Hamburg. Die Sängerin war nervös vor ihrem Konzert im Großen Saal, doch sie bestand die Bewährungsprobe schließlich mit Bravour.
Diskussionen über die Akustik der Elbphilharmonie, die, so heißt es immer wieder, alles hörbar macht, auch kleinste Fehler, dürfen profunde Klassik-Kenner gerne an anderer Stelle führen. Hier geht es einfach um Schlager, Chansons und Balladen, sozusagen um den Kessel Buntes in der Elbphilharmonie, und darüber rümpfen manche Gralshüter der E-Musik ohnehin Nase. Denn nach dem singenden Schauspieler Gustav Peter Wöhler und einem Benefiz-Auftritt von Popstar Rita Ora (siehe unten) machte Vicky Leandros am Sonnabend den Jahresanfangs-Reigen der leichten Muse komplett.
Nun könnten hier also ein paar ausufernd-flockige Zeilen über die Interpretin folgen: Grand-Prix-Gewinnerin 1972, 55 Millionen verkaufte Tonträger, Mutter, Großmutter, Schlagerlegende, Freifrau von Ruffin, getrennt lebend undsoweiterundsofort. Der Text würde sich in erster Linie um glühende Verehrer drehen, groß und klein, die Blumen und alkoholgefüllte Pralinen auf die Bühne bringen, mit schwarzen Fanschals wedeln, im Takt klatschen oder „Halleluja“ mitsingen (überraschend viele gute Männerstimmen!). Und natürlich wäre ein zentrales Thema, dass der Theo fehlte, der aus Lodz, diesem vermeintlichen Sehnsuchtsort, den in Polen so niemand kennt. Denn dort wird die Stadt südwestlich von Warschau eher „Wudsch“ ausgesprochen. Wer die Hintergründe von „Theo, wir fahr’n nach Lodz“ recherchiert, wird übrigens erstaunt sein: Der Ursprung geht auf ein deutsch-österreichisches „Siegeslied“ im Ersten Weltkrieg zurück. Damals wollte nicht Theo nach Lodz, sondern der Franzl mit seiner „Rosa“ – einer Mörsergranate…
Auch Lieder von Mikis Theodorakis sind zu hören
Aber zurück zu Vicky Leandros und ihrem Abend in der Elbphilharmonie. Und es war ihr Abend. Test bestanden, Elbphilharmonie erobert: Soviel lässt sich mit Bestimmtheit sagen
Als absoluter Bühnenprofi soll sie bei den Proben nervös gewesen sein und geradezu „Bammel“ vor dem Auftritt gehabt haben. Wohl wissend, dass dieser Konzertsaal im Gegensatz zu plüschigen Provinzhallen oder schallschluckenden Großraum-Locations nichts verzeiht. Der Anspruch an die eigene Professionalität ist spürbar hoch bei der zierlichen Frau, die optisch so weit vom Rentenalter entfernt ist wie die FDP von der Regierung. Deshalb hatte wohl auch Wolfgang Kubicki am Abend des Dreikönigstages Zeit, beim Vicky-Leandros-Konzert in der ersten Reihe zu sitzen. „Aprés toi“, nach Merkel, sozusagen.
Zu Beginn des Abends betont die Sängerin, 65, welche Freude es sei, „in der wundervollen Elbphilharmonie in meiner Heimatstadt zu sein“. In Hamburg sei sie aufgewachsen seit ihrem fünf Lebensjahr, hier habe sie Freunde und Familie und auch die ersten Schritte ihrer Karriere machen dürfen, bei der „Aktuellen Schaubude“. Deshalb sei es etwas ganz Besonderes, hier aufzutreten. In den folgenden knapp drei Stunden vor praktisch ausverkauften Rängen (einige Plätze blieben offenbar wegen Urlaubs- und Krankheitsabsenzen leer) erwartet das Publikum im Wesentlichen das Programm der Vorjahrestournee zum 50. Bühnenjubiläum. Bravourös unterstützt wird Vicky Leandros von einer exquisiten Gruppe von Musikern, angeführt von ihrem langjährigen Konzertbegleiter, dem Pianisten Bo Heart. Alexandros Karozas, mit wallegrauer Mähne, und seine Bouzouki wecken mit den unverwechselbaren griechischen Klängen umgehend Assoziationen an Sommerabende in Chalkidiki und Sirtaki am Fuß der Meteoraklöster.
Die paar Töne, die sie nicht trifft – Ouzo drüber!
Wenn Vicky Leandros griechisch singt, gerne Lieder von Mikis Theodorakis, dann wirkt sie ganz bei sich. So unsicher ihr Start ins Konzert ist, als sie per Handzeichen noch der Crew am Mischpult deutet, etwas mehr Kraft auf ihr Mikro zu legen, umso selbstbewusster wird sie mit der Zeit. Der Respekt vor dem Großen Saal der Elbphilharmonie weicht der Freude, die Anspannung fällt mit jeder langen Schlussnote, die sie so bewusst einsetzt. Die paar Töne, die sie nicht trifft – Ouzo drüber. Der Xavier- Naidoo-Song „Möge der Himmel“: ein bisschen verkopft, was soll’s.
Vicky Leandros überzeugt an diesem Abend mit einer wunderbar präsenten Stimme, mit ihrem Sound, der sich in den tiefen Lagen wie ein Mantel aus dunklem Samt anfühlt. Dieser unvergleichliche Klagemoment in ihrem Timbre - Jacques Brel nannte sie einmal eine „dramatische Sängerin“. Fein gibt sie „Ne me quitte pas“ oder das „Spinnrad meiner Träume“, locker kommen die Titel daher, auf die das Publikum gewartet hat, „L’amour est bleu“, „Ich liebe das Leben“ oder „Ich bin wie ich bin“. Als Vicky Leandros am Ende des Konzerts singend die Treppe hoch durchs Publikum spaziert, ist die Elbphilharmonie für einen Moment ganz nah dran an Dieter Thomas Hecks „ZDF-Hitparade“. Und es hat überhaupt nicht wehgetan.