Hamburg. G20, die Rolling Stones, der XFEL Laser: Hamburg-Leidenschaft in der Neujahrsrede von Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider.
Liebe Freunde des Hamburger Abendblatts, herzlich willkommen zu unserem 30. Neujahrsempfang. Acht von Ihnen waren von Anfang an dabei – Sie wissen, welche Bedeutung der Neujahrsempfang für Karrieren hat. Denken Sie nur an Torsten Albig: Fünfmal haben wir ihn eingeladen, aber nur einmal ist er gekommen – nun ist Daniel Günther, zwei Einladungen, zwei Zusagen, Ministerpräsident Schleswig-Holsteins. Oder denken Sie an Sigmar Gabriel. Als er für den Neujahrsempfang 2017 zusagte, war er noch SPD-Vorsitzender und möglicher Kanzlerkandidat. Dann machte er den verhängnisvollen Fehler, nicht zu erscheinen – und das Schicksal nahm seinen Lauf …
Liebe Freunde des Hamburger Abendblatts, vielleicht können Sie jetzt nachempfinden, wie ich mich gefühlt habe, als mir Christian Lindner zwei Wochen nach Beginn der Jamaika-Gespräche eine Absage für den heutigen Tag schickte. Dabei hatte ich mich so darauf gefreut, Wolfgang Kubicki als Bundesfinanzminister begrüßen zu können, das wäre zu schön gewesen.
Wo ist bei den Politikern die Leidenschaft?
Fand man übrigens auch beim politischen Gegner, wo es hieß: „Kubicki als Finanzminister – das würde ja bedeuten, dass er künftig im Jahr weniger verdient, als er bisher Steuern gezahlt hat.“ Aber nicht einmal das sollte sein. Lindner sagte erst für heute ab, um wenig später zu behaupten, dass es besser sei „nicht zu regieren, als schlecht zu regieren“. Was wie die FDP-Version von Martin Schulzens „Ich strebe gar nichts an“ klingt. So oder so: Im Bundestag haben nun Parteien die Mehrheit, die lieber nicht regieren wollen. Oder, wie man dort im sozialdemokratischen Neudeutsch sagt: Bätschi.
30. Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts
Kommen wir zu den laufenden Sondierungsgesprächen, verbunden mit einem Dank an Hamburgs Ersten Bürgermeister und Mit-Sondierer, dass er heute Morgen hier bei uns und nicht in Berlin ist. Lieber Herr Scholz, Sie sind unsere letzte Hoffnung, dass das mit einer Regierungsbildung in der Hauptstadt noch vor der Eröffnung des BER funktioniert. Mir stellen sich bei dem ach so schwierigen Weg zu einer neuen Koalition vor allem drei Fragen. Erstens: Warum sind so viele in eine Minderheitsregierung verliebt, obwohl es klare Mehrheiten geben könnte? Nur, weil sie hoffen, damit Angela Merkel loszuwerden?
Zweitens: Wieso glauben einige in der SPD, dass mit dem Gang in die Opposition alle ihre Probleme gelöst wären? Drittens und besonders: Wo bitte ist bei den Berliner Politikern die Leidenschaft, die Begeisterung für unser Land geblieben? Wieso schwärmen sie fast alle von Emmanuel Macron, aber lernen nicht von ihm, dass man selbst für etwas brennen muss, um andere anzünden zu können? Wenn ich mir für unser Land, unsere Politik und unsere Gesellschaft etwas wünschen dürfte, dann wäre es genau das: Leidenschaft in allem, was wir tun. Wir beim Hamburger Abendblatt gehen mit unserer Leidenschaft für guten Journalismus und für diese Stadt gern voran, auch wenn wir es mit Letzterem manchmal übertreiben.
Schlafende Schöne hat Jahr 2017 durchgemacht
Wobei man glücklicherweise nicht mehr länger behaupten muss, dass Hamburg die schönste Stadt der Welt sei – inzwischen ist sie es ja tatsächlich. Erinnern Sie sich noch an 2013? Damals war der Höhepunkt des Jahres in Hamburg die Internationale Gartenschau, die mit Musik von Lotto King Karl eröffnet wurde. Und jetzt dieses 2017! Elbphilharmonie, G20, XFEL, die Stones im Stadtpark, Ironman, Kate und William, Karl Lagerfeld – ganz ehrlich, mich hätte nicht überrascht, wenn der Papst Weihnachten im Michel gepredigt hätte. Hamburg, die einst schlafende Schöne, hat das vergangene Jahr durchgemacht und sich in einem Tempo verändert, dass es auch eine andere Diskussion gibt: Nämlich, die, ob das alles so sein, ob Hamburg wirklich Weltstadt werden muss oder ob es nicht auch so lebenswert genug ist. Ich komme gleich darauf zurück. (...)
