist aber, dass die Angeklagten deshalb nun höher bestraft werden. Schließlich sei seit dem Schuldspruch einige Zeit ins Land gegangen, die Strafkammer müsse die Entwicklung der Jugendlichen und ihr Verhalten seitdem berücksichtigen, sagte Gerichtssprecher Kai Wantzen. Erstmals gehört werden soll am kommenden Dienstag im neuen Prozess Sabina A. Die 14-Jährige war während des ersten Verfahrens abgetaucht, konnte aber danach ermittelt werden.
Das Gericht schloss am Mittwoch die Öffentlichkeit von der Verhandlung aus: Die öffentliche Berichterstattung könne zur Bloßstellung, Verängstigung und Stigmatisierung der jugendlichen Angeklagten führen, was die erzieherische Einwirkung auf sie erschweren würde, so Meier-Göring. Ob das Urteil auch unter dem Radar verkündet wird, ist ungewiss. Meier-Göring: „Die Kammer behält sich vor, die Öffentlichkeit auch von der Urteilsbegründung auszuschließen.“