Hamburg. Beim Abendblatt-Neujahrsempfang war ein großes Thema die Regierungsbildung. Was Gäste aus Kultur, Wirtschaft und Medien sagen.
Wohin steuert Deutschland? Fast vier Monate nach der Bundestagswahl gibt es immer noch keine neue Regierung. Etliche Gäste auf dem 30. Neujahrsempfang des Hamburger Abendblattes appellierten an die Verhandler von CDU und SPD, sich rasch zu einigen.
„Die Politik sollte es unbedingt vermeiden, sich in eine Reihe mit Ländern zu stellen, die rigide Probleme bei der Regierungsbildung haben“, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.
„So etwas untergräbt das Vertrauen in unser Land.“ Eine „Blamage auch international“ seien die bisherigen Koalitionsgespräche, sagte Moderatorin Bettina Tietjen. „Da muss man die persönlichen Interessen doch denen des Landes unterordnen.“
Ihre Kollegin Julia-Niharika Sen sieht das Jamaika-Debakel als Beispiel für Vorgänge, durch die „Jugendliche sich immer mehr von der Politik abgeschreckt fühlen“.
Pilawa: "Die Politik muss weiblicher werden"
30. Neujahrsempfang des Hamburger Abendblatts
Ähnlich empfindet das TV-Moderator Jörg Pilawa: „Berlin tut zurzeit alles, um den Trend der Entpolitisierung zu beschleunigen“, sagte er. „Besonders die männlichen Akteure geben sich einer Me-first-Selbstdarstellung hin, die Deutschland schadet.“ Sein Vorschlag: „Die Politik muss weiblicher werden. Dann hat selbst eine Minderheitsregierung eine gute Chance, die Probleme der Zeit zu lösen und dem Ich-Genuss von Trump, Putin, Erdogan & Co. intelligent und bestimmt entgegenzutreten.“
Nach Ansicht der Sterneköchin Cornelia Poletto wäre eine Große Koalition die beste Variante. „Mir ist wichtig, dass es jetzt vor allem schnell geht mit der Regierungsbildung.“
So sieht das auch ihr Mann Rüdiger Grube, Vorsitzender des HHLA-Aufsichtsrates. „Nach meinem Demokratieverständnis sollten die Parteien mit den Mehrheiten die Regierungsverantwortung übernehmen. Ich hoffe, dass diese sich ihrer Verantwortung bewusst sind und endlich in die Puschen kommen.“
Auch Claus-Günther Budelmann, Präsident des Anglo-German Clubs, findet, dass die Sondierungen „schon wirklich sehr lange“ dauern. Grundsätzlich wünscht er sich, dass „sich die Politiker aller beteiligten Parteien mit ihren Wasserstandsmeldungen nach jeder Gesprächsrunde zurückhaltender verhalten würden“.
"Entscheidend ist, dass gut regiert wird"
Andreas Mattner, Hauptgeschäftsführer des Einkaufscenter-Betreibers ECE, hält die langen Verhandlungen für nichts Ungewöhnliches. „Da muss man fair bleiben“, sagte er. „Entscheidend ist nicht, wie lange die Vorbereitungen dauern, sondern dass gut regiert wird.“
Eine Große Koalition sei zwar „für niemanden eine Wunschlösung“, sagte Isabella Vértes-Schütter, Intendantin des Ernst Deutsch Theaters und SPD-Bürgerschaftsabgeordnete. „Aber in dieser Situation ist es für das Land die stabilste Lösung.“
Ebenfalls für eine Große Koalition ist der frühere Handelskammer-Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz. Ein solches Bündnis müsse inhaltlich und personell neue Akzente setzen, forderte er. „Ich vermisse vor allem bei der CDU die Inhalte.“
Eine Beschränkung forderte Heribert Leutner, Architekt und früherer Projektleiter Elbphilharmonie. „Ich wünsche mir, dass die Regierungszeit von Bundeskanzlern auf zwei Legislaturperioden begrenzt wird.“ Angela Merkel genieße bei ihm zwar hohe Anerkennung, aber es sei Zeit, den Weg für einen personellen Neuanfang frei zu machen.
Das sagen Hamburger Politiker
Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) glaubt, dass es mit den Sondierungen schnell gehen wird. Wichtig ist ihr, dass dann gerade ihre Partei den Bürgern erklärt, was sie von der Großen Koalition erwarten können – und was nicht durchsetzbar war.
Es sei nicht gesagt, dass die SPD am Ende erneut als Verlierer aus einer Großen Koalition herauskäme, wenn Angela Merkel in vier Jahren nicht mehr antrete, sagte SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. „Das hängt davon ab, wie wir das gestalten.“
Der Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse sagte, es sei „eine merkwürdige Situation, dass außer den Grünen und der CDU niemand regieren will“. Andererseits wolle im Bundestag niemand Neuwahlen. „Die Chance, dass es mit der Großen Koalition klappt, liegt bei 70 Prozent.“
Optimistisch zeigte sich seine Parteikollegin Karin Prien (CDU), die schleswig-holsteinische Bildungsministerin: „Ich bin guter Dinge, dass die Sondierer sich auf ein zukunftsfähiges Regierungsprogramm verständigen werden.“
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) bedauert noch immer, dass keine Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen zustande gekommen ist. Aber: „Ich bin nicht mehr so wütend auf die FDP, man muss auch verzeihen können.“ Jetzt bekomme Deutschland voraussichtlich eine Regierung, die so keiner gewollt habe.
Nach der Einschätzung von Justizsenator Till Steffen (Grüne) rücken FDP und CSU – vielleicht auch die SPD – im Sog der AfD nach rechts. Für die Grünen schaffe das zwar neuen Raum, sagte Steffen. „Als Bürger bereitet mir das jedoch Sorgen. Ich bin in den 1980er- und 90er-Jahren aufgewachsen, als die Gesellschaft immer liberaler wurde und frage mich, ob das nun zurückgedreht wird.“