Natürlich haben auch mich die Gewaltexzesse während G20 schockiert, die Bilder aus den Elbvororten konnte ich zunächst nicht glauben. Langfristig verstört hat mich, wie viele Menschen, ganz normale Menschen, ein seltsames Verständnis von unserem Rechtsstaat haben. Der Satz, den ich während der
G-20-Tage am häufigsten gehört habe, war dieser: „Natürlich bin ich gegen Gewalt, aber …“ Aber was? Als ob es Umstände gebe, die es rechtfertigen würden, Steine auf Polizisten zu schmeißen oder Autos in Brand zu setzen. Übrigens: Menschen, deren Fahrzeuge in Flammen aufgehen, ist es ziemlich egal, ob das vermeintlich für eine bessere und gerechtere Welt geschieht. Merke: Entweder man ist gegen Gewalt oder man ist es nicht. Da gibt es kein Aber.
Mangelnder Respekt gegenüber Beamten
Auch nicht dieses: „Aber die Polizisten haben selbst Fehler gemacht.“ Haben sie bestimmt, sind auch nur Menschen. Doch quasi allein mit der Präsenz der Polizei gewalttätige Ausschreitungen erklären zu wollen, ist schlicht eine Frechheit. Der mangelnde Respekt gegenüber den Beamten, also gegenüber der Staatsgewalt, während G20 war erschreckend. Deshalb hat das Abendblatt kurz nach dem Gipfel 2000 Polizisten und ihre Partner zu einem Konzert unter dem Motto „Respekt!“ in die Elbphilharmonie eingeladen. Von allen Konzerten, die ich im Großen Saal erlebt habe, war es das bewegendste. Und eines, das gezeigt hat: Hamburg ist nicht so, wie es die Bilder aus dem Juli glauben machen wollten.
Ja, wie ist Hamburg, was ist Hamburg? In Bildern und Berichten, die um die Welt gehen, ist Hamburg seit dem 11. Januar 2017 vor allem die Elbphilharmonie. ( ...) Es gibt viele Gründe, warum das Konzerthaus so gut ankommt, von der Architektur über den Blick auf Hamburg bis zum Klang im Großen Saal. Aber wissen Sie, was der Kern der Begeisterung ist? Der Kern ist, dass wir Hamburger endlich etwas haben, das uns allen gehört, einen Ort, an dem sich die unterschiedlichsten Menschen dieser Stadt begegnen, an dem der Blankeneser einen echten Harburger treffen kann. Ja, die Hamburger haben sich ein großes, gemeinsames Wohnzimmer gebaut, eine neue Heimat.
Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen
Der Begriff fällt oft in diesen Tagen und er fällt zu Recht. Denn es ist die Sorge um ihre Heimat, ob nun kulturell, wirtschaftlich oder geografisch, die viele Menschen in die Arme von Populisten und weg von Volksparteien treibt. Auf der Titelseite des Hamburger Abendblatts steht dazu jeden Tag ein Satz von Gorch Fock. Er lautet: „Mit der Heimat im Herzen die Welt umfassen.“ Das ist unser Anspruch, und das sollte 2018 vielleicht auch der Anspruch der Politik sein. Ihre Aufgabe ist es, den Menschen in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung das Gefühl des Ausgeliefertseins zu nehmen.
Oder, um es mit den Worten eines SPD-Politikers zu sagen, dem ein U zu einer Kanzlerkandidatur fehlte: „Wir dürfen nicht abwarten, bis uns die Umstände das Handeln aufzwingen, sondern müssen handeln, um die Umstände zu prägen.“ Das gilt auch für Hamburg, die Stadt, die immer Weltstadt sein wollte und jetzt tatsächlich auf dem Weg dorthin ist – und trotzdem das bleiben muss, was sie für die Hamburger immer war: grün, überschau- und vor allem bezahlbar. Denn ein Heimatgefühl geht auch dann verloren, wenn sich Menschen in ihrem Stadtteil keine Wohnung mehr leisten, wenn Familien nicht einmal mehr davon träumen können, sich hier ein Haus zu bauen. Das macht erst traurig, dann wütend. Und wohin das führt, haben wir jetzt oft genug erlebt.
Das sind Auszüge aus der Rede des Abendblatt-Chefredakteurs Lars Haider. Die komplette Rede sehen Sie oben im Video.